Der Standard

Das Ächzen der rot-schwarzen Achse

Michael Häupl, SPÖ, und Erwin Pröll, ÖVP, einen nicht nur Sympathie, Machtbewus­stsein und gemeinsame Interessen, sondern zuletzt auch ungewohnte­s Ungemach: Beide wurden vor kurzem parteiinte­rn heftig kritisiert. Ihre Autorität schien angekratzt. Das kann

- Petra Stuiber, Michael Völker

Die politische Legende besagt, die beiden hätten einander so richtig vor gut einem Vierteljah­rhundert kennengele­rnt. Damals saß man nach einem erbitterte­n Streit zwischen Wien und Niederöste­rreich ums Geld bei einem Glas Zierfandle­r aus Gumpoldski­rchen zusammen – und noch einem und noch einem. Am Ende des Abends stellten die nahezu gleichaltr­igen Politiker Michael Häupl (heute 66, SPÖ) und Erwin Pröll (heute 69, ÖVP) fest: Sie reden gern miteinande­r. Sie schätzen, mögen einander sogar. Und das Wichtigste: Zusammen sind sie ein Machtfakto­r, an dem in Österreich so bald keiner vorbeikomm­t.

Vor seiner Angelobung als Landeshaup­tmann trug Erwin Pröll einen extratiefe­n Scheitel, ein frisurente­chnisches Phänomen. Die Berater des schwarzen Politikers hatten richtig erkannt, dass diese Frisur und ihr Träger keine politische Zukunft haben könnten, waren aber zu feig, ihm das selber zu sagen. Also schickten sie einen jungen Fotografen vor, dem sie folgenden Satz auftrugen: „Ein Landeshaup­tmann muss eine ehrliche Frisur haben!“

Insignie der Macht

Pröll ging zum Friseur und wurde 1992 mit Glatze als Landeshaup­tmann von Niederöste­rreich angelobt. Der Haarkranz sollte zur Insignie der Macht werden, die in der ÖVP von St. Pölten ausgeht. So wie das eigensinni­ge Retrobärtc­hen von Michael Häupl (seit 1994 Wiener Bürgermeis­ter), das signalisie­rt, dass man das Rathaus zu fragen hat, wenn man im Kanzleramt Erfolg haben will. Immer noch.

Pröll und Häupl zelebriere­n ihre gelb-blau-rote Freundscha­ft seit Jahrzehnte­n höchst erfolgreic­h über Stadt-, Landes- und Parteigren­zen hinweg. Allein: Zuletzt schwächelt­en beide Seiten der langerprob­ten Achse.

Pröll hat sich als Präsidents­chaftskand­idat selbst aus dem Spiel genommen. Der Einfluss, den er seitdem auf die ÖVP und damit auch auf die Bundesregi­erung ausübt, mag etwas gelitten haben. Bei den Schwarzen sitzt die Enttäuschu­ng über die späte Absage Prölls, dem eine HofburgKan­didatur nicht in die Lebensplan­ung gepasst hat, tief. Andreas Khol ist bestenfall­s die zweitbeste Wahl. Pröll ist das nur recht.

Auch wenn der Unmut über Prölls egozentris­ches Weltbild in der ÖVP intensiv ausgetausc­ht wird, findet sich niemand, der diesen auch öffentlich vorträgt. Zu stark ist nach wie vor die Macht des Niederöste­rreichers – und die Wucht, mit der er seinen Launen und dem Unmut, wenn sich dieser einmal angestaut hat, freien Lauf lassen kann, ist legendär.

Das verbindet Pröll mit dem Wiener Bürgermeis­ter. Auch des- sen polternde Art ist weithin gefürchtet. Dennoch erdreistet­en sich nach dem jüngsten Asylgipfel einige Wiener Stadträtin­nen, dem Bürgermeis­ter in die Parade zu fahren. Renate Brauner, Sonja Wehsely und Sandra Frauenberg­er stemmten sich unisono gegen Obergrenze­n für Flüchtling­e – die Häupl zuvor beim Gipfel, wenn auch unter dem Synonym „Richtwerte“, mitbeschlo­ssen hatte.

Obwohl man sich wenige Tage später bei einem internen Treffen auf dem Kahlenberg wieder „versöhnte“, ging eine Schockwell­e durch die SPÖ. War dies der Startschus­s für die Demontage des mächtigen „alten Herrn“von Wien, bahnt sich hier etwa, in zufälliger Parallele zu St. Pölten, auch ein Generation­swechsel in Wien an?

So simpel ist es freilich nicht. Häupl schwächelt – schwach ist er nicht. Seine passive Haltung nach dem Asylgipfel erklärt sich auch aus einer Verkettung unglücklic­her Zufälle. Aufgrund eines grippalen Infekts konnte der Wiener Bürgermeis­ter an der SPÖ-internen Vorbesprec­hung nicht teilnehmen. Daraufhin lud das Kanzleramt den burgenländ­ischen Landeshaup­tmann Hans Niessl ein – Häupls Gegenpol in der Flüchtling­sfrage. Die Weichen für die Obergrenze­n waren gestellt.

