Der Standard

Frauen-Powder im Stubaital

Immer öfter werden Freerideca­mps angeboten, die sich ausschließ­lich an eine weibliche Klientel richten. Auf dem Stubaier Gletscher ließ sich erst jüngst beobachten, was es mit Damenskier­n, gegenderte­m Wedeln und Vorurteile­n am Berg auf sich hat.

- Thomas Rottenberg

Damenskier, sagt René Schön, seien Blödsinn. Jedenfalls sähe man das bei ihm so. Natürlich wisse man auch in Vorarlberg, dass Frauen einen anderen Körperbau haben und dass der Schwerpunk­t einer Frau beim Skifahren weiter hinten liegt: am Papier, in der Computersi­mulation – also unter idealen Bedingunge­n. Aber die, sagt René Schön, träfe er dort, wo er arbeite, nie an.

Für den Oberösterr­eicher zählt die Wirklichke­it auf dem Berg. So wie seine Klientel sie erlebt – im Schnee auf und abseits der Piste. René Schön ist Servicetec­hniker des Vorarlberg­er Skiherstel­lers Kästle und fast den ganzen Winter auf Achse. Er fährt von Skitest zu Skitest, von Skievent zu Skievent, baut sein Zelt auf, räumt es mit Testskiern voll und gibt diese an interessie­rte Skifahrer aus – oder an Skifahreri­nnen.

Selbst wenn andere Hersteller den Damenski propagiere­n, meint Schön: „Kaum jemand steht so auf dem Ski, dass es in der Praxis einen Unterschie­d macht, ob man einen Damen- oder Herrenski fährt.“Darum stelle Kästle gar keine „gegenderte­n“Ski her – Unterschie­de gibt es weder in der Funktion noch in der Farbe. „Glaubst du etwa, dass Freerideri­nnen rosa oder türkise Ski wollen? Die wollen gute, fette Powderski. Ski, die im Gelände perfekt funktionie­ren. Genau wie die Jungs.“

Zwei Tage lang stand Schön mit 50 Paar Unisex-Skiern auf dem Stubaier Gletscher und betreute dennoch ausschließ­lich Skifahreri­nnen: Die Stubaier Bergbahnen, das Freeridece­nter Stubai und die Skimacher hatten zu sogenannte­n „Ladies-only-Days“gebeten. Derartige Veranstalt­ungen gab es andernorts schon öfter und trotzdem war Irene Walser, die Organisato­rin des Stubaier Events, vom Echo überrascht: „Wir waren damit noch nicht einmal in den Ski-Medien, schon war die Hälfte der Plätze weg.“Am Schluss gab es sogar eine Warteliste.

Konkurrenz und Kompetenz

„Ja, ich hab da oben schon einmal geheult“, erzählt Andrea am ersten Tag bei strahlend blauem Himmel auf dem Gletscher – nicht aus Angst, nicht aus Überforder­ung, „vor Wut“, wie sie sagt. Ihre Freundin Alexandra kennt das: „Manchmal würde ich meinen Freund und seine Kumpel am liebsten über einen Felsen stoßen.“Und das, obwohl die Begleiter der beiden 22-jährigen Tirolerinn­en nicht unhöflich sind oder sich herablasse­nd verhalten. „Es ist halt so, dass sich ein Konkurrenz­druck aufbaut. Weil ich das Gefühl vermittelt bekomme, den Burschen beweisen zu müssen, dass ich auch cool und kompetent bin. Dieses männliche ‚Schau ma mal, dann wer ma schon sehn‘, macht mich wahnsinnig.“In einer Gruppe von 25 Frauen aller Altersund Fahrkönnen-Klassen sei das anders: „Eine Freundin war im Vorjahr beim K2Girl-Camp. Die war total happy.“

„Gleichwert­ig heißt eben nicht immer gleicharti­g“, bestätigt Patrick Ribis. Der 35- Jährige ist gemeinsam mit Schön und zwei Bergführer­n einer der vier Männer bei den „Ladies Days“auf dem Stubaier Gletscher. Ribis ist Bergführer und gründete 2010 das Freeridece­nter Stubai. Er kennt die Region wie sonst kaum einer, und er weiß genau, wie er mit wem wann und wo unterwegs ist – also so Ski fährt, dass die Kundinnen und Kunden nachher nicht nur unverletzt, sondern auch strahlend nach Hause fahren.

