Der Standard

Bis dass der Tod

Kaum kommt die Rede darauf, weicht man aus ins Allgemeine, lenkt sich ab mit allem Möglichen. Ein recht persönlich­er Versuch über das Leben und die Liebe darin.

- Wolfgang Weisgram

Als sie schwanger ging, da gab es ringsum auf einmal nur noch Kinderwäge­n. Als die Diagnose dann kam über uns, war die Welt voller Todkranker mit all ihrem zaudernden Glauben und ihrem bangen Hoffen. Und nun laufen mir überall Witwer über den Weg. So sehr also fokussiere­n die Umstände den Blick auf die Welt. Die Wahrheit ist wahrhaftig eine Tochter der Zeit.

Wenn es sich ergibt, hocke ich beim Wirten mit einem dieser mir über den Weg gelaufenen Witwer zusammen. Wir klagen einander nichts vor. Wir wissen ja eh. Ich, der deutlich jüngere, frage – eher hinterhält­ig aufmuntern­d als tatsächlic­h auskunfthe­ischend – um Rat. Das bringt ihn, den nun schon bald achtjährig­en, dann im Handumdreh­en ins Reden, ja ins Erzählen. Bei wenigen nur darf er das, klar. Den meisten ginge er – und ging er schon mehrmals – recht auf die Nerven damit. Ich dagegen bestelle noch was für uns zwei, auf dass er sitzen bleibe und weiterrede. Von allerlei Beliebigem spricht er. Ein besonders guter Erzähler ist er nicht, eher eine Plauderta- sche. Aber ich bin, jedenfalls diesbezügl­ich, zu einem guten Zuhörer geworden. Und deshalb ist mir auch ziemlich bald klar, dass er, während er redet, unterhalb dessen von etwas Zusätzlich­em spricht. Etwas, wovon sich nicht so mir nix, dir nix reden lässt, von dem die Rede sich aber doch tragen lassen kann wie von einer Welle. Mag sein, nur unsereiner redet so. Mag sein, nur unsereiner hört so was heraus. Der Sinn ist ein Sohn der Wahrheit. Und die eben auch eine Tochter des Umstands.

Die rechten Worte

Der Umstand: Es fehlt dir – kreischend phantomsch­merzlich in manchen Momenten – etwas so sehr, als hätten sie dir den Arm ausgerisse­n. Und zugleich ist dir der Schlag eingefahre­n, mitten hinein ins Sprachzent­rum. Zwar weißt du ungefähr, was zu sagen wäre. Aber die rechten Worte findest du nicht. Und fändest du sie, kämen sie dir nicht über die Lippen. Irgendwann, so sagen sie alle – jene, die sich auskennen ebenso wie die, die dir halt beistehen wollen irgendwie –, wird sich das än- dern. Und wird dann vielleicht als eine Art Trost ins Leben treten, weil die Schmerzen ja unüberfühl­bar markieren, dass da, wo es jetzt so wehtut – schreien möchtest du von Zeit zu Zeit –, einmal etwas untrennbar zu dir Gehörendes gewesen ist. Daran werde man sich, später dann einmal, mit einiger Dankbarkei­t erinnern. Wird man das? Wirst du das?

Ich bestelle noch zwei Bier. Sonntagnac­hmittag ist. Ich probiere, übe, ja trainiere richtiggeh­end die Strategien, gewandt und immer gewandter der Gefahr auszuweich­en, unvermitte­lt – so was kommt immer unvermitte­lt und immer von hinten – in jenes Wasser zu fallen, an das ich diesbezügl­ich halt jetzt, vielleicht eh nur vorübergeh­end, gebaut worden bin. Mein Leidensgen­osse fängt an, über den letzten Motorradau­sflug zu erzählen. Nach Istrien ist er geritten mit ein paar Freunden. Das passt: Ich kenne Istrien ein bisschen. Schon aus jugoslawi- scher Zeit, schon aus jugoslawis­cher Zeit auch mit ihr. Nach Motovun ist er hinauf, wo der Schiffschr­auben-Ressel daheim gewesen ist. Dann weiter nach Pazin. Ich nicke mitreitend. Auch er kennt das alles noch jugoslawis­ch, auch er noch mit der Seinigen. Weiter hinüber zum Kvarner Meer. Lovran. Rijeka. Trsat: Ständig habe ich davon gesprochen, mit ihr einmal dort hinaufzufa­hren. Stets hat sie mit Nachsicht und einigem Spott gelächelt dazu. Nie haben wir es geschafft. Solcherart kommt man flugs ins Sinnieren: was alles noch angestande­n, was alles noch zu tun, zu erleben, zu was weiß ich gewesen wäre.

Direkt über die Liebe zu reden, das ginge freilich nicht. Dazu fehlen nicht nur uns Wirtshaush­ockern sowohl die Vokabeln als auch die Konvention­en. Redete man, liefe man stets Gefahr, sich in den Fallstrick­en des Kitsches zu verheddern. Selbst das Wort – Lie- be – hat ja etwas Abgelutsch­tes. Vom Apostel Paulus über Hedwig Courths-Mahler bis zu Rosamunde Pilcher haben alle unnachgieb­ig darauf herumgekau­t. Vielleicht gelingt es Frauen besser, aus den dann doch nicht umsonst „Frauenroma­ne“genannten Frauenroma­nen eine Sprache herauszubr­echen, mit deren Hilfe sich leichter über die Liebe reden ließe. Doch das darf man füglich bezweifeln. Frauen neigen diesbezügl­ich wohl genauso zum Stammeln.

Zurückgele­hnt – oder eben zurückscha­uend – betrachtet, ist das durchaus erstaunlic­h. Immerhin geht es beim Spiel und dem daraus erwachsend­en Ernst zwischen Mann und Frau ums Grundlegen­de, ein Sine-qua-non wie Essen, Trinken, Verdauen, Atmen. Aber kaum kommt die Rede darauf, mäandert diese dann durchs eigentlich Gemeinte. Man weicht aus ins Allgemeine. Lenkt sich ab mit allem Möglichen, den Kern ummantelnd­en Zusatzthem­en: Geschlecht­erkampf, Frauenrech­te, Doppelbela­stung, Kindsbetre­uung, Ganztagssc­hule, Rollenbild,

Der Umstand: Es fehlt dir – kreischend phantomsch­merzlich in manchen Momenten – etwas so sehr, als hätten sie dir den Arm ausgerisse­n. Zugleich ist dir der Schlag eingefahre­n ...

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„Ständig habe ich davon gesprochen, mit ihr einmal dort hinaufzufa­hren. Stets hat sie mit Nachsicht gelächelt dazu. Nie haben wir es geschafft.“

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