„Aufstand abgehobener Eliten gegen die Bevölkerung“
Die Schweiz diskutiert über eine Verschärfung des Gesetzes zur Abschiebung straffällig gewordener Ausländer. Peter Keller (SVP) verteidigt die umstrittene Initiative seiner Partei.
INTERVIEW: Standard: Am 28. Februar soll die Schweizer Bevölkerung über die „Durchsetzungsinitiative“der SVP abstimmen. Es geht um Details zur Abschiebung von straffällig gewordenen Ausländern. Die Schweiz hat jetzt schon auf Basis der Ausschaffungsinitiative von 2010 eines der schärfsten diesbezüglichen Gesetze in Europa. Warum noch eine Initiative? Keller: Im Jahr 2010 hat die Schweiz der sogenannten Ausschaffungsinitiative zugestimmt. Grundsätzlich wollte die Mehrheit der Bevölkerung, dass bei schweren Delikten Ausländer ohne Wenn und Aber des Landes verwiesen werden. Die in der Umsetzung nachträglich eingebaute „Härtefallklausel“sieht aber vor, dass man in jedem Fall noch einmal nachverhandeln kann. Die Bevölkerung hat übrigens den Gegenvorschlag des Parlaments, der eine ähnliche Ausnahmeregelung wie die Härtefallklausel wollte, deutlich abgelehnt. Deshalb die neue Initiative. Standard: Juristen sagen, dass die Härtefallklausel nur bei weniger schweren Fällen zum Tragen kommt und dass – so steht es im geltenden Gesetz – bei Kapitalverbrechen „obligatorische Ausweisung“zu erfolgen hat. Das reicht nicht? Keller: Die Praxis hat gezeigt, dass sehr viele schwerkriminelle ausländische Straftäter im Land bleiben. Die Klausel ermöglicht es den Gerichten, in der Art und Weise fortzufahren. Die Mehrheit der Schweizer ist gegen diese lasche Auslegung.
Standard: Die Verhältnismäßigkeit, die durch die Klausel geprüft werden kann, und die Grundrechte sind Prinzipien eines demokratischen Rechtsstaates. Was sagen Sie zum Vorwurf, dass Ihre Initiative den Rechtsstaat gefährdet? Keller: Jeder – ob Schweizer oder Nichtschweizer – bekommt genau den gleichen Prozess. Damit ist die Rechtsstaatlichkeit gewahrt. Bei schweren Delikten wie Mord, Menschenhandel, Vergewaltigung etc. soll aber nach Verbüßen der Strafe automatisch eine Ausschaffung erfolgen. Und wenn schon von Rechtsstaatlichkeit die Rede ist, dann soll man bitte auch diesen Volksentscheid akzeptieren, der da lautet: Die Verhältnismäßigkeit ist bei geringeren Delikten gewährleistet, aber bei schweren Straftaten soll eine Ausschaffung erfolgen.
Standard: Das ist ja – wie gesagt – jetzt schon so in dem sehr scharfen Gesetz geregelt. Keller: Die Härtefallklausel erlaubt es, jeden Vergewaltiger und Mörder vor einer Ausschaffung zu bewahren.
Standard: Wenn Sie sagen, die Richter gehen zu lasch vor, unterstellen Sie, dass sie nicht dem Gesetz entsprechend handeln. Keller: Fakt ist, dass die Rechtsprechung und der Strafvollzug jahrelang zu täterfreundlich waren, Resozialisierung stand im Zentrum. Wir wollen die Opfer und das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung ins Zentrum stellen.
Standard: Fakt ist auch, dass Sie auch Menschen abschieben wollen, die in der Schweiz aufgewachsen sind. Und das auch wegen einfacher Körperverletzung, Brandstiftung oder Sozialmissbrauchs. Keller: So geringe Delikte sind das auch wieder nicht. Und es müssen zwei Verurteilungen aus diesem Deliktekatalog vorliegen.
Standard: Juristen gehen aber davon aus, dass die Schweiz mit einer solchen Praxis in vielen Fällen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verstößt. Keller: Man kann die EMRK auch unter Vorbehalten ratifizieren, wie das beispielsweise Frankreich und auch andere Staaten getan haben.
Die Härtefallklausel
erlaubt es, jeden Vergewaltiger und Mörder vor einer Ausschaffung zu
bewahren.
Standard: Die Rektoren und Rektorinnen der Schweizer Universitäten warnten vor negativen Auswirkungen auf den Bildungsstandort und internationale Bildungsverträge. Sie teilen diese Sorge nicht? Keller: Das ist absurd. Genauso absurd ist es, wenn die Wirtschaftsverbände die bilateralen Verträge gefährdet sehen. Das ist nichts anderes als der Aufstand abgehobener Eliten gegen die Bevölkerung und reiht sich ein in die Versuche, die demokratischen Rechte der Schweizer zu beschneiden. Standard: Es gab bereits konkrete Auswirkungen, zum Beispiel nach der Masseneinwanderungsinitiative. Da reagierte das EU-Forschungsrahmenprogramm Horizon 2020 mit einer Herabstufung. Keller: Es sollte die Forschungszusammenarbeit und nicht die politische Disziplinierung im Zentrum stehen. Aber wenn es nicht anders geht, kann die Schweiz auch mit den USA oder asiatischen Ländern Forschungsprojekte verwirklichen. Die EU ist nicht die Welt.
Standard: 25 Prozent der in der Schweiz wohnhaften Personen haben keinen Schweizer Pass. Der Großteil davon kommt aus dem EURaum. Wie denken Sie, wirkt sich diese Diskussion auf die Atmosphäre des Zusammenlebens aus? Keller: Persönlich erlebe ich oft, dass Ausländer, die sich integriert haben, noch weniger verstehen, wieso die Schweiz so pfleglich mit Leuten umgeht, die ihr Gastrecht missbrauchen. Die Kriminalitätsrate der hier ansässigen Menschen aus EU-Staaten ist übrigens etwa gleich tief wie jene der Schweizer. Personen aus Balkanstaaten oder dem Maghreb weisen eine bis zu sechsmal höhere Quote auf.
PETER KELLER (44) sitzt seit 2011 für die Schweizerische Volkspartei (SVP) im Nationalrat. Am Sonntag ist er einer der Diskutanten im Burgtheater zum Thema „Debating Europe: Zukunft der Demokratien“(14. 2., 11 Uhr).