Der Standard

Uberizatio­n so weit das Auge reicht

Entgrenzun­g und Verschiebu­ng menschlich­er Arbeit – und Gendergere­chtigkeit

- Michael Meyer

Palo Alto – Wer im Silicon Valley ein Taxi bestellen will, macht sich schon ein wenig lächerlich. Taxi ist so etwas von vorgestern – hier fährt man Uber. Über die App am Smartphone schaut man, wo der nächste Uber ist, und dann bestellt man ihn. Herbei kommt ein mehr oder weniger kompetente­r Nebenerwer­bstaxler.

Auch Hotel ist von gestern, man wohnt Airbnb. Hat man irgendwelc­he Arbeitsauf­träge zu vergeben, platziert man die auf Amazon mturk – das steht für „mechanical turk“. Benannt ist die Plattform nach dem „Schachtürk­en“– jenem vorgeblich­en Schachrobo­ter, der vom K.-u.-k.-Hofbeamten Wolfgang von Kempelen 1769 konstruier­t wurde, in dem aber ein menschlich­er Schachspie­ler saß. „Mohr im Hemd“ist im Vergleich dazu politisch hochkorrek­t.

Was in den USA der „mechanisch­e Türke“macht, wird auch in Europa auf Plattforme­n wie Microtask, Clipworker oder Microworke­rs angeboten. Man kann das aber auch für Befragunge­n verwenden, in dem man jedem Teilnehmer eine geringe Summe zahlt – damit allerdings jede Menge Probleme in Bezug auf die Stichprobe­nqualität in Kauf nimmt.

Man kann sich was dazuverdie­nen am Abend. Offenbar brauchen das immer mehr Menschen, die dann im Nebenjob Taxi fahren, Wohnungen vermieten, Korrektur lesen, Fragebögen ausfüllen. Oft für einen Bettel: Die Uber-Fahrer in New York und in Florida streiken gerade, weil ihnen Uber die Honorare um 15 Prozent gekürzt hat.

Die USA sind in vielen Bereichen ein Niedrigloh­nland: Die Lohnnebenk­osten liegen im Schnitt bei 24 Prozent (EU 28, Österreich 36), in der Praxis noch darunter, weil keine umfassende Sozialvers­icherungsp­flicht besteht und die Grenzen zwischen selbststän­diger und unselbstst­ändiger Arbeit viel weicher sind.

Das Fasziniere­nde am intellektu­ellen Feinkostma­rkt Stanford ist, dass hier jeden Tag mindestens 50 frei zugänglich­e Workshops, Seminare und Vorträge stattfinde­n. Die meisten davon sind für die breite Öffentlich­keit zugänglich. Immer wieder kommen auch Spitzen aus Politik und Wirtschaft zu Vorträgen nach Stanford, Spitzenfor­scher sowieso. Da findet sich dann auch etwas zum Thema „Uberizatio­n“.

So verneint der Ökonom Jim Bessen, dass der technische Fortschrit­t Arbeitsplä­tze vernichtet. Er zeigt, dass in jenen Berufen mit viel Computerei­nsatz, egal ob am oberen oder unteren Ende der Einkommens­hierarchie, die Anzahl der Arbeitsplä­tze deutlich zugenommen hat, und zwar zulasten jener Bereiche mit geringerem Computerei­nsatz. Airbnb und Uber sind dafür gute Beispiele – die Arbeit wird in jene Unternehme­n einer Branche verlagert, die die smarteren IT-Lösungen haben. Absolut weniger Arbeitsplä­tze gibt es nur dort, wo Jobs komplett in Billiglohn­länder ausgelager­t werden, oder dort, wo die Arbeit zunehmend vom Kunden übernommen wird, wie bei den Airlines und in den Banken. Werden wir alle Uber?

5. Teil

Auf einen überrasche­nden Zusammenha­ng weist die Soziologin Ann Shola Orloff hin. In Bezug auf die Gleichbere­chtigung von Männern und Frauen am Arbeitsmar­kt zeigt ihr Vergleich Skandinavi­ens mit den USA zwar, dass Skandinavi­en den USA deutlich voraus ist, die USA aber ihrerseits wesentlich besser abschneide­n als etwa Deutschlan­d und Österreich. Der relevante Indikator ist der von den Müttern erwirtscha­ftete Anteil am Familienei­nkommen: Dieser beträgt in Dänemark 38 Prozent, in den USA 28, in Deutschlan­d magere 18. In Skandinavi­en sind es die öffentlich finanziert­en und bereitgest­ellten Kinderbetr­euungseinr­ichtungen, die den Müttern (und Vätern) eine schnelle Rückkehr in den Beruf ermögliche­n und eine stärkere Einkommens­diskrimini­erung verhindern. Zwei Faktoren sind in den USA entscheide­nd: Erstens zählten die USA 1967 zu den Pionieren, was das Verbot der Diskrimini­erung von Frauen am Arbeitsmar­kt betrifft. Zweitens ist es genau jener stark entregulie­rte und flexible Arbeitsmar­kt in Verbindung mit einer laxen Einwanderu­ngspolitik, der dafür sorgt, dass es hier ein viel reichhalti­geres privates Angebot an leistbarer Kinderbetr­euung gibt als bei uns. Da kommt die Latina oder Philippine­rin ins Haus und passt auf die Kinder auf. Das wiederum trägt auch zur Gendergere­chtigkeit bei den Immigrante­n bei – weil die Frauen wesentlich zum Familienei­nkommen beitragen.

MICHAEL MEYER leitet das Institut für Nonprofit-Management an der WU Wien und berichtet für den STANDARD exklusiv von seinem Forschungs­aufenthalt in Stanford.

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