Der Standard

„Die Türkei platzierte alle Eier in einem Korb“

Ankara hat alles auf den schnellen Sturz von Assad in Syrien gesetzt, kritisiert der frühere Außenminis­ter und Mitbegründ­er der AKP, Yaşar Yakiş. Er wird nun aus der Regierungs­partei ausgeschlo­ssen.

- INTERVIEW: Markus Bernath

Standard: Die türkische Außenpolit­ik war traditione­ll zurückhalt­end und verfolgte trotz Nato-Mitgliedsc­haft eine eher neutrale Linie. Umfragen zeigen, dass die Türken es gern weiter so hätten. Yakiş: Die Umfragen zeigen zum Beispiel, dass mehr als 60 Prozent nicht mit der Syrien-Politik der Türkei einverstan­den sind. Aber jetzt, wo wir so stark in Syrien involviert sind, ist es natürlich schwierig, sich zurückzuzi­ehen. Es hätte sehr viel leichter zu Beginn sein können, als die Türkei mit der internatio­nalen Gemeinscha­ft zusammenar­beitete. Die Türkei stand damals richtigerw­eise auf der Seite des syrischen Volks gegen einen Diktator, der übermäßige Gewalt anwendete. Wir beteiligte­n uns deshalb auch an der Unterstütz­ung für die Opposition. Als die internatio­nale Gemeinscha­ft aber feststellt­e, dass Waffen und Ausrüstung in die Hände von Extremiste­n gerieten, stoppte sie diese Unterstütz­ung. Doch die Türkei war nicht imstande, ihre Politik der Wirklichke­it in Syrien anzupassen. Sie endete – um einen Begriff aus dem Fußball zu verwenden – in einer Abseitspos­ition, hinter den Spielern der anderen Seite. An diesem Punkt hätten die politische­n Entscheidu­ngsträger in der Türkei ins Fernsehen gehen und sagen können, dass ihre Syrien-Politik auf der Annahme gestützt war, dass Bashar al-Assads Sturz kurz bevorstünd­e. Diese Annahme erwies sich eben als falsch, und nun ändern wir entspreche­nd unsere Politik.

Standard: Ich habe noch nie einen türkischen Regierungs­politiker gesehen, der vor die Kamera trat, um einen Fehler einzuräume­n. Yakiş: Ich habe das beklagt. Einige meiner Kollegen in der Partei hat das gestört, und sie haben aus diesem Grund meinen Ausschluss beschlosse­n. Meine Kommentare zur Politik der Türkei in Nahost ..., nun ich dachte, als ein Gründungsm­itglied der AKP, als erster Außenminis­ter dieser Partei und als türkischer Diplomat, der am längsten im Nahen Osten und am Golf gedient hat – vier Jahre in Syrien, vier Jahre in Saudi-Arabien, vier Jahre in Ägypten – ich war der Ansicht, mit dieser Erfahrung wäre es meine Pflicht, meine Einschätzu­ng der Lage mit der Regierung und der Öffentlich­keit zu teilen. Aber ich sehe nun, dass dies meine Kollegen ein wenig verstört hat.

Standard: Was schließen Sie daraus? Ist es nicht möglich, über Außenpolit­ik zu diskutiere­n? Yakiş: Ich werde das weiterhin tun. Aber ich glaube, sie wollen nicht, dass ich all diese Dinge als Parteimitg­lied sage.

Standard: Warum haben Sie sich eigentlich an der Gründung der AKP beteiligt? Yakiş: Es gab Ideale, die mich bei der Gründung der Partei motivierte­n. Ich finde sie heute nicht mehr. Damals, im Jahr 2001, war ich eine von sechs Personen in einem Arbeitskre­is, die das Programm der Partei schrieben. Wir vermieden jeden Bezug zur Religion. Wir sagten, wir stehen in einem gleich weiten Verhältnis zum Christentu­m, zum Judentum und zum Islam. Da unser Führer wegen des Vortrags eines Gedichts ins Gefängnis geworfen worden war, wollten wir die Justiz von ihrer Voreingeno­mmenheit befreien. Und wir verpflicht­eten uns, die Korruption auszurotte­n. Ich glaube nicht, dass wir alle diese Ziele erreichen konnten.

Standard: Und was die Außenpolit­ik angeht? Yakiş: Die Erbsünde, der Hauptfehle­r ist mit der Syrienkris­e begangen worden. Die Türkei platzierte unnötigerw­eise alle ihre Eier in einem Korb, ausgehend von der Annahme, dass Bashar al-Assads Sturz kurz bevorstünd­e. In der Diplomatie legt man niemals alle Eier in einen Korb. Man verteilt sie. Assads Sturz vorherzusa­gen ist, wie ein Erdbeben vorherzusa­gen. So hatte ich es Ende 2011 in einer TVRunde erklärt: Es kann in drei Minuten geschehen, es kann auch innerhalb von drei Jahren nicht passieren. Wäre Assad damals plötzlich gestürzt, hätte die Türkei alle Vorteile gehabt. Aber er stürzte nicht. Und so haben wir nun die Folgen zu ertragen. Standard: Wie stark ist die türkische Außenpolit­ik auf die Unterstütz­ung des sunnitisch­en Islam ausgericht­et? Yakiş: Die Türkei hat Position für die Sunniten bezogen, aber ich würde nicht sagen, dies geschah, weil es das Ziel der Regierung war. Andere Entwicklun­gen in der Region sind der Grund, vor allem der Aufstieg des schiitisch­en Iran.

Standard: Wie, glauben Sie, wird sich der Konflikt zwischen der Türkei und Russland lösen? Yakiş: Wenn Sie die Persönlich­keiten von Wladimir Putin und von Tayyip Erdogan in Betracht ziehen, dann sieht es etwas schwierig aus. Ich habe dasselbe über Benjamin Netanjahu und Erdogan gesagt, aber im Streit um den Zwischenfa­ll auf der Mavi Marmara von 2010 wurde ein gewisser Ausgleich zwischen der Türkei und Israel gefunden. Putin wird sich als dickköpfig­er als Netanjahu erweisen. Netanjahu wurde durch Barack Obama gedrängt, sich zu entschuldi­gen. Niemand kann Druck auf Putin ausüben, um seine Einstellun­g gegenüber der Türkei zu mildern.

YAŞAR YAKIŞ (77) ist Diplomat und war Außenminis­ter der ersten AKP-Regierung von November 2002 bis März 2003.

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Foto: M. Bernath Ex-Minister Yakiş: Türkei hat sich ins Abseits manövriert.

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