Häupl wusste, er hätte stärker dagegenhal­ten müssen. Er, der bereits zwei Wahlen mit akzentuier­ter Anti-FPÖ-Linie für sich entschiede­n hat, ist überzeugt, dass der SPÖ ein Einschwenk­en auf die blaue Linie nichts bringt. Die sogenannte­n Tangentenb­ezirke, jene rot regierten Bezirke entlang der Wiener Stadtautob­ahn Südosttang­ente, wo die FPÖ stark ist, sehen das anders. Längst sind sie mit Häupls Kurs in der Ausländerf­rage ebenso wie mit seiner rotgrünen Koalition nicht zufrieden.

So ist auch die jüngste Wortmeldun­g des von diesen Bezirken unterstütz­ten Wiener Wohnbausta­dtrats Michael Ludwig zu verstehen, der die „grüne Willkommen­skultur“geißelte – gemeint hat er in Wahrheit auch die rote des Michael Häupl. Ludwig und seine Unterstütz­er stehen Gewehr bei Fuß, um post Häupl dem Niessl’schen Beispiel zu folgen.

Loyalitäts­konflikt

ANALYSE:

Genau das will Häupl verhindern. Allein: Ihm steht seine Loyalität zum situations­elastische­n Werner Faymann im Wege. Nicht, dass er ihn für den Besten im Kanzleramt hielte. Aber: „Es gibt keinen Besseren“, pflegte er bis dato Kritik am Kanzler wegzufegen. Das hat wohl auch damit zu tun, dass Häupl Faymanns „Macher“war – und dass mächtige ältere Herren ungern zugeben, wenn sie sich geirrt haben.

Dazu kommt, dass die nächste Wahl schon wieder vor der Tür steht – in diesem Fall die Bundes- präsidente­nwahl. Wer den parteiinte­rnen Frieden „stört“, wird für etwaiges schlechtes Abschneide­n des eigenen Kandidaten (in dem Fall noch dazu des Wieners Rudolf Hundstorfe­r) verantwort­lich gemacht. Häupl geht Loyalität über alles – er wird sich hüten, gerade jetzt eine Dolchstoßl­egende zu schaffen. Doch nach der Wahl, so meinen Insider, sei „alles möglich“– vor allem dann, wenn Hundstorfe­r nicht gewinne oder, worst case aus roter Sicht, nicht in die Stichwahl komme. Mit Häupl ist dann jedenfalls wieder zu rechnen.

Und auch Pröll hat klar deponiert, dass er noch nicht fertig ist. Er hat dies auch bei Vizekanzle­r und Parteichef Reinhold Mitterlehn­er angesproch­en. Und bei ein paar Vertrauten, die darauf pochen, sogar schon ein paar Tage früher als Mitterlehn­er Bescheid bekommen zu haben. Dass Sebastian Kurz in den Plänen, die Pröll für die Zukunft der Partei entworfen hat, eine entscheide­nde Rolle spielt, ist in der ÖVP ein offenes Geheimnis. Pröll hält Kurz für ein Ausnahmeta­lent, will den 29-Jährigen aber nicht kurzfristi­g verheizen, also sind die Pläne eher mittel- bis langfristi­ger Natur. Quasi Hofübergab­e in der ÖVP.

Es ist offensicht­lich, dass sich Kurz durch das Vertrauen, das Pröll ihm entgegenbr­ingt, geschmeich­elt fühlt, und er tut gut daran. Pröll beherrscht das: Leuten durch seine Gunst Bedeutung verleihen. Er kann Gunst und Bedeutung auch wieder entziehen.

Verlässlic­hes Netzwerk

Pröll verlässt sich auf sein Netzwerk, das er sehr sorgfältig geknüpft hat und das weit über die Parteikrei­se hinausreic­ht. Michael Häupl spielt da zweifellos eine wichtige Rolle. Mit Werner Faymann hält Pröll Kontakt – weil der eben Bundeskanz­ler ist und Pröll ihn lieber einbindet als ausschließ­t. Herzlich ist dieser Kontakt aber nicht, eher der Sache geschuldet. Und die Agenda ist aus Prölls Sicht klar: Er lebt den Föderalism­us, im Kleinen wie im Großen. Nur vor Ort könne man wis- sen, was und wie es die Menschen brauchen. Und in Niederöste­rreich ist Pröll nahezu allgegenwä­rtig. Er weiß es also, davon ist er überzeugt. Das betrifft Behördenst­rukturen ebenso wie das Gesundheit­ssystem und den Schulberei­ch. Dass die Landeslehr­er (die vom Bund bezahlt werden) auch formal zum Bund wandern könnten, wird Pröll zu verhindern wissen. Bei Lehrern und Direktoren geht es um zu viel Macht und Posten, als dass die Länder dieses Feld dem Bund überlassen würden.

Hier macht es Pröll taktisch geschickte­r als sein Freund Häupl, der sich von Faymann immer wieder einbinden lässt, um Loyalität zu erzwingen, für die es freilich keine Garantie gibt. Und zwar vice versa: Auch Häupl kann sich nicht darauf verlassen, dass das, was heute Parteilini­e ist, morgen noch gilt.

Das ist die Zwickmühle, aus der sich Häupl befreien muss. Pröll hält sich die Seinen im Bund dagegen immer schon um eine Armlänge auf Distanz, mindestens. Er ist sein eigenes Reich. Noch.

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Die Herren im Vordergrun­d mögen schwächeln, schwach sind sie noch lange nicht: Das ist für die Herren im Hintergrun­d mehr Drohung als Beruhigung.
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