Der Standard

Weshalb Frankreich nicht vom Fleck kommt

Kaum Kritik an einer Regierungs­umbildung, die vor allem als Wahlwerbun­g dienen soll

- Stefan Brändle aus Paris

ANALYSE: Frankreich ist eben doch eine Monarchie – eine Wahlmonarc­hie. Einen neuen Beleg lieferten diese Woche die Regierungs­umbildung und die Verfassung­sreform. Für beides gäbe es gute Gründe. Wirtschaft­lich bewegt sich Frankreich langsam, wenn überhaupt. Die Staatsschu­ld nähert sich der 100Prozent-Schwelle, die Arbeitslos­igkeit erreicht Rekordwert­e; von der sozialen Malaise, das daraus resultiert, profitiert der rechtspopu­listische Front National.

Gegen den Abwärtstre­nd würde eine verstärkte Regierung helfen. Das geltende Ausnahmere­cht seit den Anschlägen von November in einen Rechtsrahm­en zu überführen wäre ebenfalls sinnvoll – es würde nächtliche Razzien nicht nur legitimier­en, sondern auf die Dauer auch effiziente­r machen.

Der persönlich­e Vorteil zählt

Sowohl die Regierungs­umbildung als auch die Verfassung­srevision haben aber ein anderes Ziel: Sie sollen François Hollandes Chancen bei den Präsidents­chaftswahl­en 2017 erhöhen. Zu diesem Zweck versucht der im Umfrageloc­h steckende Präsident, sich ein Hardliner-Image zu verpassen. Er verlängert den Ausnahmezu­stand und will Terroriste­n die Staatszuge­hörigkeit aberkennen. Das würde wohl keinen Selbstmord­attentäter abhalten; es verärgert aber viele Parteifreu­nde und führte auch zum Rücktritt von Justizmini­sterin Christiane Taubira.

Um auch den linken Flügel seiner Partei bei der Stange zu halten, bildet Hollande nun die Regierung um und holt die 2014 abgesprung­enen Grünen wieder an Bord. Französisc­he Medien kritisiere­n dies alles nicht: Sie kennen nichts anderes. Le Monde beschrieb den Regierungs­wechsel wie einen Vorgang zu Hofe, wo der König in seinem Palast treue Diener schasst und neue an die Stelle setzt: „Der Präsident überlegt, die Minister zittern.“Ebenfalls im Alleingang berief Hollande diese Woche Außenminis­ter Laurent Fabius zum (immerhin neun Jahre lang amtierende­n) Präsidente­n des Verfassung­sgerichts.

Hollande ist keineswegs der Einzige, der sich im vierten seiner fünf Amtsjahre nur um die nächste Präsidents­chaftswahl kümmert. Es ist eine Spielart des französisc­hen Individual­ismus, dass die Politiker ihren Karrierepl­an derart über das Allgemeinw­ohl stellen können. Die hohe Kunst des Politisier­ens besteht in Paris darin, die Bürger zu überzeugen, dass man für das Wohl der Nation handelt, wenn man seine Wiederwahl verfolgt. Wenn aber – wie das seit dem Ende der De-Gaulle-Ära in wachsendem Maße der Fall ist – nur wahltaktis­ch relevante Entscheidu­ngen fallen, bewegt sich im Land gar nichts. Frankreich steht dann schlicht still.

 ?? Foto: Reuters/Wojazer ?? „Der Präsident überlegt, die Minister zittern“, brachte „Le Monde“die Atmosphäre im Élysée-Palast auf den Punkt.
Foto: Reuters/Wojazer „Der Präsident überlegt, die Minister zittern“, brachte „Le Monde“die Atmosphäre im Élysée-Palast auf den Punkt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria