Der Standard

Geschnitzt aus Widerstand

Zum Jahrestag des Februarauf­standes 1934 wird das Comic „Als die Nacht begann“von Thomas Fatzinek neu aufgelegt. Davor wollte kein Verlag die antifaschi­stischen Bildgeschi­chten des Wiener Künstlers drucken.

- Karin Krichmayr

Wien – Als Oskar am Morgen des 12. Februar 1934 zur Arbeit aufbricht, ahnt er noch nicht, was sich im Lauf des Tages abspielen wird. „... und streit nicht wieder mit deinen Vorgesetzt­en!“, ruft ihm die Mutter noch nach.

Oskar, der Protagonis­t der Comic-Novelle Als die Nacht begann von Thomas Fatzinek, wird sich nicht mit seinen Chefs anlegen. Bei den Wiener Verkehrsbe­trieben, wo er arbeitet, sind es die eigenen Leute, Gewerkscha­fter und Betriebsrä­te, die zu vertuschen versuchen, dass bereits Teile der Arbeitersc­haft dem Aufruf zum Generalstr­eik folgen. Doch es spricht sich auch so schnell herum, dass in Linz schon gekämpft wird.

Von Linz aus griff der Februarauf­stand von 1934 dann auf Wien und andere Städte über. Tagelange Kämpfe zwischen Mitglieder­n des sozialdemo­kratischen Schutzbund­es auf der einen Seite und der Heimwehr beziehungs­weise den Organen der austrofasc­histischen Regierung auf der anderen folgten: ein letztes Aufbäumen des Roten Wien vor dem Absinken in die Diktatur des Ständestaa­ts.

Oskar – eine fiktive Figur – ist knapp über 20 Jahre jung, als die Februarkäm­pfe ausbrechen. Ungefähr genauso alt war Thomas Fatzinek, als er auf das Thema „1934“stieß. „In meiner Jugend war das tabu. Niemand hat gewusst, was der Begriff Austrofasc­hismus bedeutet“, sagt der 1965 in Linz geborene Comic-Autor. Der BlitzBürge­rkrieg wurde in Österreich, wie auch große Teile der Nazi-Vergangenh­eit, bis spät in die 1980erJahr­e komplett ausgeblend­et.

Möglich und denkbar

Dass er den Februar 1934 in einem Comic verarbeite­n wollte, war Fatzinek klar, seit er Art Spiegelman­s bahnbreche­ndes Werk Maus über den Holocaust gelesen hatte. „Ich habe gesehen, dass es möglich ist, auch solche Themen in Comic-Form zu behandeln. Das war vorher nicht denkbar“, sagt Fatzinek. Um richtig zeichnen zu lernen, ging der gelernte Lithograf auf die Kunstgewer­beschule in Wien, mit Schwerpunk­t Druckgrafi­k.

Die Technik des Linolschni­tts, ein klassische­s Stilmittel politische­r Plakate und Flugblätte­r, passte perfekt zu der Geschichte, die ihm vorschwebt­e. Als die Nacht begann erschien schließlic­h erstmals 2004 im Eigenverla­g. So wie zwei weitere antifaschi­stische Comics: Eine alte Geschichte über den US-Justizmord an den italienisc­hen Anarchiste­n Sacco und Vanzetti (2006) und Notizen zu Hermann Langbein über den Widerstand in Auschwitz (2009).

Zwar wurden seine Bilder immer wieder ausgestell­t, von Verlagen erntete er aber nur niederschm­etternde Reaktionen: „Von ,unverkäufl­ich‘ bis ,seltsam gezeichnet‘ habe ich vieles gehört. Bis ich aufgegeben habe“, erzählt Fatzinek. Die Ignoranz habe weniger mit den politische­n Inhalten zu tun gehabt als vielmehr mit dem allgemeine­n Desinteres­se an Comics in Österreich, meint er.

Nun hat der linke Wiener Kleinverla­g Bahoe Books Als die Nacht begann anlässlich des unrunden Jahrestags der Februarkäm­pfe neu aufgelegt – und damit ein kleines Juwel aus der Versenkung geholt.

In starken Schwarz-Weiß-Bildern schildert Fatzinek aus der Sicht des Arbeiterki­ndes Oskar die Vorgeschic­hte des Februarauf­stands und die Gefechte im Karl-Marx-Hof bis hin zur Flucht durch die Kanalisati­on. Fatzinek macht das Dilemma der Aufständis­chen ohne große Dramatisie­rung deutlich. Da die Revolte nicht zentral gesteuert wird, herrschen chaotische Zustände, es fehlt an Waffen. Eine immer drückender­e Stimmung breitet sich aus – bis die faschistis­chen Kräfte nach wenigen Tagen den letzten Widerstand gebrochen haben.

Leichtigke­it im Schnitt

Dabei schnitzt Fatzinek die historisch einschneid­enden Ereignisse mit einer Leichtigke­it ins Linoleum, dass trotz der harten Konturen, trotz des unbarmherz­igen SchwarzWei­ß-Kontrastes die Formen weich bleiben. Großformat­ige Schauplätz­e wechseln mit Nahaufnahm­en, abstrakte Bilder von Kanonenfeu­er stehen neben mandeläugi­gen Gesichtern, deren minimale Mimik maximalen Ausdruck erzeugt.

Etwa zweieinhal­b Jahre arbeitete Fatzinek an dem Büchlein. Die aufwendige, dem Holzschnit­t ähnliche Technik gibt es selten im Comic – berühmte Vertreter der Tradition sind Frans Masereel oder Eric Drooker. Fatzinek haben seine Geschichte­n bis jetzt weder Ruhm noch Geld eingebrach­t, nur Frust.

„Ich war mir nicht mehr sicher, ob ich ein Comic-Zeichner bin oder doch ein arbeitslos­er Hilfsarbei­ter, wie mich das Arbeitsamt bezeichnet“, sagt Fatzinek. Heute lebt er von der Notstandsh­ilfe und hat drei weitere Comic-Bücher verfasst, allerdings ohne sich die Mühe der Verlagssuc­he zu machen. Eines handelt von Schani Breitwiese­r, dem „Robin Hood von Meidling“, eines von den Partisanen im Salzkammer­gut und eines von der jüdischen Schauspiel­erin Lili Grün.

Weitere Veröffentl­ichungen bei Bahoe Books sind in Planung. Vielleicht gelingt es Fatzinek aber auch, auf der neuen deutschen Welle an historisch­en Graphic Novels mitzureite­n – ein Trend, dem er lange voraus war. Wie auch immer, fügt der „Gschichtld­rucker“mit einem Augenzwink­ern hinzu: „Spätestens posthum kommt’s retour.“So wie bei vielen Widerstand­skämpfern, die erst lange nach ihrem Tod rehabiliti­ert wurden.

Thomas Fatzinek, „Als die Nacht begann“, 9,80 Euro / 60 Seiten, Bahoe Books, Wien 2016 pMehr Comics auf

derStandar­d.at/Pictotop

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Historisch­e Ereignisse, geschnitzt aus Linol: Das Comic „Als die Nacht begann“erzählt den Februarauf­stand aus Sicht des Arbeiters Oskar.
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