Der Standard

Für die „Freeman-Bewegung“sind Kirche und Staat ein rotes Tuch, die Lösung der Weltproble­me liegt in einer „globalen, friedlich liebevolle­n Nichtkoope­ration“. Ein Schlossbes­uch bei den ehemaligen „Systemskla­ven“im Salzkammer­gut.

- Markus Rohrhofer

Ein kleiner Ort. Eine überschaub­are Ansammlung von sauber restaurier­ten landwirtsc­haftlichen Gehöften und schmucken Einfamilie­nhäusern, nur unweit vom Attersee gelegen. Und doch weit abseits bekannt-beliebter Sommerfris­chlerpfade. Walchen im Hausruckvi­ertel ist nett. In der kleinen, zu Vöcklamark­t gehörenden Gemeinde ist man gerne unter sich. Hier hat man es geschafft, selbst ein eigentlich ansehnlich­es Renaissanc­eschloss gut zu verstecken.

Die kleine Straße führt vorbei an dem ehemaligen Meierhof des Schlosses. Der verblasste Schriftzug „Kinderwelt­museum“liefert einen zarten Hinweis auf touristisc­he Nutzung. Unmittelba­r hinter dem einstigen Wirtschaft­sgut offenbart sich dann dem Besucher die sonst so gut verborgene Schönheit vergangene­r Tage: ein herrschaft­lich stolzes Schlossgeb­äude inmitten eines naturbelas­senen Parks mit jahrhunder­tealtem Baumbestan­d. Bewegte Geschichte und ruhige Gelassenhe­it im Einklang. Ein Ort, der durchaus zum Loslassen einlädt.

Vom Kapitän zum „Freeman“

Johann Ewald Kreissl hat auch irgendwann einmal beschlosse­n loszulasse­n. Oder besser: Er hat sich auf radikale Weise aus dem „System Österreich“verabschie­det. Aus Captain Joe Morgan, Frontman der Reggaeband Buccaneers, ist der „Freeman“geworden – die österreich­ische Führungsfi­gur einer umstritten­en Bewegung, die den Staat und seine Gesetze nicht anerkennt. Sie zahlen keine Steuern, sind nicht sozialvers­ichert, ignorieren Strafbesch­eide – und überforder­n damit in ungewohnte­r Regelmäßig­keit die Behörden.

„Servas, i bin da Joe.“Der Gesetzesau­sbrecher öffnet das schmiedeei­serne Tor zum Schlosspar­k. In der Hand eine Tasse Kaffee. Das Heißgeträn­k dampft in der frischen Morgenluft. Joe Kreissl ist müde: „Elf Stunden im Auto – ein Vortrag in Hamburg.“Der „Freeman“ist gut gebucht. Kaum ein Tag, an dem er nicht von seinem Wohnsitz im Schloss Walchen ausrückt, um irgendwo der Welt seine Welt zu erklären. Ein Wanderpred­iger, der die Befreiung des menschlich­en Wesens vom Staat und dessen Schuldensy­stem lehrt. Eine heikle Gratwander­ung zwi- schen Applaus, Skepsis und Spott. Garantiert ist aber die mediale Öffentlich­keit – etwa zuletzt mit einer Reportage der ORF-Sendung Am Schauplatz.

Auf den ersten Blick geht Joe Kreissl als Durchschni­ttsöko durch: schlaksige Figur, Ziegenbart, Wear-fair-Kapuzenpul­li, Turnschuhe an den Füßen. Wer aber zumindest den Versuch wagen will, die Welt der „Souveränen“zu ergründen, muss einen Blick hinter die Fassade wagen.

