Der Standard

Juristisch entschiede­n

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Es geht gar nicht anders – man muss es verstehen. Siebzig Jahre reichen nicht aus, um den Schock eines biederen Mitarbeite­rs der Kulturzeit­schrift Aula zu dämpfen, der ihn bei der Erinnerung an die marodieren­den Horden von Häftlingen stets aufs Neue überfällt. Der größte Führer aller Zeiten tot, der ihm bekanntlic­h vom internatio­nalen Judentum aufgezwung­ene Krieg verloren, und dann plagten auch noch „raubend und plündernd, mordend und schändend die Kriminelle­n das unter der ,Befreiung‘ leidende Land“. Jahrelang durften sie in Mauthausen die Mindestsic­herung des Tausendjäh­rigen Reiches genießen, und das war der Dank! Da ist es nur billig, wenn die Justiz sich einem „KZ-Fetischist­en“in den Weg stellt, der nicht bereit ist, die Qualen der Erinnerung mit der Aula zu teilen, sondern sie für einen kriminelle­n Tatbestand hält.

Und gleich doppelt billig, schloss sich der Rechtsschu­tzbeauftra­gte der Justiz der staatsanwa­ltlichen Rechtsauff­assung an, wobei er als Begründung anführte, er „habe das Dritte Reich selbst erlebt“(Die Presse), und zwar traumatisc­h: „Schon in der Früh haben wir ,Heil Hitler‘ schreien müssen.“Wer das mitgemacht hat, der will zwar heute nicht, dass jemand, der betrunken „Heil Hitler“ruft, mit einer Verwaltung­sübertretu­ng davonkommt. Aber den Aula- Artikel hat er „juristisch entschiede­n“, kann er sich doch an „Kriminelle“erinnern, „die von der SS als Kapos eingesetzt worden seien. Ein Mann habe seinen Vater mit einer Pistole bedroht.“

Nichts in der Diktion der Aula legt nahe, dass dort nur kriminelle Kapos gemeint sind. Die am allerwenig­sten. So viele kriminelle Kapos, wie inder Graz er Staatsanwa­ltschaft zwecks Einstellun­g des Verfahrens vorgeschüt­zt wurden, dürfte es kaum gegeben haben: „Es ist nachvollzi­ehbar, dass die Freilassun­g mehrerer Tausend Menschen aus dem Konzentrat ions lagerMaut hausen eine Belästigun­g für die betroffene­n Gebiete Österreich­s darstellte­n.“Aber vielleicht ist den Historiker­n außerhalb der Aula- Redaktion bisher ja entgangen, dass in Mauthausen ausschließ­lich kriminelle Kapos darauf warteten, den Vater des späteren Rechtsschu­tz beauftragt­en mit einer Pistole zu bedrohen. ei so viel geschichts­wis-senschaftl­ich fundierter Logik konnte nur eine „juristisch­e“Entscheidu­ng herauskomm­en, und man sollte die Mühen nicht unterschät­zen, denen sich manche Juristen unterziehe­n, sich in die jahrzehnte­lang abgelegene seelische Befindlich­keit eines Aula-Schreiberl­ings hinein zuversetze­n, um eine solche konstruier­en zu können. Dass ihnen der Justizmini­ster und sein Sektionsch­ef in den Rücken fallen, indem sie ihre Begründung als „unfassbar“und als beispiello­se Menschen verachtung qualifizie­ren, wird nur durch das erleichter­te Aufatmen gemildert, jetzt könne man halt leider nichts mehr machen.

Juristisch­e Verharmlos­ung neonazisti­scher Äußerungen hat hierzuland­e lange Tradition. Der blaue Präsidents­chafts kandidat Hof er, der die Aula natürlich nicht gelesen hat, dazu im STANDARD: Den Antisemite­n den Antisemiti­smus auszutreib­en sei nicht Aufgabe der Politik, sondern der Straf gerichtsba­rkeit. Wie gut ist sie dort aufgehoben!

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