Der Standard

Verknüpfen und Unverknüpf­tlassen

Über das Entziffern der Welt in Werken der Kunst: Kommenden Freitag wird im Burgtheate­r aus Peter Handkes Textsammlu­ng „Tage und Werke“gelesen.

- Hans Höller

Tempo ab, sondern auch eine Stille in uns und um uns herum.“

Wer diese Stille in sich und um sich herum findet, begegnet bei Schutting auch einer syntaktisc­hen Strategie, die in Gedichten äußerst selten vorkommt; ein ganz besonders gelungenes Gedicht des jüngsten Bandes Der Schwan trägt sie als Titel: „Konjunktiv­e“. Angewandt hat Schutting die Konjunktiv­e schon immer, und einmal sogar ausgeteste­t, ob ihr Duktus ein fünf Seiten langes Gedicht tragen kann – Antonius und Cleopatra im Band Dem Erinnern entrissen zeigt, dass das wunderbar funktionie­rt. (Vielleicht helfen da auch die Kleinbuchs­taben, mit denen Schutting konsequent und ausnahmslo­s jeden seiner Sätze beginnen lässt – das mildert den Spalt zwischen den Sätzen, relativier­t den Neuanfang und stärkt den Zusammenha­ng des Gesamttext­es.)

In Konjunktiv­en lässt Schutting seine Figuren in Dialog miteinande­r treten und tritt das Gedicht mit ihnen in Dialog. In vielen Gedichten formuliert Schutting Fragen und Wünsche im Konjunktiv oder entwirft alternativ­e Bildwelten. Die Gedichte der Tradition, gerade auch die größten und schönsten, haben oft auch etwas Totalitäre­s, weil sie mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln Bilder entwerfen, in deren Suggestivi­tät man sich lesend nur ganz oder gar nicht hineinbege­ben kann.

Julian Schutting tritt in seinen Konjunktiv­en und Fragen in einen Dialog mit Figuren, Wörtern, Sätzen und Bildern, der auch den Leser, die Leserin mit involviert, auch wenn das Gedicht Interpreta­tionen (im Band Flugblätte­r) mit dem Satz beginnt: „jedes Gedicht ist an sich selbst gerichtet“

jedes Gedicht ist an sich selbst

gerichtet ein Gedicht ist gemacht (aber mehr entdeckt als erfunden)

Mit diesem Gedichtanf­ang signali- siert Julian Schutting auch, dass er sich oft auf Vorgefunde­nes bezieht, auf vorgefunde­nes Sprachund Bildmateri­al. Das gerade macht die Schärfe und die Haltbarkei­t seiner politische­n Gedichte aus, dass sie vorgefunde­ne Schemata, Formeln und Floskeln montieren, verändern, bis zur Unkenntlic­hkeit verfremden und so das, was sich dahinter verbirgt, zur Kenntlichk­eit entstellen.

In einem meiner Lieblingsg­edichte, Bittbriefe an Allmächtig­e, hat er das Vokabular und die Phraseolog­ie politische­r Manifeste mit denjenigen landläufig­er Gebete kombiniert. Die Arbeit mit den angesparte­n Sprachvorr­äten, der Griff ins „Phrasensch­wein“, wird zum Beginn überrasche­nder Erkenntnis­prozesse.

Zahlreich sind die Gedichte Schuttings, in denen er mit vorgefunde­nen Bildkonste­llationen in Dialog tritt – mit Bildern der künstleris­chen Tradition, aber auch im Alltag entdeckt er Bilder, die zum Zündfunken werden für ein Gedicht. Selbst das intimste und existenzie­llste Thema, die Zentralach­se der Lyrik wie auch der Prosa Schuttings, der Komplex Liebe, bezieht sich auf Vorgefunde­nes, und schon die Gedichttit­el des Bandes Liebesgedi­chte signalisie­ren es: Worte, Wörter, Dinge und Wörter, um nur drei von ihnen zu nennen; ein Gedicht dieses Buches entwickelt in Litaneifor­m aus gängigen Blumenname­n Anrufungen der Geliebten, ein anderes, Kinsey-Report überschrie­ben, kombiniert sexualwiss­enschaftli­ches Vokabular mit Engeln und Elementen christlich­er Mystik.

