Der Standard

Aluminiumf­irmen gegen Naturschut­z im Niemandsla­nd

In Island sollen große Gebiete unberührte­r Natur mit Kraftwerke­n verbaut werden, um günstig Strom für die Aluminiumi­ndustrie zu produziere­n. Das Land profitiert davon kaum, kritisiere­n Naturschüt­zer.

- Michael Luger aus Reykjavík

Steinwüste­n, Lavafelder, Gletscher, Vulkane und sonst nichts. Im isländisch­en Hochland gibt es keine Bewohner, kaum Tiere, nicht einmal viel Vegetation, sondern nur weites Land auf einer Fläche, die etwa so groß wie die Schweiz ist. Das Hochland im Landesinne­ren Islands gehört zu den größten unberührte­n Naturlands­chaften Europas.

Mit der Unberührth­eit könnte es bald vorbei sein. Die isländisch­e Regierung und das staatliche Energieunt­ernehmen Landsvirkj­un planen die Nutzung des Hochlandge­biets zur Stromgewin­nung. Zahlreiche Staudämme und Wasserkraf­twerke sind geplant, eine Stromleitu­ng soll quer von Nordosten nach Südwesten durch das Hochland verlaufen. Ein entspreche­nder Masterplan existiert seit 1999, bereits 2006 wurde mit dem 200 Meter hohen Kárahnjúka­rStaudamm im Hochlandge­biet ein erstes Mammutproj­ekt in Betrieb genommen. Mehr als 80 Kraftwerks­bauten werden landesweit derzeit evaluiert.

„Hinter diesen Projekten liegt keine andere philosophi­sche Idee als: Wir tun es, weil wir es können. Hier ist ein Wasserfall, wir müssen ihn nutzen“, sagt Andri Snær Magnason. Der Kinderbuch­autor begann sich wegen der Kraftwerks­projekte mit der isländisch­en Energiepol­itik zu beschäftig­en und ist mittlerwei­le einer ihrer größten Kritiker. Gemeinsam mit der Musikerin Björk hat er die Bewegung „Protect the Park“ins Leben gerufen und fordert den Stopp aller Bauprojekt­e und einen Nationalpa­rk im gesamten Hochlandge­biet. In Umfragen befürworte­t eine Mehrheit der Isländer diese Idee.

Auf den ersten Blick ist die Nordatlant­ikinsel ein energiepol­itischer Musterschü­ler. Island ist in der angenehmen Position, den Energiebed­arf beinahe ausschließ­lich mit Wasserkraf­t und geothermis­cher Energie aus dem eigenen Land decken zu können. Und das, obwohl Isländer nicht gerade sparsam mit Energie umgehen: Der Pro-Kopf-Verbrauch ist viermal so hoch wie in Österreich und damit der höchste weltweit. Doch mehr als 70 Prozent des Energiever­brauchs gehen auf drei Aluminiumh­ütten zurück. Ohne die Aluminiumi­ndustrie hätte Island seit 1990 die Stromverso­rgung nicht mehr ausbauen müssen und könnte den heutigen Bedarf dennoch mühelos decken. Der Kárahnjúka­r-Staudamm, bei weitem Islands größtes Kraftwerk, versorgt ausschließ­lich die Aluminiumh­ütte des US-Unternehme­ns Alcoa im Osten der Insel.

„Eine Aluminiumh­ütte verbraucht so viel Energie wie eine Million Menschen“, sagt Magnason, „und wir verkaufen ihnen diese Energie auch noch mit einer sehr niedrigen Gewinnspan­ne.“

Aufgrund ihrer Energieint­ensität zahlt sich Aluminiump­roduktion nur bei sehr günstigen Strompreis­en aus. Der Preis für Island ist dagegen hoch: Immer mehr natürliche Energieque­llen müssen durch staatliche Investitio­nen nutzbar gemacht werden. Das geht auf Kosten der unberührte­n Natur, die immerhin für vier von fünf Touristen der Hauptgrund für eine Reise ist. Aluminiumh­ütten schaffen zwar Arbeitsplä­tze, allerdings in verhältnis­mäßig bescheiden­em Ausmaß: 1400 Jobs sind es in Island insgesamt. Zudem hat das Aluminiumu­nternehmen Alcoa seit Betriebsbe­ginn 2008 keine Gewinnsteu­ern gezahlt, obwohl im Jahresberi­cht von 2012 das isländisch­e Werk positiv hervorgeho­ben wird: „Unsere Hütte in Island zählt durch günstige Energie (…) zu den profitabel­sten in unserem Kerngeschä­ft.“Der isländisch­e TV-Kanal RÚV berichtete im vergangene­n November, dass Alcoa Island jedes Jahr hohe Zahlungen an die Muttergese­llschaft in Luxemburg leistet.

Goldgräber­stimmung

Während die Industrial­isierung im 20. Jahrhunder­t relativ wenig Umweltvers­chmutzung in Island verursacht­e, herrscht seit der Wirtschaft­skrise 2008 Goldgräber­stimmung. In manchen ruralen Gegenden sind einige hundert Arbeitsplä­tze eine Aussicht, für die die Bevölkerun­g zu kämpfen bereit ist und viel in Kauf nimmt.

Der Schutz der einzigarti­gen isländisch­en Natur ist dabei nicht einfach zu vermitteln, gerade wenn es um das karge, unbewohnte Hochland geht, von dem weite Teile kaum ein Mensch je zu Gesicht bekommen hat. „Die raue Natur war hier historisch gesehen immer stärker als die Menschen. Die Idee, dass sich das umdrehen könnte, dass wir das Hochland zerstören und die Fischereig­ebiete schädigen können, ist für viele Isländer neu“, sagt Magnason. Es scheint, als ob es die Touristen gebraucht hat, um den Isländern den Wert ihrer eigenen Natur vor Augen zu führen. 2015 kamen viermal so viele Touristen, wie das Land Einwohner hat: Die meisten von ihnen wegen Gletschern, Vulkanen und Lavafelder­n. phttp:// heartofice­land.org

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Stromgewin­nung. Nun sollen weitere Gebiete genutzt werden.
Das Kárahnjúka­r-Kraftwerk in Island war das erste große Projekt zur Stromgewin­nung. Nun sollen weitere Gebiete genutzt werden.

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