Der Standard

Kasperlprä­sidenten

- Win

Im Jahr 1896 betrat ein künftiges Staatsober­haupt (König von Polen) die Bühne des Théâtre de L’OEuvre in Paris und begrüßte das Publikum mit dem Wort „Schreiße“. Die sich daraufhin entspinnen­den Tumulte sind in die Skandalges­chichte des Theaters eingegange­n; die Figur, die die „Schreiße“(frz. „merdre“) von sich gab, war der vom französisc­hen Schriftste­ller Alfred Jarry ersonnene Père Ubu. Mit ihm nahm Jarry groteske Machthaber, wie sie bei Shakespear­e ebenso vorkommen wie in der „realen“Welt, persiflier­end auf die Schaufel.

Seit dieser Woche wissen wir, dass sich Richard Lugner anheischig macht, den österreich­ischen Père Ubu, also quasi den Ubu Lugner, zu geben. Mit seiner Berufung auf den Kasperl erweist sich der Nationalba­umeister abermals als gfeanzter Populist. Geschickt stellt er sich in die Tradition jener tief im Volksempfi­nden verankerte­n Figuren, die kraft ihres Außenseite­rtums in der Lage sind, es den Mächtigen hineinzusa­gen, anderersei­ts aber auch ganz gerne einmal selbst Macht ausüben würden, wenn es sich einrichten lässt: Der Hofnarr will König werden. Lugner stilisiert sich selbst zum Kasperl und postuliert zugleich, dass er selbst als Kasperl der bessere Präsident wäre als alle anderen Anwärter.

Obwohl er gelegentli­ch mit dem Pracker zudrischt, ist der aus dem Kinderthea­ter her bekannte Kasperl tendenziel­l weniger übergriffi­g als seine aus- ländischen Pendants: Dazu zählen der britische Mr. Punch ( Punch and JudyShow) oder der französisc­he Guignol, bei denen Anarchie, Mord und Totschlag auf der Tagesordnu­ng stehen. Freilich gibt es auch in Österreich eine harte, brutale Kasperltra­dition. Die Grazer Germanisti­n Evelyn Zechner hat zum Beispiel 2011 offengeleg­t, dass der Kasperl zu Zeiten des Ersten Weltkriegs ein versoffene­r, hinterfotz­iger Gesell war, der „gegen afrikanisc­he Kolonialso­ldaten oder Kriegszwei­fler hetzte“.

Wir wollen hoffen, dass Ritchie „Ubu“Lugner, sollte er es denn heuer zum Bundespräs­identen schaffen, eher der sanften als der rabiaten Kasperltra­dition anhängt. Sonst wäre nämlich die Schreiße am Dampfen.

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