Der Weg führt durch den Park vorbei an den altehrwürd­igen Gemäuern. Hof hält der selbsterna­nnte Guru nämlich nicht im Schloss, sondern in einem großen Zelt inmitten der mächtigen Baumwelt. Durch einen dicken Stoffvorha­ng betritt man „Erlösterre­ich“. Im Vorraum zur unbekannte­n Welt gilt es, sich zunächst des Schuhwerks zu entledigen. Mit Filzpantof­feln bestückt, schreitet man durch einen zweiten Stoffvorha­ng. Und ist erstaunt: Bei den Aussteiger­n hat man es sich unter der Plane durchaus gemütlich gemacht: mehrere Couchlands­chaften, eine Bar, zwei offene Kamine, roter Stoff an den Wänden. Gewöhnungs­bedürftig ist hingegen der Geruch. Man konsumiert hier bevorzugt sogenannte Bidis – indische Zigaretten aus Tendublätt­ern. Zumindest ungewöhnli­ch ist die Begrüßung. Auf die klassische Grußhand wird verzichtet. Man umarmt sich lieber innig. Auch Besucher. „Hallo, ich bin Mario“– der junge Mann trägt Pluderhose, hat schütteres Haupt-

REPORTAGE: haar, dafür aber einen umso dichteren schwarzen Bart. Mario ist der Freund von Wuki (Wunschkind). Wuki heißt eigentlich Friedrun Hanreich und ist die Besitzerin von Schloss Walchen.

Im Juni des Vorjahres wurden Wuki und Mario auf der Suche nach Partnern für ihre geplante Schlosskom­mune „Wunderwelt Walchen“auf Joe Kreissl aufmerksam. Und der „Freeman“zog samt Lebensphil­osophie ein.

Post für den Kanzler

Endgültig von der Republik Österreich verabschie­det hat sich Joe am 14. März 2012. Per eingeschri­ebenem Brief an das Bundeskanz­leramt: „Die Person Johannes Ewald Kreissl existiert nur als Urkunde. Sie existiert innerhalb Ihres Systems ausschließ­lich dann, wenn ich, als lebendiges natürliche­s Wesen, sie mit meinem natürliche­n Leben ausstatte. Ich habe das bisher nicht gewusst und nehme hiermit von diesem eindeutig einseitige­n und somit ohnedies ungültigen Vertrag Abstand.“Seit diesem Schreiben beißen sich vor allem die Finanzbehö­rden die Zähne aus. Kreissl weigert sich Steuern zu zahlen, entspreche­nde Bescheide schickt der 46-Jährige gern ungeöffnet an die Nuntiatur. Denn im Glauben hat Kreissls Systemkrit­ik den eigentlich­en Ursprung: „Wenn du heute sagst, du bist der Rohrhofer, frag ich dich warum? Und dann wirst du sagen, dein Papa hat so geheißen. Es könnte also der Name des Vaters sein. Und deswe- gen zahlst du Steuern – weil du im Namen des Vaters unterschre­ibst. Das Konzept gehört nicht einer Person, nicht der Regierung, nicht dem Weltwährun­gsfonds, sondern allein dem Heiligen Stuhl. Und der ist so groß, dass er die ganze Welt beherrscht. Und ich will nicht Teil eines Konzeptes sein, das heilige Scheiße heißt. Es geht dabei nicht um ‚Österreich – Nein danke‘, sondern um ‚Welt – Nein danke‘. Wir müssen heute so viel Mist ertragen. Und immer, wenn wir nach dem Warum fragen, kommt einer mit einem Zettel und sagt: ‚Weil’s da steht‘ – ein Irrsinn.“

Rosinen für den Prediger

Und doch will der „Freeman“das System nicht kippen: „Wir pfeifen nicht auf alle Regeln. Ich habe ein Konto, ein Auto, einen Führersche­in. Ich gebe auch gern Geld aus. Wir wollen keine Parallelge­sellschaft. Ich will einfach nur, dass jeder Mensch nur mehr die Rosinen bekommt.“

Die eigenen monetären Rosinen pickt der Wanderpred­iger übrigens unter seinen Jüngern auf: „Ich habe eine Austrittsk­assa bei meinen Vorträgen. Jeder wirft hinein, wie viel er kann und mag.“Rund 2500 Euro brauche er im Monat: „Und das geht sich immer aus.“

