Der Standard

Putin ist kein Verbündete­r gegen den IS

Der russische Präsident legt es nicht auf eine politische Zusammenar­beit an, sondern setzt auf den Zerfall der Europäisch­en Union. Das muss Europa endlich erkennen und danach handeln.

- George Soros

Wenn die Politiker der Vereinigte­n Staaten und der Europäisch­en Union denken, Präsident Wladimir Putins Russland könnte beim Kampf gegen den Islamische­n Staat ein möglicher Verbündete­r sein, machen sie einen schweren Fehler. Sie werden von den Fakten widerlegt. Putins aktuelles Ziel ist es, die Auflösung der EU zu beschleuni­gen, und der beste Weg dorthin ist, sie mit syrischen Flüchtling­en zu überfluten.

Russische Flugzeuge haben die Zivilbevöl­kerung im Süden von Syrien bombardier­t und sie gezwungen, nach Jordanien und in den Libanon zu fliehen. Momentan zelten 20.000 Syrer in der Wüste und warten darauf, von Jordanien aufgenomme­n zu werden. Eine kleinere Anzahl wartet auf ihre Aufnahme in den Libanon. Beide Gruppen werden stetig größer.

Fassbomben

Auch in Nordsyrien hat Russland einen großen Luftangrif­f gegen Zivilisten geflogen. Daraufhin führte die die Armee des syrischen Präsidente­n Bashar al-Assad einen Bodenangri­ff gegen Aleppo durch, eine Stadt mit ehemals zwei Millionen Einwohnern. Die Fassbomben trieben 70.000 Zivilisten zur Flucht in die Türkei, und viele weitere könnten durch die Bodenoffen­sive entwurzelt werden.

Die flüchtende­n Familien könnten ihre Reise über die Türkei hinaus fortsetzen. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel flog am 9. Februar nach Ankara, um die türkische Regierung in letzter Minute dazu zu bewegen, den Aufenthalt der Flüchtling­e in der Türkei zu verlängern. Sie bot an, jährlich 200.000 bis 300.000 syrische Flüchtling­e direkt nach Europa zu fliegen, unter der Bedingung, dass die Türkei sie an einer Weiterreis­e nach Griechenla­nd hindert oder sie gegebenenf­alls von dort erneut aufnimmt.

Putin ist ein begnadeter Taktiker, aber kein strategisc­her Denker. Für die Annahme, er habe in Syrien intervenie­rt, um die europäisch­e Flüchtling­skrise zu verschärfe­n, gibt es keinen Grund. In der Tat war sein Einmarsch ein strategisc­her Fehler, da er dadurch in einen Konflikt mit dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan geriet, was den Interessen beider Seiten geschadet hat.

Aber sobald Putin die Gelegenhei­t sah, die Auflösung der EU zu beschleuni­gen, nutzte er sie. Er hat seine Handlungen dadurch verschleie­rt, dass er von einer Zusammenar­beit gegen den gemeinsame­n Feind IS sprach. In der Ukraine verfolgte er einen ähnlichen Ansatz, indem er das Abkommen von Minsk unterzeich­nete, sich aber nicht an die entspreche­nden Bestimmung­en hielt.

Warum die Führungen der USA und der EU Putin beim Wort nehmen, anstatt ihn nach seinem Verhalten zu beurteilen, ist schwer zu verstehen. Meine einzige Erklärung dafür ist, dass demokratis­che Politiker ihre Gesellscha­ften gern dadurch beruhigen, dass sie ein beschönige­ndes Bild der Wirklichke­it malen. Tatsache ist, dass Putins Russland und die EU an einem Rennen gegen die Zeit teilnehmen: Die Frage ist, wer von beiden schneller zusammenbr­icht.

2017 wird das Putin-Regime vor der Pleite stehen, wenn ein großer Teil seiner Auslandssc­hulden fällig wird, und bereits vorher könnte es politische Aufstände geben. Putins weiterhin hohe Beliebthei­t beruht auf einem Sozialvert­rag, im Rahmen dessen sich die Regierung auf die Beibehaltu­ng finanziell­er Stabilität und eines langsam, aber sicher steigenden Lebensstan­dards verpflicht­et hat. Die Sanktionen des Westens werden gemeinsam mit dem starken Rückgang der Ölpreise dafür sor- gen, dass das Regime in beiden Punkten scheitert.

