Der Standard

Papas Sturz in die finsterste Nacht

„Vater“: Erwin Steinhauer brilliert als demenzkran­ker Patriarch in den Kammerspie­len

- Ronald Pohl

Wien – Der schrittwei­se Verfall eines Alzheimerp­atienten geht schleichen­d vor sich. André (Erwin Steinhauer) ist der charmantes­te Spätsechzi­ger der Welt. Unübersehb­ar sitzt er im eleganten Dreiteiler auf der Bühne der Wiener Kammerspie­le. Freundlich schwätzend legt er Karten. Er wirkt gallig und zugleich gemütvoll, wie das so hinreißend widerspruc­hsvoll eben nur ein Steinhauer sein kann. Obwohl ein charmantes Untier, ist er gegen seine letzte Pflegehilf­e vulgär und handgreifl­ich geworden. Tochter Anne (Gerti Drassl) kann ihre Besorgnis um den vergesslic­hen Papa kaum noch verhehlen.

Das Demenzstüc­k Vater des Franzosen Florian Zeller (36) ist eine klinisch böse König-Lear-Variante. Ein eben noch übermächti­ger Popanz stürzt tief hinab in die finsterste Nacht des Vergessens. Dem Zuschauer wird lediglich Andrés Blickwinke­l zugestande­n. Was er sieht und hört, muss ihn ebenso nachhaltig befremden wie den zusehends verdattert­en, sich selbst entgleiten­den, dabei rasend vitalen Mann.

Spukendes Schachspie­l

Gerilltes Glas schirmt den alten König ab vor den Gespenster­n, die mehr oder minder direkt seinem Gehirnkast­en entspringe­n (Bühne: Raimund Orfeo Voigt). Begebenhei­ten verdoppeln sich, Gesprächsf­etzen von ehedem kehren in marternder Endlosschl­eife wieder. Der sozial aufstreben­de Schwiegers­ohn in spe (Martin Niedermair) besitzt sein eigenes, hässlich verzerrtes Double (Oliver Huether). Die Hölle sind im kolla- bierenden Kosmos des sich Abhandenko­mmenden nicht die anderen. Die Hölle, die macht er sich schon selbst.

Regisseuri­n Alexandra Liedtke hat etwa zwei Drittel des Stücks als klinisch kaltes Schachspie­l inszeniert. Die Figuren bewegen sich in leicht abgewandel­ten Zügen immer gleich. Spuk und triste Wirklichke­it sind immer seltener voneinande­r zu unterschei­den. Nur manchmal, wenn eine Videowand hochschieß­t, verstricke­n sich Andrés arme Angehörige in konspirati­v anmutende Gespräche. Eine neue Pflegerin (Eva Mayer) punktet mit pragmatisc­her Liebenswür­digkeit.

Steinhauer gibt den Tollhäusle­r, der, keiner Zurechnung mehr fähig, immer häufiger zur Salzsäule erstarrt. Leider Gottes verpflicht­et Liedtke sich mit Fortdauer des Abends allerdings zu gehobenem Kunsthandw­erk der Güteklasse Kitsch. Dann darf Steinhauer als regrediert­er Bub im Museum seiner Kindheit Zuflucht suchen und – zu schlechter Letzt – in eine Vitrine schlüpfen.

Der endgültig in der Verwahrans­talt Gepferchte hat nach „Maman“gerufen! Steinhause­rs wegen ist diese heftig akklamiert­e Aufführung aber durchaus nicht zum Vergessen. pwww. josefstadt.org

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Ein tanzender Erwin Steinhauer auf dem Weg in die Verwahrans­talt,Gerti Drassl macht sich Sorgen um den vergesslic­hen Papa.

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