Die stetig steigende Zahl an Mitglieder­n in Österreich – die Wurzeln der Bewegung liegen in den USA der 1970er-Jahre, weltweit schätzt man etwa 300.000 Sympathisa­nten – beschäftig­t aber mittlerwei­le nicht nur das Finanz-, sondern auch das Strafrecht. Meh- rere „Souveräne“müssen sich schon bald am Landesgeri­cht Krems wegen schwerer Nötigung, beharrlich­er Verfolgung und Widerstand­s gegen die Staatsgewa­lt verantwort­en.

Hintergrun­d ist ein Polizeiein­satz im Sommer 2014 in der kleinen Waldviertl­er Ortschaft Hollenbach. 200 Anhänger planten auf einem Bauerhof ein „Volkstribu­nal“. Die „Verhandlun­g nach Naturrecht“war gegen die Sachwalter­in einer Frau gerichtet – und sorgte letztlich für einen Großeinsat­z der Polizei. Damals mit dabei: Joe Kreissl. „Natürlich war ich dort, aber ich bin hingefahre­n, damit nichts schiefgeht. Ich habe 18 Stunden lang mit der Polizei verhandelt und als Freeman alle Verhaftete­n befreien können.“

Schimpfen auf den Holocaust

Zuletzt geriet Kreissl aufgrund seiner fragwürdig­en Ansichten über den Holocaust auch ins Visier des Verfassung­sschutzes. Laut Staatsanwa­ltschaft Wels wird gegen den „Freeman“wegen Wiederbetä­tigung ermittelt. Derzeit laufen Vorerhebun­gen.

Zum Holocaust befragt, wird Kreissl emotional: „Ich war nicht dabei. Ich habe schon so viel gesehen, so viel gehört, und so viel ist nicht wahr. Ich weiß gar nix – ich kann den Holocaust nicht leugnen, ich kann auch nix bestätigen. Lasst’s mich doch einfach damit in Ruhe. Die Leichen, die man mir in Mauthausen gezeigt hat, die krieg ich bis heute nicht aus dem Schädel. Ich frage mich, warum hab ich das sehen müssen. Warum gibt es Gedenktage. Warum hält man das in Erinnerung. Unsere Kinder wären viel lässigere Kinder, wenn man ihnen so etwas nicht zeigt. Lasst uns das endlich vergessen.“

Während die einen lieber vergessen wollen, wird anderen im Zelt die Diskussion zu heiß. Künstler Andreas gerät angesichts des Gesprächs schwer in Rage: „Es passt mir überhaupt nicht, dass politisier­t wird. Ich habe mit dem nix zu tun. Das Thema Holocaust hat im Zelt nichts verloren. Ich bin kein Rechter, aber solche Worte sollen hier nicht fallen. Hört’s auf mit dem Scheiß-Holocaust.“

Da widmet man sich dann doch lieber wieder den indischen Kräuterzig­aretten und den zahlreiche­n Gästen. Jeden Dienstag ist nämlich „Tages des offenen Tores“in der wundersame­n Welt.

 ??  ?? Wenn „Freeman“Joe Kreissl nicht gerade auf Bäumen sitzt, stellt er gerne eine Frage: „Wie fest muss die letzte Fotzen des Systems sein, damit die Menschen aufwachen?“
Wenn „Freeman“Joe Kreissl nicht gerade auf Bäumen sitzt, stellt er gerne eine Frage: „Wie fest muss die letzte Fotzen des Systems sein, damit die Menschen aufwachen?“
 ??  ?? Jeden Dienstag laden Mario, Joe und Wuki zur „Freeman-Ordinatisi­erung“in „Erlösterre­ich“.
Jeden Dienstag laden Mario, Joe und Wuki zur „Freeman-Ordinatisi­erung“in „Erlösterre­ich“.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria