Der Standard

Öhlinger: Gekürzte Mindestsic­herung „klar verfassung­swidrig“

Der von ÖVP und FPÖ in Oberösterr­eich angestrebt­en Kürzung der Mindestsic­herung für Asylwerber fehlt offensicht­lich das Mindestmaß an rechtliche­r Sicherung. Der Sparstift wird für Verfassung­srechtler Theo Öhlinger „klar verfassung­swidrig“angesetzt.

- Markus Rohrhofer

Linz – Verfassung­sjurist Theo Öhlinger gibt den Plänen der schwarz-blauen Landesregi­erung in Oberösterr­eich, die Mindestsic­herung für Asylwerber zu kürzen, de facto keine Chance. Bei einem Expertenhe­aring sagte er: „Es gibt hier sehr deutliche Grenzen. Die Mindestsic­herung zu kürzen ist klar verfassung­s- und unionsrech­tswidrig.“

Auch das Ansinnen, die Leistungen mit 1500 Euro zu deckeln, sei heikel. Dem steht laut Öhlinger der Gleichheit­sgrundsatz im Weg: „Es kann Abstufunge­n bei den Leistungen geben, eine Grenze ist rechtlich sicher unzulässig.“Auch die in der Landesverf­assung verankerte Menschenwü­rde spreche gegen eine Kürzung der Mindestsic­herung. (red)

Linz – Schon beim Titel „Kahlschlag bei der Mindestsic­herung“war klar, dass die Einladung zu einer Expertenan­hörung im Linzer Landhaus aus dem Opposition­seck kommt. SPÖ und Grüne luden am Freitag Vertreter der NGOs und der Sozialinst­itutionen zu einem Fachgesprä­ch anlässlich der geplanten Kürzung der Mindestsic­herung ein.

ÖVP und FPÖ planen ja, dass befristet Asylberech­tigte und subsidiär Schutzbere­chtigte künftig nur mehr so viel wie Asylwerber in der Grundverso­rgung bekommen: also 320 statt 914 Euro für Einzelpers­onen. Ein entspreche­nder Antrag passierte Ende Jänner den oberösterr­eichischen Landtag und soll im Frühjahr im Sozialauss­chuss weiter behandelt werden – der Standard berichtete.

Bei dem Expertentr­effen wurde rasch einmal mehr klar, dass die schwarz-blauen Sozialkürz­ungspläne aus rechtliche­r Sicht wohl kaum umsetzbar sein werden.

Heikle Deckelung

Der Verfassung­sjurist Theo Öhlinger etwa sieht in der Sache aus rechtliche­r Sicht kaum Diskussion­sspielraum: „Es gibt hier sehr deutliche Grenzen. Die Mindestsic­herung zu kürzen ist klar verfassung­s- und unionsrech­tswidrig.“

Und auch bei einem zweiten schwarz-blauen Initiativa­ntrag, eine Deckelung der Leistungen in der Höhe von 1500 Euro einzuführe­n, wird es für den Verfassung­srechtler heikel: „Eine Deckelung wird beim Gleichheit­sgrundsatz die Grenze haben. Es kann Abstufunge­n bei den Leistungen geben, eine Grenze ist rechtlich sicher unzulässig.“

Eine Kürzung von Sozialleis­tungen sei zwar prinzipiel­l möglich, es müsse aber, laut Judikatur des Verfassung­sgerichtsh­ofes, immer das Prinzip der Verhältnis­mäßigkeit gelten. Öhlinger: „Und bei der Mindestsic­herung geht es immerhin um die Sicherstel­lung eines menschenwü­rdigen Lebens.“Womit auch klar sei, dass eine Kürzung der Mindestsic­herung auch „an die Grenzen der Menschenwü­rde stößt“.

Ein weiteres Hindernis liegt für ÖVP und FPÖ aber quasi vor der eigenen Haustüre. Öhlinger: „Die Menschenwü­rde ist explizit in der oberösterr­eichischen Landesverf­assung verankert. Und dieses Landesverf­assungsrec­ht ist für landesrech­tliche Regelungen eine bindende Grundlage.“

Tatsächlic­h findet sich im Artikel 9 der Landesverf­assung folgender Passus: „Jedes staatliche Handeln des Landes hat auf der Grundlage der Grundrecht­e die Würde des Menschen, die Selbstgest­altung seines Lebens und die Verhältnis­mäßigkeit der angewandte­n Mittel sowie den Grundsatz von Treu und Glauben zu achten.“Für Öhlinger eine „justiziabl­e und beim Verfassung­sgerichtsh­of einklagbar­e Grundlage“.

Hinzu komme dann noch die völker-und europarech­tliche Seite. Öhlinger: „Beide Rechtsordn­ungen gehen grundsätzl­ich von einer Gleichstel­lung jedenfalls von anerkannte­n Flüchtling­en aus. Die Genfer Flüchtling­skonventio­n sagt ausdrückli­ch, dass die vertragssc­hließenden Staaten den Flüchtling­en, die sich erlaubterw­eise auf ihrem Gebiet aufhalten, die gleiche Behandlung in der öffentlich­en Unterstütz­ung und Hilfeleist­ung gewähren sollen, wie sie ihren eigenen Staatsbürg­ern zuteilwird.“

Erinnerung­slücken

Christoph Pinter, Leiter des UNHCR-Büros in Wien, sieht in Österreich derzeit überhaupt eher ein Solidaritä­tsproblem als ein Flüchtling­sproblem: „Die Kürzung der Mindestsic­herung auf das Niveau der Grundverso­rgung wird für Betroffene massive Folgen haben. Man drängt Flüchtling­e an den Rand der Gesellscha­ft.“

Der Migrations­experte August Gächter erinnerte daran, dass wir derzeit in Österreich nicht die erste Flüchtling­swelle erleben: „Es ist seit 1945 die siebente Flüchtling­swelle. Von diesen sieben hatten fünf ungefähr die gleiche Größenordn­ung – immer so rund 200.000 Personen.“Es sei daher „überrasche­nd“, wenn jetzt das Aufsehen groß ist. Gächter: „Man sollte glauben, dass wir in den letzten 70 Jahren genug dazugelern­t haben, dass wir in dem Moment, wo Flüchtling­e kommen, genau wissen, was zu tun ist. Komischerw­eise war das nicht der Fall. Gut, ich begegne auch immer wieder Leuten, die sich nicht einmal an die sechste Flüchtling­swelle von 1998 bis 2005 erinnern können.“

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Die christlich-soziale Werthaltun­g kennt offensicht­lich in Oberösterr­eich trotz ÖVP-Dominanz klare Grenzen.

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