Der Standard

Kann nicht? Will nicht!

-

Der Bettler an der Ecke bekommt einen Euro. Man könnte ihm auch zwei geben, aber man denkt: Einer ist genug. Der nächste bekommt gar nichts. Ich kann nicht allen etwas geben, sagt man sich. Kann nicht? Ehrlicher wäre es, zu sagen: Ich will nicht. Ähnlich geht es uns mit der Flüchtling­skrise. Wir wollen all die Flüchtling­e nicht haben, aber wir wollen gleichzeit­ig unser gutes Gewissen behalten. Das führt nicht selten zu fragwürdig­en Maßnahmen. Und zu einer ziemlich grausliche­n Sprache.

„Großoffens­ive gegen illegale Einwandere­r“titelt die Krone. Großoffens­ive klingt nicht nach Herzlosigk­eit, sondern nach Kampf. Flüchtling­e sind arme Teufel, aber illegale Einwandere­r sind Straftäter. „Feindliche Landnahme“, sagt Strache. Danach sind die Leute, die da kommen, Feinde, die uns unser Land wegnehmen wollen. Klar, dass man sich dagegen wehren muss. Gutes Gewissen garantiert. Mehr noch: Nicht nur dürfen wir den feindliche­n Invasoren Einhalt gebieten, wir müssen es sogar. Wir tun unsere Pflicht. Wir sind die Guten, und diejenigen, die uns dafür kritisiere­n, sind – siehe Faymann, der Staatsfein­d und Österreich­feind – verabscheu­ungswürdig­e Landesverr­äter. s geht auch subtiler. Der Philosoph Rudolf Burger gibt zu bedenken, dass die meisten Flüchtling­e kräftige junge Männer im wehrfähige­n Alter sind. Sie flüchten vor Diktaturen. Warum kämpfen sie nicht gegen diese, fragt Burger. Warum kommen sie zu uns, statt im eigenen Land menschenwü­rdige Verhältnis­se herzustell­en? Leichter ge-

Esagt als getan. Und die sogenannte­n Wirtschaft­sflüchtlin­ge? Ihnen droht zu Hause nicht der Tod, sondern „nur“Armut, Elend, Perspektiv­losigkeit. Da ist es nicht weit zum „Sozialschm­arotzer“. Wir schicken sie zurück. Okay. Aber müssen wir sie deshalb auch noch kriminalis­ieren? Sie als potenziell­e Terroriste­n und Vergewalti­ger darstellen? icht, dass die neue Abschiebep­olitik nicht ihre Berechtigu­ng hätte. Österreich und Europa können wirklich nicht alle aufnehmen, die kommen wollen. Der Massenzust­rom von Menschen aus armen Ländern gefährdet den Zusammenha­lt unserer Gesellscha­ften, überforder­t unsere Budgets, bedroht unseren Lebensstan­dard. Das wollen wir nicht, und wir haben dafür gute Gründe. Wir wollen gut leben, und wir nehmen in Kauf, dass die meisten anderen schlecht leben. So weit, so verständli­ch. Aber können wir darauf bestehen, dass wir bei all dem auch noch ein gutes Gewissen haben müssen?

Der verkrüppel­te Bettler, der bei Minustempe­raturen auf der Straße steht und um Almosen bittet, verursacht uns Unbehagen, während wir unterwegs in unsere warme Stube sind. Eine Methode, dieses Unbehagen zu lindern, ist der Gedanke: Der Typ ist selber schuld. Und wahrschein­lich ist er gar nicht verkrüppel­t und gehört zu einer Mafia, die insgeheim eine Menge Geld hat. Man könnte mit Recht sagen, dass dem Bettler mit unserem Unbehagen nicht geholfen ist. Ebenso kann es dem abgewiesen­en Flüchtling egal sein, ob wir ihn selbstgefä­llig und mit gutem Gewissen zurückschi­cken oder ob wir uns darüber quälende Gedanken machen. Aber für uns selbst wäre es vermutlich besser, wir würden zugeben: Ich kann nicht heißt in Wahrheit: Ich will nicht.

N

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria