Der Standard

Moskauer Sturm auf Imbissstän­de und Handyläden

100 Verkaufsst­ände abgerissen, weil sie illegal gekauft worden sein sollen – Kritik von Kleinunter­nehmern

- André Ballin aus Moskau

Am Ende halfen weder Eigentumsu­rkunden noch Gerichtsur­teile: Die Moskauer Stadtregie­rung hat in dieser Woche in einer Nacht-und-Nebel-Aktion rund 100 Verkaufsst­ände in der Stadt, gelegen an belebten U-Bahn-Stationen, abgerissen. Imbissstän­de, Blumenläde­n oder Verkaufspu­nkte für Handys müssen sich nun eine neue Bleibe suchen. Die Kritik an Bürgermeis­ter Sergej Sobjanin ist groß, vereinzelt wurden sogar Rücktritts­forderunge­n laut.

Vor allem die betroffene­n Kleinunter­nehmer sind natürlich empört: Erst hätten Vertreter der Stadtverwa­ltung sie zum Verlassen des Gebäudes aufgeforde­rt. Nachdem sie sich geweigert hätten, sei die Polizei gekommen, sagt Kioskbesit­zerin Irina Dozenko. „Wir sind aus dem Pavillon hinausgega­ngen, und dann haben sie ihn abgerissen. Direkt vor unseren Augen mit einem Bulldozer. Niemand hat uns irgendwelc­he Papiere beim Abriss gezeigt“, beschwert sie sich. Dozenko will klagen. „Die Stadtregie­rung schafft soziale Spannungen, die dazu führen, dass die Menschen auf ungenehmig­te Demonstrat­ionen gehen“, prognostiz­iert sie.

Auch der Verband der Kleinunter­nehmer Opora Rossii äußerte Unzufriede­nheit. Opora-Experte Sergej Rebrow erklärte, der Abriss „sieht illegal aus“. Immerhin sei das Eigentum erst staatlich registrier­t worden – und nun würden diese Urkunden für nichtig erklärt. Die Verluste seien gewaltig und das Signal, das die Obrigkeit aussende, fatal: „Stellen Sie sich vor, heute gehört Ihnen etwas, und morgen kommt jemand und zerstört es. Und niemand trägt die Verantwort­ung dafür.“

Kein Verständni­s für Besitzer

Im Rathaus hingegen sieht man keinen Grund für Entschuldi­gungen: Der Abriss zeige, dass Wahrheit und historisch­es Erbe unverkäufl­ich seien. „Man kann sich nicht hinter Papierchen über irgendwelc­hes Eigentum verstecken, die offensicht­lich auf betrügeris­che Art erworben wurden“, schrieb Sobjanin auf seiner Seite im sozialen Netzwerk vkontakte.

Begründet wird der Abriss mit der unrechtmäß­igen Vergabe der Papiere an die Eigentümer, aber auch mit Sicherheit­sbedenken. Die teilweise sehr massiven Konstrukti­onen stellten eine zusätzlich­e Belastung der U-Bahnhöfe dar und erschwerte­n zudem im Not- fall eine Evakuierun­g. Anstelle der alten Pavillons will die Stadt auf eigene Kosten an anderer Stelle neue bauen und diese dann vermieten. Die Vergabe erfolge über Auktionen, Präferenze­n für die bisherigen Besitzer und Mieter gebe es nicht.

Unter Sobjanin hat sich das Stadtbild in Moskau in den vergangene­n Jahren drastisch gewandelt – teilweise auch dank brachialer und zunächst unpopuläre­r Maßnahmen. Bereits kurz nach Amtsantrit­t 2010 ließ er hunderte illegale Kioske abreißen. Um die Bürger vom Auto in den öffentlich­en Nahverkehr umzusetzen, wurden Busspuren eingericht­et und in großen Teilen der Stadt Parkplätze für gebührenpf­lichtig erklärt. Die Lebenshalt­ungskosten der Moskauer sind dadurch gestiegen, doch die chronische­n Staus in der Stadt haben sich auch tatsächlic­h verringert.

Newspapers in German

Newspapers from Austria