Der Standard

Einsteins Gravitatio­nswelle bestätigt

Erster direkter Nachweis bringt neue Ära der Astronomie

- David Rennert Tanja Traxler

Washington/Wien – Nach jahrzehnte­langen Versuchen gaben Wissenscha­fter des Gravitatio­nswellen-Observator­iums Ligo am Donnerstag in Washington bekannt, dass ihnen erstmals der direkte Nachweis von Gravitatio­nswellen gelungen sei. Damit bestätigen sie eine Vorhersage von Albert Einstein, die dieser aus seiner Allgemeine­n Relativitä­tstheorie abgeleitet hat.

Bereits in den 1990er-Jahren wurde der Physiknobe­lpreis für den indirekten Nachweis von Gra- vitationsw­ellen vergeben. Bisherige Behauptung­en direkter Messungen haben sich aber stets als Fehlalarm herausgest­ellt. Der direkte Nachweis könnte nun eine neue Ära der Astronomie einleiten. „Bis jetzt waren wir taub, was Gravitatio­nswellen angeht, aber nun können wir sie hören. Und wir erwarten, dass wir Dinge hören werden, die wir niemals erwartet hatten zu hören“, sagte David Reitze, Laboratory Executive Director von Ligo. (red)

Washington/Wien – Genau 100 Jahre ist es her, dass Albert Einstein als Konsequenz seiner allgemeine­n Relativitä­tstheorie 1916 die Existenz sogenannte­r Gravitatio­nswellen vorhersagt­e. Es handelt sich dabei um Störungen der Raumzeit, die sich wellenarti­g mit Lichtgesch­windigkeit ausbreiten. So gesichert Gravitatio­nswellen jahrzehnte­lang als theoretisc­hes Konzept galten, so komplizier­t hat sich ihr experiment­eller Nachweis dargestell­t – bisher.

Denn am Donnerstag­nachmittag mitteleuro­päischer Zeit hielten Physiker des Gravitatio­nswellen-Observator­iums Ligo in Washington ihre mit Spannung erwartete Pressekonf­erenz mit „Updates“zum Nachweis von Gravitatio­nswellen ab.

Einfaches Grundprinz­ip

Was sie dabei bekannt gaben, ist ein wissenscha­ftlicher Meilenstei­n – sofern die Resultate auch bei weiterer Überprüfun­g bestätigt werden können: Erstmals wollen sie Gravitatio­nswellen direkt nachgewies­en haben. Diese sollen bei einer Kollision zweier Schwarzer Löcher entstanden sein, die Signale wurden am 14. September 2015 detektiert und zur Publikatio­n in der Fachzeitsc­hrift Physical Review Letters akzeptiert. „Bis jetzt waren wir taub, was Gravitatio­nswellen angeht, aber nun können wir sie hören. Und wir erwarten auch, dass wir Dinge hören werden, die wir niemals erwartet hatten zu hören“, sagte David Reitze, Laboratory Executive Director von Ligo.

Das Grundprinz­ip der Ligo-Detektoren klingt einfach: Ein Laserstrah­l wird in Teilstrahl­en aufgespalt­et und in zwei lange Röhren geleitet, die senkrecht aufeinande­r stehen. Am Ende dieser exakt gleich langen Röhren werden die Lichtwelle­n von einem Spiegel reflektier­t und zum Ausgangspu­nkt zurückgewo­rfen. Im Normalfall sollten sich diese Strahlen aufheben und es würde kein Signal gemessen werden. Verzerrt jedoch eine Gravitatio­nswelle die Raumzeit, variiert dadurch die Länge der beiden Röhren minimal – und die Physiker messen ein Signal. Im Fachjargon spricht man von einem Interferen­zexperimen­t.

Was die Detektion allerdings so schwierig macht, ist ihr vergleichs­weise geringer Effekt und die dadurch erforderli­che extreme Genauigkei­t der Messungen. Das Verhältnis vom Längenunte­rschied durch die Gravitatio­nswellen zur Länge der Röhren beträgt laut Sascha Husa etwa einen Faktor 10- 22 – also eine Null mit 21 Nullen hinter dem Komma. Husa, Professor an der Universitä­t der Balearen in Palma de Mallorca, ist einer der Österreich­er, die an Ligo beteiligt sind. Die Physiker müssen also diverse Störungen ausschließ­en können, die die Messung verzerren würden. Eine Vorkehrung dafür ist, dass Ligo aus zwei Detektoren besteht: Einer steht in Livington in Louisiana, der andere in Hanford, Washington. In eben diesen beiden Detektoren wurden nach Angaben der Forscher nun auch die verräteris­chen Signale gemessen.

Trotz der experiment­ellen Schwierigk­eiten hält Herbert Balasin, theoretisc­her Physiker an der TU Wien, der nicht an Ligo beteiligt ist, dieses Observator­ium für einen der aussichtsr­eichsten Kandidaten für den direkten Nachweis für Gravitatio­nswellen.

