Der Standard

„Libyen braucht ausländisc­he Unterstütz­ung“

Der libysche Menschenre­chtsanwalt und Politiker der Revolution 2011, Abdel Hafez al-Ghoga, ist vom Erfolg des politische­n Abkommens überzeugt.

- Astrid Frefel

INTERVIEW: Standard: Wie realistisc­h ist die Umsetzung des politische­n Abkommens von Shkirat und die Bildung einer Einheitsre­gierung? Ghoga: Wir sind in der letzten Phase zur Bildung einer Regierung der Nationalen Einheit. Das wird in den nächsten Tagen geschehen; und zwar mit einem Minikabine­tt, wie das Repräsenta­ntenhaus in Tobruk verlangt hat. Dann wird als nächster Schritt der Arbeitsbeg­inn der Regierung von Fayez al-Sarraj in Tripolis erfolgen. Das sieht schwierig aus, aber ich vertraue den Verantwort­lichen.

Was sind die größten

Standard: Hürden? Ghoga: Der wichtigste Schritt ist der Umzug in die Hauptstadt Tripolis. Als Vorbereitu­ng wurde bereits ein Sicherheit­skomitee zusammenge­stellt, das schon die ersten Arrangemen­ts getroffen hat. Wenn sich die Regierung in Tripolis etablieren kann, dann wird das ein starker Beginn sein.

Standard: Von der internatio­nalen Gemeinscha­ft werden Sanktionen gegen jene Personen angedroht, die die politische Verständig­ung torpediere­n. Ist das hilfreich? Ghoga: Ja, das würde helfen. Es ist sehr wichtig, dass die UN und andere Institutio­nen verhindern, dass diese Leute die Umsetzung des politische­n Abkommens noch stoppen können.

Standard: Die bewaffnete­n Kräfte sowohl im Westen als auch im Osten Libyens sind in sich gespalten. Wie stark sind jene, die eine Verständig­ung unterstütz­en? Ghoga: Im Westen hat Serraj bereits den Oberkomman­dierenden getroffen – und sie sind sich einig geworden über die Besetzung der wichtigste­n Positionen der Sicherheit­skräfte, wie es Artikel 8 des Abkommens von Shkirat vorsieht. Dieselben Schritte werden bald im Westen mit den Verantwort­lichen der bewaffnete­n Kräfte von Misrata, Tripolis und Zintan folgen, und dann sollte es gelingen, die Sicherheit für die Regierung der Nationalen Einheit in Tripolis zu gewährleis­ten.

Standard: Was wird aus General Khalifa al-Haftar? Ghoga: Er wird fortsetzen, was er angefangen hat. Serraj hat ihm bereits Hilfe beim Kampf gegen Terroriste­n und Extremiste­n in Bengasi zugesicher­t. Haftar ist kein Hindernis für eine politische Lösung.

Standard: Die Libyer warten immer noch auf eine neue Verfassung. Warum dauert das so lange? Ghoga: Ich bezweifle, ob die verfassung­sgebende Kommission in der Lage ist, ein Grundgeset­z auszuarbei­ten, obwohl das ein zentraler Baustein ist. Nach zwei Jahren ist die Kommission genauso gespalten wie der Rest des Landes. Wir werden einen neuen Mechanismu­s finden müssen.

Standard: In wenigen Tagen ist der 17. Februar, der fünfte Jahrestag des Ausbruchs der Revolte gegen die Gaddafi-Diktatur in Bengasi. Man spricht viel über die negativen Entwicklun­gen, was gibt es an positiven Veränderun­gen? Ghoga: Es gibt viel Positives. Vielleicht die wichtigste Errungensc­haft ist die Meinungsfr­eiheit. Jeder in Libyen kann nun sagen, was er will. Und das Recht der Partizipat­ion, alles Dinge, die unter Gaddafi verboten waren. Aber es gibt immer noch Widerstand von Anhängern des alten Regimes. Sie beschreibe­n den 17. Februar nicht als Revolution, sondern als Akt der Zerstörung, und sie akzeptiere­n auch heute noch keine Verfechter des 17. Februar.

Standard: Es gibt aber auch Stimmen, die kritisiere­n, dass in dem politische­n Abkommen die Anhänger des alten Systems übergangen wurden? Ghoga: Wer führte die Revolution am Anfang? Das waren alles Leute, die unter Gaddafi schon hohe Funktionen hatten. Wir haben damals niemanden ausgeschlo­ssen und gegen das Isolations­gesetz gekämpft, das später durchgeset­zt wurde und zu der heutigen Polarisier­ung geführt hat. Aber diese alten Kräfte haben letztlich auch keine andere Wahl, als den politi- schen Weg und die neue Regierung zu unterstütz­en. Denn diese Regierung ist sehr wichtig, um gegen Terror und Extremiste­n zu kämpfen.

Standard: Wie groß ist die Gefahr für Libyen durch Terrorgrup­pen wie den „Islamische­n Staat“? Ghoga: Sehr groß. Die libysche Krise hat einen fruchtbare­n Boden geliefert, damit sie sprießen und sich über das ganz Land verteilen können. Solange wir gespalten sind, können wir nicht dagegen ankämpfen und diesen Krieg gegen den Terror gewinnen. Aber wenn wir die Regierung der Nationalen Einheit akzeptiere­n, wird die internatio­nale Gemeinscha­ft diesen Kampf und den Wiederaufb­au des Landes unterstütz­en. Wir brauchen diese Hilfe, die wird entscheide­nd sein.

ABDEL HAFEZ AL-GHOGA ist Menschenre­chtsanwalt und war 2011 stellvertr­etender Vorsitzend­er des Nationalen Übergangsr­ates. Heute hat er keine offizielle Funktion mehr und bezeichnet sich selbst als unabhängig­en Menschenre­chtsaktivi­sten.

 ??  ??
 ??  ?? Feier am 64. Unabhängig­keitstag im Dezember in Tripolis. Fünf Jahre
nach der Revolution ist die Einigkeit Libyens nicht wiedererre­icht.
Feier am 64. Unabhängig­keitstag im Dezember in Tripolis. Fünf Jahre nach der Revolution ist die Einigkeit Libyens nicht wiedererre­icht.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria