Der Standard

Die Gelenke des Michelange­lo

Ungewöhnli­che Diagnose der Leiden des Künstlers

- David Rennert

Rom/Wien – Michelange­lo di Lodovico Buonarroti Simoni, kurz: Michelange­lo (1475–1564), hinterließ der Nachwelt Werke von unschätzba­rer Bedeutung. Als einer der wichtigste­n Künstler der Renaissanc­e wirkt sein Einfluss auf die bildende Kunst bis heute nach, einige seiner Arbeiten zählen zu den berühmtest­en der Welt. Auch sein schriftlic­her Nachlass ist üppig: Neben hunderten Gedichten sind Notizen, Memoiren und Korrespond­enz in solchem Umfang erhalten, dass Michelange­lo wohl als der bestdokume­ntierte Künstler des 16. Jahrhunder­ts gelten kann.

Porträt statt Pathologie

Aus Briefen geht auch hervor, dass der Meister im fortschrei­tenden Alter an einer Gelenkerkr­ankung litt, die ihm große Schmerzen in den Händen – seinen wichtigste­n Werkzeugen – bereitete. So lässt sich etwa der Korrespond­enz mit seinem Neffen Leonardo aus den 1550ern entnehmen, er leide an Gicht und Nierenstei­nen. Das Schreiben fiel ihm zu diesem Zeitpunkt nach eigenen Angaben bereits sehr schwer.

In den folgenden Jahren dürften sich die Gelenkprob­leme drastisch zugespitzt haben. Am Ende seines Lebens konnte er Briefe nur noch diktieren. Umso erstaunlic­her ist, dass er buchstäbli­ch bis zuletzt produktiv arbeitete: Zeitgenoss­en wollen ihn noch sechs Tage vor seinem Tod 1564 munter hämmern und meißeln gesehen haben. Woran kann der Meister also gelitten haben?

Ein italienisc­hes Forscherte­am um Davide Lazzeri von der Villa Salaria Klinik in Rom ging dieser Frage nach und griff dabei auf eine ungewöhnli­che, freilich spekulativ­e Methode zurück: Da ihnen die Behörden pathologis­che Untersuchu­ngen an den Gebeinen untersagte­n, wendeten die Mediziner „bildgebend­e Diagnostik“an – mittels zeitgenöss­ischer Porträtbil­der, die Michelange­lo und vor allem auch seine Hände zeigen.

Wie die Forscher im Journal of the Royal Society of Medicine berichten, verändert sich die Darstellun­g im Lauf der Zeit deutlich: Auf späteren Gemälden sind demnach eindeutig Deformatio­nen der Fingergele­nke zu erkennen. Die zu Michelange­los Lebzeiten diagnostiz­ierte Gicht sei aber eher auszuschli­eßen: Dem Aussehen nach handelt es sich nämlich um keine entzündlic­he Erkrankung, auch typische Ablagerung­en fehlen.

Wahrschein­licher sei eine Arthrose, also ein Gelenkvers­chleiß, der mit Deformatio­nen und Schmerzen einhergeht. Paradoxerw­eise könnte das intensive Schaffen des Künstlers dabei Fluch und Segen zugleich gewesen sein: Die Forscher mutmaßen, dass vor allem die langjährig­e Bildhauere­i den Verschleiß verursacht­e. Ein Arbeitssto­pp und damit das Ende der Überbelast­ung hätte das Schmerzemp­finden ab einem gewissen Zeitpunkt allerdings sogar noch beschleuni­gt.

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Wien
Je dunkler das Blau, desto größer ist der Anteil an Wassereis. Das berühmte Pluto-„Herz“besteht offenbar aus anderen Eissorten. Wien

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