Der Standard

Tumult bei Auschwitz-Prozess

Polizei musste 87-jährige Holocaust-Leugnerin schützen

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Detmold/Berlin – Mit einem Tumult begann am Donnerstag in Detmold (Nordrhein-Westfalen) der Prozess gegen einen früheren SS-Wachmann des Vernichtun­gslagers Auschwitz. Dem Verfahren gegen den 94-jährigen Reinhold H., dem die Staatsanwa­ltschaft Beihilfe zu Mord in 170.000 Fällen vorwirft, wollte auch die in Neonazi-Kreisen verehrte 87-jährige Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck beiwohnen.

Sie wurde jedoch vor dem Besucherei­ngang von aufgebrach­ten Passanten so stark bedrängt, dass sie von Polizisten geschützt werden musste. Schließlic­h fuhr Haverbeck mit dem Auto davon. Die 87-Jährige ist vor zwei Monaten wegen Volksverhe­tzung in zwei Fällen zu zehn Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt worden. Sie hatte im April 2015 am Rande des Lüneburger Prozesses gegen den früheren SS-Mann Oskar Gröning erklärt, Auschwitz sei kein Vernichtun­gs-, sondern ein Arbeitslag­er gewesen.

Laut Anklage soll Reinhold H. 1943 und 1944 als Angehörige­r des SS-Totenkopfs­turmbanns Auschwitz im Stammlager eingesetzt worden sein. Die Staatsanwa­ltschaft beschuldig­t ihn der Beihilfe bei der sogenannte­n „Ungarn-Aktion“– der Deportatio­n und Ermordung von Juden aus Ungarn im Jahr 1944 –, der Beihilfe bei Massenersc­hießungen und der von den Nationalso­zialisten so genannten Selektion von KZ-Insassen zur Ermordung.

Der Prozess begann mit einem emotionale­n Appell eines Auschwitz-Überlebend­en: „Herr H., wir sind fast gleich alt, und wir stehen bald beide vor dem höchsten Richter. Ich möchte Sie auffordern, uns die historisch­e Wahrheit zu sagen“, sagte der ebenfalls 94-Jährige. Der Angeklagte schwieg am ersten Tag des Prozesses, er hatte aber zuvor schon eingeräumt, im Lager tätig gewesen zu sein.

Bis Mai sind zwölf Verhandlun­gstage anberaumt, es wird aber wegen des Gesundheit­szustands des Angeklagte­n nur zwei Stunden pro Tag verhandelt. Oskar Gröning ist 2015 wegen Beihilfe zum 300.000-fachen Mord in Auschwitz zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig. (bau)

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Foto: dpa / Friso Gentsch Ursula Haverbeck benötigte am Donnerstag Polizeisch­utz.

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