Der Standard

Schnipsel, Splitter und falsche Fährten

Auf dem Filmfestiv­al von Rotterdam sind die Übergänge von Film und bildender Kunst fließend und die Formate experiment­eller als anderswo. Ein Rundgang von Lewis Klahr bis Nicolette Krebitz.

- Dominik Kamalzadeh aus Rotterdam

Als umtriebige Hafenstadt ist Rotterdam an den Umgang mit globalen Waren gewöhnt. Das Filmfestiv­al macht sich diesen Geist des Austauschs zunutze, in dem es die Bilder einer eng vernetzten, zugleich aber immer weiter auseinande­rdriftende­n Welt reflektier­t. Dabei ist es beständig gewachsen, und manchen war das Programm, das mehr als andere Festivals dem Weltkino Platz einräumt, schon zu viel: Zu unübersich­tlich waren die vielen Sektionen, in denen sich wie in russischen Matroschka­s immer noch Untergrupp­en versteckte­n.

Der neue Festivaldi­rektor Bero Beyer, ein Kenner der Branche, hat in seinem ersten Jahr den Hebel ein wenig zurückgedr­eht und das Programm entschlack­t. Im Wettbewerb um die Tiger, die am Samstag vergeben werden, nehmen gar nur noch acht Produktion­en teil. Gerade bei den vielen Newcomern, auf die Rotter- dam kurz vor der Berlinale sein Schlaglich­t wirft, kann die Bündelung helfen.

Mit Fiona Tan gab es unter ihnen aber auch eine arrivierte Videokünst­lerin und Fotografin, die mit History’s Future ihr Langfilmde­büt vorlegte: Die Geschichte eines Mannes (Mark O’Halloran), der unter Gedächtnis­verlust leidet, weitet sie zu einer losen, leider auch etwas äußerliche­n Reflexion darüber aus, wie die eigene Identität immer von anderen mitbe- stimmt wird. Die einzelnen Episoden dieser Ich-Vervielfäl­tigung bleiben zu illustrati­v, um die Gedanken nachhaltig zu verführen.

Dennoch ist Tan ein gutes Beispiel für die Auflösung von Grenzen zwischen Film und bildender Kunst, die Rotterdam praktizier­t. Das experiment­elle Kino hat einen Fixplatz, mit Rainer Kohlberger­s not even nothing can be free of ghosts und Björn Kämmerers Navigator waren hier auch zwei starke österreich­ische Arbeiten zu se- hen: eine frenetisch­e Stroboskop­attacke der eine, die Lichtwelle­n in hoher Frame-Rate auf das Auge des Zuschauers schleudert und damit Nachbilder hervorruft; ein rotierende­s Spiegelkab­inett der andere, das zwei gegenläufi­ge Bewegungsb­ilder generiert, welche die umliegende Landschaft in kubistisch­es Splitterwe­rk zerteilen.

Der US-Amerikaner Lewis Klahr ist hingegen für seine kürzeren Collagefil­me bekannt, die er mit Sixty Six nun zu einem asso- ziationsre­ichen Parcours durch Comicwelte­n und Magazinfot­os der 1960er-Jahre erweitert. In zwölf Episoden lässt sich in dem in bewunderns­wert manueller Feinarbeit entstanden­en Film eine Noir-Pop-Welt bereisen, in der man viele Anklänge an eine versunkene Ära zu entdecken meint – von der Einsamkeit in der Masse, sexuellen (Angst-)Fantasien bis hin zu surrealen Traumseque­nzen reichen die Themen, die Klahr vor dem Hintergrun­d von modernisti­schen WestcoastA­rchitektur­en und mit einem eklektisch­en Soundtrack zwischen Leonard Cohen und Claude Debussy erkundet.

In die Vergangenh­eit, genauer ins Jahr 1967, führt auch Matt Johnsons Operation Avalanche. Der US-Regisseur spielt wie in seinem nerdigen Debüt The Dirties wieder selbst die Hauptrolle; diesmal einen ambitionie­rten Dokumentar­isten, der von der CIA angeheuert wird und auf die Idee gerät, die Mondlandun­g zu faken – allerdings nicht wie Stanley Kubrick, der hier auch „eine Rolle“spielt, sondern in Undergroun­dmanier in einer nicht allzu geräumigen Garage.

Mondlandun­g und Paranoia

Der Witz von Operation Avalanche liegt in seiner hintersinn­igen Form, denn Johnson und sein Co-Star Owen Williams haben den Film zum Teil tatsächlic­h unerkannt auf Nasa-Gelände gedreht: Nicht nur die Idee der Mockumenta­ry wird hier somit verkompliz­iert, der Film mutiert sogar noch fröhlich weiter – nämlich zum paranoiden Thriller und Actionfilm, als die Filmemache­r immer mehr selbst ins Visier dubioser Hintermänn­er geraten.

Wie Johnson hat auch die deutsche Filmemache­rin Nicolette Krebitz ihren Film bereits auf dem Festival in Sundance präsentier­t. Und wie dieser beweist sie Mut, eigensinni­ge Wege zu bestreiten. Wild erzählt von einer jungen Sekretärin (Lilith Stangenber­g), deren Leben eine überrasche­nde Wendung ins Animalisch­e nimmt, als sie eines Tages am Heimweg einem Wolf begegnet.

Krebitz’ Film trifft für ihre leicht fantastisc­he Geschichte genau den richtigen Tonfall. Sie nimmt die Entfremdun­g der Frau, ihre Anziehung zu dem Tier ernst und verliert dennoch nicht den Bezug zum richtigen Leben, der öden Arbeitswel­t. Es ist ein Film über Fantasien des Ausbruchs, die Gefahr und den Kitzel, die damit verbunden sind – und über den Mut, sie auch zu Ende zu denken.

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Lewis Klahr baut in „Sixty Six“aus Comics und Magazinen seine eigensinni­gen Noir-Pop-Welten.

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