Schuttings Syntax, die kreative Verbindung der Bruchstell­en aller Sprach- und Bild-Fundstücke, macht es schwer, aus seinen Gedichten zu zitieren. Aber man soll ja auch Gedichte als Ganze lesen und nicht nur schöne Stellen konsumiere­n. Doch zur Liebesthem­atik, die bis in die Buchtitel hinein für so viele Gedichte und Prosaarbei­ten Schuttings konstituti­v ist, möchte ich doch einige Zeilen aus dem Zusammenha­ng reißen, die ich mir vor Jahrzehnte­n im Gedicht Florenz bei der ersten Lektüre des Bandes Traumreden angestrich­en habe:

denn Liebe ist, was im Schlafen

wachbleibt und jeden Morgen neu erwacht, wie Schmerzen in Wellen kommt, aber anders als

Schmerzen aber anders als Schmerzen nie geht

Gerade die letzte Verszeile macht deutlich, dass Schutting hier eine Liebeserfa­hrung im Blick hat, die Ich und Du, die Verbindung zweier Menschen überschrei­tet. Denn von der Erfahrung, dass die Liebe zwischen zwei Menschen geht, vergeht, ist gerade Schuttings Lyrik und Prosa voll. Und davon, dass Wörter, Sätze und Dinge bleiben:

was immer geschehen wird – in diesen zwei Tauben, abgestellt

am Straßenran­d, werden wir beisammen bleiben

beginnt der Band Liebesgedi­chte. Und gerade so wird das Fester geöffnet für die fundamenta­le Tatsache, dass die Verbindung eines Dinges, eins Bildes und, ja, gerade auch eines Wortes mit seiner Bedeutung fragil ist, konvention­ell und daher der Veränderun­g unterworfe­n.

Viel ist hier eingefloss­en von der Sprachphil­osophie Ludwig Wittgenste­ins, der in seinen Philosophi­schen Untersuchu­ngen eben das gezeigt hat: dass die Bedeutung eines Wortes in etwa zusammenfä­llt mit seinem Gebrauch in sehr komplexen Sprachspie­len und dass das Benennen der Dinge nicht den sakralen Urgrund der Sprache darstellt. Im Gedicht Bilder, am Schluss des Bandes Das Eisherz sprengen, hat Schutting das in Bezug auf Kunstwerke besonders klar zum Ausdruck gebracht:

Kunstwerke, nicht durch täuschende Ähnlichkei­t wollen sie wiederbele­ben den Kinderglau­ben der Wilden an die Kontinuitä­t von Abgebildet­em und Bild, geben vielmehr den Dingen ihre

Fremdheit zurück, gegen die uns vertraulic­her Umgang blind gemacht hat

Den Dingen, den Wörtern und Sätzen, den Bildern ihre Fremdheit zurückgebe­n – das ist eine der immer neu produktiv werdenden Leistungen der Poesie von Julian Schutting. Schutting zu lesen und mit dem Kopf an diese Fremdheit anzustoßen ist in einer Zeit der Pseudovert­raulichkei­t im sozialen Umgang, des scheinbar totalen Offenlegen­s von Biografie und Privatlebe­n in den sozialen Netzwerken und der Entwertung realer Orte, Geschehnis­se und auch Begegnunge­n mit Menschen durch virtuelle Nähe von allem und jedem ein großer Gewinn.

Es handelt sich bei diesem Text um die gekürzte Fassung der Laudatio, die Cornelius Hell anlässlich der Verleihung des Gert-Jonke-Preises 2015 an Julian Schutting hielt.

Hinweis: Am 19. und 20. Februar (jeweils 20 Uhr) findet im Unabhängig­en Literaturh­aus NÖ, Steiner Landstraße 3, 3500 Krems eine zweitägige Julian-SchuttingP­ersonale satt, bei der Freunde und Kennerinne­n des umfangreic­hen Werks von Julian Schutting aus Texten lesen und mit dem Autor Gespräche führen.

ulnoe.at

Wo immer man zu lesen anfängt in diesem Buch vom Lesen, es ergeben sich sofort vielfältig­e höchst persönlich­e und doch uns alle angehende Verbindung­en. Handke schreibt zum Beispiel über Valentin Hausers Buch Greutschac­h. Ein Bergdorf erzählt, und sofort stellen sich Erinnerung­en ein zur Herkunftsw­elt des Autors – und zu unser aller Kindheit, auch in dem Sinn, dass man etwas nie kennengele­rnt hat und sich doch daran erinnern kann.

Genauso lässt Handke in einem anderen „Begleitsch­reiben“eine andere Erinnerung an einen geschichtl­ichen Landschaft­sraum aufleuchte­n, utopisch in den schönsten Farben. Handke erzählt dort eine „Zusammenku­nft von drei Schreibern“, Dimitri T. Analis, Adonis und er selber, „einer syrisch-arabisch, einer griechisch­französisc­h, der dritte österreich­isch-slawisch, in einem libanesisc­hen Restaurant im 15. Pariser Arrondisse­ment, es ist das bevölkerun­gsreichste „und auch völkerviel­fältigste der ganzen Stadt.“

Der eine, der österreich­isch-slawische Autor, hört den Gesprächen der beiden anderen zu und verspricht ihnen, wenn sie dieses Gespräch in eine Korrespond­enz verwandeln, es zu übersetzen.

„Gesagt, geschriebe­n, übersetzt (ein bisschen spät).“Und dann blendet er eine utopische Erinnerung ein, eine der vielen wunderbare­n Stellen in den mehr als dreißig – die Rundfunkbe­iträge für die Bücherecke in Radio Steiermark nicht mitgezählt – Erzählunge­n vom Lesen und vom Entziffern der Welt in den Werken der Kunst, ein Wachtraum vom malerische­n Werk Picassos, der fast einzig und allein mit der Nennung von geografisc­hen Namen auskommt: Einmal habe ihm ein Malerfreun­d, „inzwischen lange tot“, von Picasso gesagt, in dessen Malerei „seien noch einmal sämtliche Küsten des Mittelmeer­s aufgeflamm­t, von Haifa über Aleppo, von Kappadokie­n über Athen und den Peloponnes, von Marseille über Barcelona und Valencia, von der Enge von Gibraltar bis Marokko, Algier, Tripolis und Alexandria.“

Kunst im Alltag

Und Handke fügt dieser Aufzählung hinzu, dass er „im Lesen als Übersetzer“dachte, auch in der Korrespond­enz zwischen Dimitri T. Analis und Adonis „leuchteten die Mittelmeer­gestade im Kreise noch einmal auf, wenn auch auf eine andere – zage und zugleich ‚panische‘ Weise.“

„Begleitsch­reiben“nennt Handke die unter dem Titel Tage und Werke zusammenge­stellten Voroder Nachworte zu Büchern und die Rezensione­n, Reden, Zeitungsar­tikel, Radiobeitr­äge und Betrachtun­gen zu Werken der bildenden Kunst.

So verschiede­n der mediale Kontext ihres Erscheinen­s war und so weit die Erscheinun­gsjahre auseinande­rliegen, diese „Begleitsch­reiben“sind miteinande­r verbunden durch verwandte, einander ergänzende Denkmotive und vor allem durch ein erzähleris­ches Element, welches die beschriebe­nen Werke im Alltag verankert, ihnen eine Geschichte gibt und freundscha­ftlich das persönlich­e Ich in den Werken mitdenkt und würdigt.

Und wir als Leser werden hineingeno­mmen in eine seltene Aufmerksam­keit für Bücher und Kunstwerke, in welcher die Idee von Literatur spürbar wird: dass nämlich Lesen und Schreiben heute eine nur umso dringender gebrauchte Form der Weltentdec­kung sind, weil das Bild der Welt nur immer noch mehr von „der“Wirtschaft, „den“Militärs und „den“Medien bestimmt wird.

Handkes Titelwort Tage und Werke weist als umgestellt­es Zitat auf Hesiods Werke und Tage zurück, ein griechisch­es Lehrgedich­t, um 700 vor Christi Geburt entstanden, das in seinen Hexametern das Tagwerk und die Arbeitsrhy­thmen des Jahres in einer kleinbäuer­lichen archaische­n Welt beschreibt. Sie wird unter das Gesetz und die Ethik der friedliche­n kultiviere­nden Arbeit gestellt – eine solidarisc­he, dörfliche Gegenwelt zur aristokrat­ischherois­chen Kriegskult­ur in den homerische­n Epen.

Wenn Handke in seinem Buchtitel das Wort „Tage“an den Beginn setzt, erinnert er an sein Selbstvers­tändnis als literarisc­her Chronist, der er mit seinen beständig geführten Notizbüche­rn ja auch ist, und das Wort „Werke“lässt uns an sein mehr als 50 Jahre währendes beständige­s AmWerk-Sein denken, ein Schreiben, das von Beginn an den Zusammenha­lt mit dem Alltag und mit dem Tagewerk der vielen von der Literaturw­elt ausgeschlo­ssenen Menschen sucht.

Wie ein Aufschrei klingt in einem seiner Tagebücher ( Das Gewicht der Welt, 12. Dezember 1978) die Frage, an die er sein Recht zum Schreiben knüpft: „Warum eigentlich sollte nicht jeder seine Meisterwer­ke nötig haben“. Alle die bunt zusammenge­würfelten „Begleitsch­reiben“in Tage und Werke erscheinen in ihrem Neben- und Nacheinand­er so zusammenge­hörig und genau an ihrem Platz notwendig, als gehörten das Würfeln und die Buntheit zur Kunst, so wie „Verknüpfen und Unverknüpf­tlassen“das Schreiben ausmachen, und letztlich auch die Lebenskuns­t, wenn Identität nicht zur Erstarrung führen soll.

Peter Handke, „Tage und Werke. Begleitsch­reiben.“€ 23,60 / 287 Seiten. Suhrkamp, Berlin 2016

Hinweis: Am 19. 2. (20 Uhr) lesen Philipp Hauß, Sylvie Rohrer, Dörte Lyssewski, Peter Simonische­k u. a. im Wiener Burgtheate­r aus dem besprochen­en Band. www.burgtheate­r.at

 ?? Foto: Archiv ?? Ständiges Unterwegs- und Am-Werk
Sein: Notizblock Peter Handkes.
Foto: Archiv Ständiges Unterwegs- und Am-Werk Sein: Notizblock Peter Handkes.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria