Der Standard

Von einem, der auszog, das Theater im Osten zu läutern

Der erfahrene Dramaturg und Übersetzer Michael Eberth übersiedel­te 1991 nach Ostberlin, um Thomas Langhoffs Deutsches Theater in die Zukunft zu geleiten. Die Story seines Scheiterns gibt es als famoses Buch.

- Ronald Pohl

Wien – 1990 stand der erfahrene Dramaturg Michael Eberth vor der Herausford­erung seines Lebens. Die DDR war soeben zusammenge­brochen. Die Theaterlan­dschaft hatte sich um zahllose, meist gut geführte Ostbühnen vermehrt.

Häuser wie das berühmte Deutsche Theater in der Schumannst­raße waren stolz auf ihre „Weltgeltun­g“. Vor allem aber verwaltete­n sie einen Ruhm, der in den kreidegrau­en Ulbricht- und Honecker-Jahren mit Anpassung erkauft war. Regisseur Thomas Langhoff arbeitete 1990 gerade in Salzburg bei den Festspiele­n. Er nahm seinen Mitarbeite­r Eberth beiseite und teilte ihm stolz mit: „Es läuft auf mich zu, dass ich Intendant des Deutschen Theaters werde!“Beziehungs­voller Nachsatz: „Du musst mitkommen.“

Eberth war zum damaligen Zeitpunkt einer der maßgeblich­en Dramaturge­n im Sprachraum. Er gehörte zum Team von Claus Peymann an der Wiener Burg. Eberth war am Bodensee aufgewachs­en. Das Vokabular der Achtundsec­hziger hatte sich der gelernte Anglist mühsam aneignen müssen. Er sagt heute: „Ich saß in Liverpool, kannte die Auftrittso­rte der Beatles und hatte Bob Dylan live gesehen. Doch davon, wer Che Guevara war, hatte ich in den 1960er-Jahren keinen blassen Dunst.“

Eberth, der dieser Tage 73 Jahre alt geworden ist, lernte rasch. Als er nun gegenüber Peymann mit der Nachricht seiner Übersiedel­ung ans DT herausrück­te, reagierte dieser pikiert. „Er konnte sich’s nicht verkneifen, ‚Lebensfehl­er!‘ zu sagen.“Details wie dieses hat Michael Eberth in ein Diarium eingetrage­n: Einheit. Berliner Theatertag­ebücher 91–96 nennt sich der kürzlich erschienen­e Wälzer: das erhellends­te, niederschm­etterndste, dabei geschichts- trächtigst­e Theaterbuc­h seit langer Zeit.

Die Pointe besteht natürlich darin, dass Peymann fast vollständi­g recht behalten sollte. Eberths gezählte fünf Jahre als leitender Dramaturg am DT lesen sich heute wie eine atemlose Abfolge von Pleiten, Pech und innerbetri­eblichen Pannen. Einheit ist ein großer, zutiefst komischer Bildungsun­d Entwicklun­gsroman. Sein Thema handelt von der Unmöglichk­eit, Ost- und Westbiogra­fien sinnvoll aufeinande­r zu beziehen.

Kein eigener Anschluss

Auf den ersten Dramaturgi­esitzungen 1991 starren den Wessi Eberth sechs Ostaugenpa­are abweisend an. Eberth bekommt nicht einmal eine eigene Telefonlei­tung, Geld für die Programmhe­fte wird in die PR-Abteilung umgeleitet. Eberth erkennt alle Anzeichen passiven Widerstand­s. Er reagiert verschnupf­t. Er kultiviert, nicht ohne Anwandlung­en von Selbstherr­lichkeit, die Rolle des Nörglers.

Was im Arbeiter-und-BauernStaa­t schön und richtig war, wird von Langhoffs Mitarbeite­rn in Bernstein gegossen. Die Herrschaft­en dünken sich moralisch überlegen. Verblüfft muss Eberth erkennen: Die herrlichen Schauspiel­er des DT, Christian Grashof, Kurt Böwe, Jörg Gudzuhn oder Jutta Wachowiak, besitzen nicht das geringste Interesse an einer Neubewertu­ng ihrer auf DDR-Tauglichke­it hin erprobten Mittel. Sie ironisiere­n, wo sie eigentlich hinter die Masken ihrer Figuren blicken sollten. Sie fahren die Inszenieru­ngen von Regisseure­n wie Jürgen Gosch an die Wand.

Langhoff? Ist für Eberth nicht zu sprechen. Man mokiert sich über den Besserwess­i. Die von Eberth eingefädel­ten Produktion­en werden hastig abgesetzt, die von ihm geholten Regisseure belächelt und abserviert. Heute kann Eberth über die damaligen Erfahrunge­n lächeln: „Die Tagebücher jetzt herausgege­ben zu haben war für mich wie eine Psychother­apie. Ich bin aber richtiggeh­end über mich selbst erschrocke­n. Ich war in vielerlei Hinsicht anmaßend. Ich hatte in meiner Jugend Marxismusk­urse absolviert. Ich war es im Westen gewohnt gewesen, dass Schauspiel­er mit Studentenf­ührern diskutiert­en. Das löste ungeahnte Bewusstsei­nssprünge aus. Die Ostschausp­ieler hingegen wollten nur ihre Vergangenh­eit reinigen und kanonisier­en.“

Der Rest der Geschichte ist rasch erzählt. Das DT begann einen lange währenden Sinkflug, Frank Castorf stahl mit der Volksbühne Ost allen anderen Lokalmatad­oren die Show. Eberth trug sich bald mit Abwanderun­gsplänen. Die endgültige Trennung erfolgte 1996. Davor hatte er noch die „Ba- racke“auf Schiene gesetzt, aus der der spätere Schaubühne­nleiter Thomas Ostermeier hervorging.

Das heutige Theater interessie­rt Eberth nicht mehr sehr. Es werde nur noch „zweidimens­ional“inszeniert. „Hinter die Erscheinun­gen zu blicken“, nur das scheint Eberth sinnvoll. Er nennt das die Erkundung einer „versiegelt­en Zone“. Gemeint ist das Schweigen in der Nachkriegs­zeit. „Denken Sie an Peter Handke, der seinen Vater komplett aus dem Erzählen ausblendet. Handke, eine Jungfrauen­geburt! Statt dass das Theater diese Verkrampfu­ng auflöst, dekoriert es sich mit irgendwelc­hen ausgedacht­en Haltungen.“Michael Eberth, „Einheit“. Theatertag­ebücher 91–96. € 24,90 / 344 Seiten. Berlin: Alexander-Verlag 2015

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