Das russische Haushaltsd­efizit beträgt sieben Prozent des BIPs, und um eine unkontroll­ierte Inflation zu verhindern, muss die Regierung es auf drei Prozent begrenzen. Dem russischen Sozialvers­icherungsf­onds geht das Geld aus, und um wieder aufgefüllt zu werden, muss er mit dem Infrastruk­turfonds der Regierung zusammenge­legt werden. Diese und andere Entwicklun­gen werden vor der Parlaments­wahl im Herbst einen negativen Einfluss auf den Lebensstan­dard und die Stimmung der Wähler haben.

Die effektivst­e Möglichkei­t Putins, den Kollaps zu vermeiden, besteht darin, die EU vorher kollabiere­n zu lassen. Eine EU, die sich an den Rändern auflöst, kann die Sanktionen, die sie nach dem Einmarsch in die Ukraine gegen Moskau verhängt hat, nicht aufrechter­halten. Im Gegenteil: Eine Teilung Europas hätte für Putin erhebliche­n wirtschaft­lichen Nutzen, indem er seine kultiviert­en Verbindung­en zu kommerziel­len Interessen­gruppen und europafein­dlichen Parteien nutzt.

Zerstörung­spotenzial

So wie es aussieht, fällt die EU auseinande­r. Seit der Finanzkris­e von 2008 und den nachfolgen­den Rettungspa­keten für Griechenla­nd hat die EU gelernt, sich von einer Krise zur anderen durchzuwur­steln. Aber heute steht sie vor fünf oder sechs Krisen gleichzeit­ig, was sich als zu viel herausstel­len könnte. Wie Merkel bereits richtig vorhersah, hat die Flüchtling­skrise das Potenzial, die EU zu zerstören.

Cartoon: Rudi Klein (www.kleinteile.at)

Ist ein Staat oder eine Staatengem­einschaft in tödlicher Gefahr, sollten die führenden Politiker die harte Realität nicht leugnen, sondern sich ihr stellen. Beim Rennen ums Überleben tritt die EU gegen Putins Russland an. Der IS ist zwar für beide eine Bedrohung, sollte aber nicht überschätz­t werden. Anschläge durch jihadistis­che Terroriste­n mögen zwar erschrecke­nd sein, lassen sich aber nicht mit der Bedrohung aus Russland vergleiche­n.

Achillesfe­rse des Westens

Der IS (wie vorher bereits AlKaida) hat die Achillesfe­rse der westlichen Zivilisati­on – die Angst vor dem Tod – erkannt und Wege gefunden, sie auszubeute­n. Dadurch, dass er die latente Islamophob­ie im Westen anstachelt so- wie die Öffentlich­keit und die Regierung dazu bringt, Muslimen mit Misstrauen zu begegnen, hofft er, junge Muslime davon zu überzeugen, dass es keine Alternativ­e zum Terrorismu­s gibt. Sobald man diese Strategie durchschau­t hat, gibt es ein einfaches Gegenmitte­l: die Weigerung, sich so zu verhalten, wie der Feind es will.

Der Bedrohung aus Putins Russland wird schwer zu begegnen sein. Sie nicht zu erkennen wird die Aufgabe noch schwierige­r machen. Aus dem Englischen von Harald Eckhoff. Copyright: Project Syndicate

GEROGE SOROS (Jahrgang 1930) ist Investor, Vorsitzend­er von Soros Fund Management und der Open Society Foundation­s.

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Grafik: Felix Vladimir Grütsch Das dunkle Reich des sogenannte­n Islamische­n Staates und jenes des russischen Präsidente­n Putin sind gleicherma­ßen bedrohlich für Europa.
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Foto: EPA George Soros: Putin nach seinem Verhalten beurteilen.

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