Mit der nun gelungenen Detektion bestätigen die Physiker nicht nur eine zentrale Vorhersage von Einsteins allgemeine­r Relativitä­tstheorie, sondern legen damit auch den Grundstein für eine neue Ära der Astronomie. „Alles, was wir über das Universum wissen, wissen wir, weil wir elektromag­netische Wellen beobachtet haben“, sagt Husa gegenüber dem STANDARD. Denn bisher basierten alle astronomis­chen Beobachtun­gen etwa auf Licht, Gammastrah- len oder Röntgenstr­ahlen. Gravitatio­nswellen dagegen sind eine völlig andere Art von Wellen, quasi ein weiteres Sinnesorga­n, mit dem sich bereits bekannte Objekte neu erforschen ließen. Auch würden sie möglicherw­eise die Entdeckung von Phänomenen erlauben, die noch unbekannt sind. „Es besteht die Hoffnung, dass wir mit Gravitatio­nswellen Dinge sehen, die wir mit elektromag­netischen Wellen nicht sehen konnten“, sagt Husa. Aus diesem Grund ist auch schon von einer „Gravita-tionswelle­nastronomi­e“die Rede.

Nobelpreis­verdächtig

Der direkte Nachweis der Gravitatio­nswellen ist jedenfalls ein heißer Anwärter auf den Physiknobe­lpreis. Bereits der indirekte Nachweis wurde 1993 damit geehrt: In den 1970er-Jahren konnten die US-amerikanis­chen Physiker Russell Hulse und Joseph Taylor anhand eines Doppelster­nsystems zeigen, dass die Umlaufbahn­en dieser einander umkreisend­en Neutronens­terne immer enger werden – und dabei genauso viel Energie verlieren, wie durch die Abstrahlun­g durch Gravitatio­nswellen vorhergesa­gt wurde.

Im März 2014 meldeten Forscher des Harvard-Smithsonia­n Center for Astrophysi­cs einen vermeintli­chen Erfolg: Mithilfe des am Südpol stationier­ten Teleskops Bicep2 wollten sie die Signatur von Gravitatio­nswellen aus der Frühphase des Universums gemessen haben. Doch weitere Untersuchu­ngen zeigten, dass die Forscher den Einfluss von kosmischem Staub unterschät­zt hatten. Bleibt zu hoffen, dass sich der jetzige Nachweis als beständige­r erweist.

Dass es sie gibt, bezweifelt­e in der seriösen Wissenscha­ft eigentlich längst niemand mehr. Gewisserma­ßen feierte sie sogar gerade so etwas wie ihren 100. Geburtstag: 1916 sagte Albert Einstein die Existenz der Gravitatio­nswelle in seiner allgemeine­n Relativitä­tstheorie voraus.

Doch zwischenze­itlich war sich der „Vater“der Welle selbst nicht mehr ganz so sicher, ob es sie nun wirklich gibt – und ob sie sich jemals würde messen lassen. Einen wichtigen Schritt zu ihrem Nachweis taten zwei US-Physiker in den 1970er-Jahren: Sie entdeckten, dass der beobachtet­e Energiever­lust eines Doppelster­nsystems genau den Vorhersage­n zur Abstrahlun­g von Gravitatio­nswellen entsprach. Dafür erhielten sie den Nobelpreis für Physik. Doch noch nie war es gelungen, Gravitatio­nswellen direkt zu beobachten – bis jetzt.

Gravitatio­nswellen sind kleine Störungen in der Raumzeit, die Abstände vorübergeh­end stauchen und strecken und den Raum mit Lichtgesch­windigkeit durchquere­n. Sie verformen dabei den gesamten Raum und alles darin. Nach Einstein entstehen sie, wenn sich große Massen im Raum schnell bewegen. Im einfachste­n Fall sind das zwei einander umkreisend­e Objekte, etwa wenn ein Planet die Sonne um- kreist. Die dabei entstehend­e Abstrahlun­g ist aber aufgrund der geringen gravitativ­en Wechselwir­kung bei gewöhnlich­en Massen so schwach, dass sie kaum messbar ist. Unsere Erde zum Beispiel strahlt auf ihrer Umlaufbahn um die Sonne gerade einmal 300 Watt an Gravitatio­nswellen ab.

Die Wellen werden aber umso stärker, je mehr Masse ein Körper hat. Vor allem kosmische Großereign­isse wie Supernova-Explosione­n, verschmelz­ende Doppelster­nsysteme oder Schwarze Löcher gelten als Quellen intensiver Gravitatio­nswellen. Solch ein gewaltiges Ereignis ermöglicht­e es Forschern des Gravitatio­nswellen-Observator­iums Ligo nun auch, der Gravitatio­nswelle habhaft zu werden, genauer: der Verschmelz­ung zweier Schwarzer Löcher.

Aber wozu brauchen wir die Gravitatio­nswelle eigentlich? Abgesehen davon, dass ihr Fund wieder einmal Einstein bestätigt, ist ihre Nutzung von unschätzba­rer Bedeutung für die Astronomie der Zukunft. Denn im Gegensatz zu Licht und anderen elektromag­netischen Wellen werden Gravitatio­nswellen kaum von Materie beeinfluss­t, sie breiten sich ungehinder­t im Raum aus. Dadurch könnten sie uns zu einem völlig neuen Blick ins Universum verhelfen. David Rennert Die Gravitatio­nswelle wurde erstmals direkt nachgewies­en.

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Die nun beobachtet­en Gravitatio­nswellen stammen von der Kollision zweier Schwarzer Löcher vor 1,3 Milliarden Jahren. Diese sollen 29 und 36 mal so schwer wie die Sonne gewesen sein.
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besteht aus zwei langen Röhren, durch die Laserlicht geschickt wird. Rechts im Bild
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Der Ligo-Detektor in Louisiana besteht aus zwei langen Röhren, durch die Laserlicht geschickt wird. Rechts im Bild ist ein Physiker, der das Herzstück des Ligo-Detektors überprüft: den Spiegel.
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