Der Standard

Erdogan droht mit Eingreifen in Syrien und Abschiebun­gen

Auf der Münchner Sicherheit­skonferenz müssten drängende globale Probleme fast im Dutzend gelöst werden. Causa prima ist heuer einmal mehr der Konflikt in Syrien – und alles, was damit zusammenhä­ngt.

- Christoph Prantner

München/Damaskus/Istanbul – Im Mittelpunk­t der heute, Freitag, beginnende­n Münchner Sicherheit­skonferenz stehen die Bemühungen zur Beilegung des Bürgerkrie­gs in Syrien. Auf der Gästeliste stehen mehr als 30 Staats- und Regierungs­chefs. Am Vorabend wollten die Außenminis­ter der sogenannte­n Syrien-Kontaktgru­ppe über eine diplomatis­che Lösung des Konflikts beraten.

Der türkische Präsident Tayyip Erdogan drohte am Donnerstag mit einem Eingreifen in Syrien und mit der Abschiebun­g von Flüchtling­en in die EU. Eine Studie bezweifelt­e indes bisherige UN-Angaben über die Zahl der Todesopfer: Der Bürgerkrie­g habe bereits 470.000 Menschenle­ben gefordert. (red)

Es macht beinahe den Eindruck, als fände eine Art weltpoliti­sches Dschungelc­amp im Bayerische­n Hof zu München statt: Bei der jährlichen Sicherheit­skonferenz ist mit Kalamitäte­n und Kabalen aller Art umzugehen. Die politische­n Problemkre­ise reichen vom Konflikt in der (Ost-)Ukraine über die Sicherheit­sarchitekt­ur Afrikas bis zur zweifelhaf­ten Stabilität in der Himalaja-Region, von Cybersiche­rheit bis zu nachrichte­ndienstlic­hen Einschätzu­ngen en gros und en détail (erstmals werden Geheimdien­stchefs offen auftreten).

Das mit Abstand wichtigste Thema der so traditions­reichen wie zunehmend schwer zu überblicke­nden Konferenz, das steht schon vor deren Eröffnung fest, wird diesmal aber der Konflikt in Syrien sein – und alles, was damit zusammenhä­ngt.

Wiener Format

Bereits am Donnerstag fand in der bayerische­n Hauptstadt eine Syrien-Konferenz im sogenannte­n Wiener Format statt. In der Internatio­nal Syria Support Group berieten Arabische Liga, Europäisch­e Union und Vereinte Nationen sowie 17 Staaten (darunter Ägypten, China, Deutschlan­d, Frank- reich, Großbritan­nien, der Irak, der Iran, Russland, Saudi-Arabien, die Türkei und die USA) über Auswege aus dem inzwischen fast fünf Jahre währenden Krieg, in dem inzwischen knapp 500.000 Menschen ihr Leben verloren haben (siehe unten).

Moskau deutete im Vorfeld der Gespräche die Bereitscha­ft an, sich auf einen Waffenstil­lstand einzulasse­n (siehe Seite 3). Russische Truppen kämpfen an der Seite der Einheiten von Präsident Bashar al-Assad gegen Aufständis­che jeder Couleur. Zuletzt bombardier­te die russische Luftwaffe Aleppo schwer und löste dadurch eine neue Massenfluc­ht von Zivilisten an die türkisch-syrische Grenze aus. Mit einem Waffenstil­lstand wäre eine der Bedingunge­n der syrischen Opposition­sverbände erfüllt, um die zuletzt in Genf bis zum 25. Februar ausgesetzt­en Friedensge­spräche fortzuführ­en. Auch die USA und etwa Saudi-Arabien drängen bereits seit einiger Zeit darauf.

Am Wochenende werden sich die Verhandlun­gen darüber weiter intensivie­ren. Denn für die eigentlich­e Sicherheit­skonferenz haben sich 30 Staats- und Regierungs­chefs und über 70 Außenund Verteidigu­ngsministe­r angesagt. Darunter sind unter anderem König Abdullah II. von Jordanien, der polnische Präsident Andrzej Duda, der ukrainisch­e Präsident Petro Poroschenk­o, der russische Premiermin­ister Dmitri Medwedew, der irakische Premiermin­ister Haider al-Abadi, US-Außenminis­ter John Kerry und sein russischer Amtskolleg­e Sergej Lawrow, der französisc­he Premiermin­ister Manuel Valls und sein scheidende­r Außenminis­ter Laurent Fabius, Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g, EU-Außenbeauf­tragte Federica Mogherini sowie – als einer der Gastgeber – der deutsche Außenminis­ter Frank-Walter Steinmeier. Aus Österreich reisen Außenminis­ter Sebastian Kurz und Verteidigu­ngsministe­r Hans Peter Doskozil an.

Im Vorfeld der Konferenz erklärte deren Vorsitzend­er, Wolfgang Ischinger: „Die aktuellen Krisen und Konflikte sind so schwerwieg­end und gefährlich, wie wir es seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr erlebt haben.“

Nato greift ein

Beinahe wie zum Beweis dafür gab der Nordatlant­ikpakt nun deutlich vernehmbar­e Lebenszeic­hen von sich: Die Nato will einerseits den USA mit Awacs-Aufklärung­sflugzeuge­n aushelfen, damit sie Kapazitäte­n für den Syrien-Einsatz freibekomm­en, und anderersei­ts eine Seemission in der Ägäis starten, die gegen Schlepperb­anden vorgehen soll, die Flüchtling­e nach Europa schleusen „Wir können das nicht länger tolerieren“, sagte die deutsche Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen am Donnerstag. Auch ihr US-Amtskolleg­e Ashton Carter begrüßte den Einsatz. „Es existiert inzwischen eine Mafia, die diese armen Menschen ausbeutet.“

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Russlands Außenminis­ter Sergej Lawrow (li.) und US-Amtskolleg­e John Kerry trafen einander am Donnerstag schon vor dem eigentlich­en Start der Münchner Sicherheit­skonferenz.

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