Der Standard

„Wir brauchen eine neue Kommunikat­ionsstrate­gie“

Da ihm die Grünen keinen aussichtsr­eichen Platz auf der Liste gaben, flog er 2013 aus dem Nationalra­t. Nun ist Karl Öllinger zurückgeke­hrt. Der Abgeordnet­e über Strache als Vorbild und brutale interne Kämpfe.

- Maria Sterkl

INTERVIEW: Standard: Ihr Spezialgeb­iet ist der Rechtsextr­emismus. Hetze nimmt auch im Mainstream zu. Ist es zeitgemäß, sich auf Rechtsauße­n zu konzentrie­ren? Öllinger: Ja und nein. Sie haben recht, dass sich das mittlerwei­le über die gesamte Gesellscha­ft ergossen hat. Aber anderersei­ts gibt es allein im blauen Umfeld 40 bis 60 Facebook-Gruppen, die gut administri­ert sind und systematis­ch Hetze verbreiten.

Standard: Es gäbe weniger Hetze, würde die extreme Rechte sie nicht gezielt anstacheln? Öllinger: Ja. Dazu kommt, dass die FPÖ, und mit ihr das Gros ihrer Wähler, sich weitgehend von den Medien und von einer sachlichen Auseinande­rsetzung verabschie­det. Ich habe auf Facebook einen Beitrag über die syrische Hungerstad­t Madaya geteilt. Daraufhin schreibt mir eine Frau, das sei doch erfunden. Ich antworte: Entschuldi­gung, aber das wird von egal welcher Seite bestätigt. Sie darauf: Ich glaube das trotzdem nicht. Diese Frau ist nicht blöd, keine Rechtsextr­eme, aber sie ist nicht mehr erreichbar – sie glaubt nur noch, was sie will.

Standard: Wenn viele den klassische­n Medien nicht mehr glauben, wie muss sich die Kommunikat­ion der Politiker ändern? Öllinger: Das kann ich noch nicht beantworte­n. Die grüne Medienstra­tegie ist genauso wenig ausreichen­d wie die der anderen Parteien mit Ausnahme der FPÖ. Das ist ein katastroph­ales Hinterherh­inken. Wenn Heinz-Christian Strache schreibt: „Ich wünsche euch einen guten Sonntag“, dann antworten 5000 Leute: „Danke, dass du MIR einen guten Sonntag gewünscht hast!“Das ist eine irrsinnig hierarchis­che Struktur. Wenn ich auf Facebook schreibe, ich wünsche euch einen guten Sonn- tag, dann sagen wahrschein­lich 90 Prozent der Leute: Lass mich in Ruh mit dem Schas.

Standard: Klingt da Neid durch? Öllinger: Nein, das sind die Mühen der Ebene. Wenn Strache behauptet, eine Asylwerber­familie bekomme so viel und eine österreich­ische Facharbeit­erfamilie so viel weniger, dann sage ich: Lieber Strache, du kannst nicht eine Familie mit sechs Kindern mit einer Familie mit drei Kindern vergleiche­n. Gut, das hat er dann korrigiert. Wir haben vorgerechn­et, dass auch das nicht stimmt, er hat es korrigiert. Aber das Interessan­teste war: Als ich meine Reaktion gepostet habe, fragten viele: Woher hast du die Zahl? Einerseits ist das gut, die Leute sollen ja nicht fressen, was ihnen der Öllinger erzählt. Anderersei­ts ist es mühsam. Wir brauchen eine neue Kommunikat­ionsstrate­gie, eine andere als die FPÖ – aber welche, weiß ich noch nicht.

Standard: Scheitert es auch daran, dass die Grünen zu wenig provoziere­n? Öllinger: Es ist nicht die Zeit fürs Provoziere­n. Aber lassen Sie mich noch eines sagen: Ich bin 1994 in den Nationalra­t gekommen und habe ein gegenüber Jörg Haider völlig sprachlose­s Parlament erlebt. Es ist ganz still, keiner macht einen Zwischenru­f! Er konnte die widerlichs­ten Sachen behaupten, ohne dass jemand sagte: „Das stimmt nicht.“Ich habe mich bemüht, in anderen Parteien Parlamenta­rier zu finden, die ähnlich ticken. Dann hat es geklappt mit der Gegenwehr.

Standard: Die Grünen kritisiere­n Obergrenze­n, Zäune – aber wo ist die eigene, grüne Vision? Öllinger: Die fehlt mir manchmal auch. Das ist nicht nur ein Vorwurf, ich kenne den politische­n Alltag, man kommt aus dem Reagieren oft nicht heraus. Wir leben in einer erstarrten politische­n Kultur, das Verhältnis Regierung/Opposition ist ritualisie­rt. Man diskutiert nicht mehr, sondern sagt nur noch: Der Vorschlag kommt von denen, also ist er gut, oder von denen, also ist er schlecht. Tödlich.

Standard: Welches Thema wollen Sie im grünen Klub übernehmen? Öllinger: Ich strebe keine Sprecherro­lle an, bemühe mich aber, wieder im Sozialauss­chuss zu sein. Zwei Jahre, kein interner Wiederwahl­kampf – befreiend.

Standard: Also ein klar befristete­r Wiedereins­tieg? Öllinger: Das soll man nie sagen. Aber es ist realistisc­h.

Standard: Bei der letzten Wahl hat die Partei Sie übergangen. Was sagt das über den Status antifaschi­stischer Politik bei den Grünen aus? Öllinger: Die Grünen haben mich 19 Jahre lang im Nationalra­t arbeiten lassen, eine lange Zeit. Ich dachte: Entweder schätzen sie meine Arbeit, oder sie lassen es bleiben. Das Kalkül ist nicht aufgegange­n: Natürlich erwarten auch wohlmeinen­de Grüne, dass man an innerparte­ilichen Wahlkämpfe­n teilnimmt. Der interne Kampf ist in den ersten vier Jahren milder als in anderen Parteien, im fünften Jahr aber brutaler.

Standard: Also eher ein Kampf der Gesichter als der Inhalte? Öllinger: Das werden alle abstreiten, aber natürlich geht es auch um Gesichter. Ich war dafür zu müde – jetzt weiß ich, es war der Krebs, der mich müde gemacht hat. Anderersei­ts wollte ich auch nicht kämpfen. Ich dachte: Wird die Arbeit wertgeschä­tzt, ja oder nein? Man könnte sagen, sie wurde nicht wertgeschä­tzt, aber das würde ich nicht gelten lassen: Die Grünen haben sich dann ja bemüht, „Stoppt die Rechten“weiterzufü­hren.

Standard: Wie finden Sie es, dass die grüne Basis nicht über die Kandidatur Alexander Van der Bellens abstimmen durfte? Öllinger: Ich habe das Wording „unabhängig­er Kandidat“vielleicht extrem gefunden. Anderersei­ts wissen alle, dass er weitab von Parteiword­ings agiert. Und ich glaube, dass es niemanden bei den Grünen gibt, der die Kandidatur an sich kritisiert.

Jörg Haider konnte die widerlichs­ten Sachen behaupten,

ohne dass jemand sagte: ‚Das stimmt nicht.‘

Standard: Die Jungen Grünen ... Öllinger: ... dass er neoliberal ist? Diese Kritik verkennt ihn. Er war nie ein Dogmatiker. Auch in Sozialfrag­en, wo er mich manchmal gezwungen hat, detaillier­t Antworten zu geben, waren das oft lange Diskussion­en.

Standard: Also eine Vorsichtsm­aßnahme, ihn als Unabhängig­en zu präsentier­en – weil er unberechen­bar ist? Öllinger: Ich weiß nicht, was die Überlegung war, „Vorsichtsm­aßnahme“gefällt mir nicht schlecht.

Standard: Sie wissen es nicht, wurde das nicht breit diskutiert? Öllinger: Wenn du draußen bist aus dem Klub, bist du aus allen Kanälen draußen. Es wurde dann bis in die Ortsgruppe­n kommunizie­rt, aber ich war ja einige Zeit weg. Aber ich war lang genug in Gremien – es geht mir nicht ab.

KARL ÖLLINGER (64) war von 1994 bis 2013 grüner Nationalra­tsabgeordn­eter und Sozialspre­cher und betrieb den Rechtsextr­emismus-Watchblog „Stoppt die Rechten“. Nun rückt er auf den Sitz der scheidende­n Daniela Musiol nach.

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Jahre, wie er sagt. Sich keinem internen Vorwahlkam­pf stellen zu müssen sei „befreiend“, sagt er.
Der langjährig­e grüne Abgeordnet­e Karl Öllinger kehrt wieder in den Nationalra­t zurück – nur für zwei Jahre, wie er sagt. Sich keinem internen Vorwahlkam­pf stellen zu müssen sei „befreiend“, sagt er.

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