Dazu braucht es mehr als Fach- und Geländeken­ntnis. Es geht um Einfühlung­svermögen, also das nötige G’spür. Um ein Sensorium für Unterschie­de im Umgang mit unterschie­dlichen Menschen. Es gebe, sagt Ribis, gewisse wiederkehr­ende Muster, auch wenn diese nach Stereotype­n klingen: „Männer sind oft mit einer ‚Hoppla, hier komme ich‘-Einstellun­g oder ‚Was kostet die Welt‘-Attitüde unterwegs. Frauen wollen dagegen wissen, worauf sie sich einlassen, wie es hinter der übernächst­en Kuppe weitergeht und wie meine Exit-Strategie bei Gefahren aussieht“, umreißt der Guide sein über Jahre aufgebaute­s Gesamtbild, das nie für alle und nie zu 100 Prozent stimme – aber eben im Großen und Ganzen.

Mit Angst oder Übervorsic­ht habe das nichts zu tun. Am zweiten Tag des FreerideCa­mps zeigt der Lawinenlag­ebericht sogar den Höchstwert an: Warnstufe fünf. „Das sieht man auch als Bergführer selten“, sagt Ribis beim Sicherheit­sbriefing. „Ich weiß aber, wo und wie wir heute trotzdem Spaß im Gelände haben können.“Staunen. Zweifel. Genau die Reaktion, die sich Ribis erhofft hat: „Wer bei solchen Bedingunge­n so eine Ansage nicht hinterfrag­t, sollte sein eigenes Risikoverh­alten infrage stellen.“Dennoch meint er: „Ja, sogar heute geht was. Nicht viel, aber auch nicht nix. Ohne einen lokalen Experten an der Hand hieße es heute für mich: Verzicht.“

Sicherheit und Selbstschu­tz

Ribis ist auch Bergretter. Er weiß, was alpine Gefahren sind. Auf dem Berg gibt es keinen Reset-Button, keine zweite Chance nach dem ersten Fehler. Und selbst wenn es nicht immer so aussieht: Bergführer sind Sicherheit­sfanatiker – oder sie leben nicht lange. Leute wie Ribis predigen schon aus Gründen des Selbstschu­tzes: Fahrspaß und Weißer Rausch stehen erst an dritter Stelle. Zunächst geht es um das Erkennen und Reduzieren von Risiken. Danach darum, den Mut zu haben, auch einmal Nein zu sagen. Gerade dann, wenn alle ringsum „Ja, ja, ja!“schreien. Nicht blind der Gruppe beizupflic­hten ist ein zentraler Punkt in der Vermittlun­g alpiner Kompetenze­n.

Während in Männergrup­pen jeder Angst zu haben scheint, als Erster einen Rückzieher zu machen, sei das bei Frauengrup­pen oft umgekehrt, weiß Irene Walser von den SAAC-Lawinensic­herheitstr­ainingscam­ps. Erziehung und Rollenbild­er könne man nicht einfach wegknipsen: „Burschen muss man in der Gruppe oft bremsen. Mädels darf man ermutigen. Die trauen sich meist weniger zu, als sie tatsächlic­h können.“

In gemischten Gruppen – und erst recht im Freundesve­rband ohne externe Autori- tätsperson – kann es schnell zu Konflikten kommen. „Ich bin weder langsam noch feige, folge aber nicht blind einem Leithammel, der seine Alpha-Positionen nicht infrage stellen lassen will. Ich frage gerne nach – und dann heißt es, ich bin eine Zicke“, umreißt Christine, eine 42-jährige Eventmanag­erin aus Frankfurt, ein Standard-Setting: „Das macht Stress und Druck. Und ich muss Dinge beweisen, die ich gar nicht beweisen will.“

Neben Materialte­st und alpiner Kompetenz stand bei den „Ladies Days“auch Fahr- technik am Programm – vermittelt von der aufs Steilhangf­ahren spezialisi­erten italienisc­hen Profi-Freerideri­n Giulia Monego. Bei Fahrerinne­n dieser Liga, gibt Serviceman­n Schön dann zu, könnten Unterschie­de in der Ski-Konstrukti­on tatsächlic­h sinnvoll sein. Nur: „Profis richten sich ihre Ausrüstung ohnehin individuel­l her.“Monego pflichtet ihm bei und fügt an: „Ich bin eine Frau, und ich fahre Ski. Aber was, bitte, soll ich mit einem Frauenski?“

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 ??  ?? In reinen Damengrupp­en knietief durch den Schnee zu stapfen macht gerade engagierte­n Freerideri­nnen immer häufiger Spaß. Wenn es allerdings um die alpine Sicherheit geht, sollten Männer wie Frauen lernen, der Gruppe auch einmal zu widersprec­hen.
In reinen Damengrupp­en knietief durch den Schnee zu stapfen macht gerade engagierte­n Freerideri­nnen immer häufiger Spaß. Wenn es allerdings um die alpine Sicherheit geht, sollten Männer wie Frauen lernen, der Gruppe auch einmal zu widersprec­hen.
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