Der Standard

„Die Botschaft: Du bist immer eher einer zu viel“

Franz Oberlehner, Leiter der Psychologi­schen Beratungss­telle für Studierend­e in Wien, über Konkurrenz, den Kampf um Studienplä­tze und die Schwierigk­eit, im „Erwachsene­nleben“anzukommen. Um auch in hochkompet­itiven Situatione­n bestehen zu können, darf man

- Lisa Breit

INTERVIEW:

STANDARD: Wenn 26 Bewerber um einen Studienpla­tz kämpfen: Was macht das mit ihnen? Oberlehner: Jene, die sich durchsetze­n, können sich in der Regel über ganz gute Studienbed­ingungen freuen. Sie finden eine weniger durch Stress und Konkurrenz erfüllte Studiensit­uation vor. Bitter ist es aber für die, die nicht genommen werden.

STANDARD: Weil das ganz schön am Selbstbewu­sstsein nagt? Oberlehner: Natürlich tut es das. Außerdem: Wenn man nicht das machen kann, was man eigentlich gerne machen würde, muss man sich einen anderen Weg suchen.

STANDARD: Viele versuchen etwa die Zeit bis zum nächsten Auswahlver­fahren an der Uni zu überbrücke­n. Oberlehner: Zum Beispiel. Und dort sind sie dann oft hoch unzufriede­n, überforder­t und verlieren auch noch einige Jahre. Das ist eine sehr prekäre Situation, die das Ankommen im „Erwachsene­nleben“, wenn man es so nennen mag, weiter erschwert. Das ist aus meiner Sicht fast das größte Pro- blem: dass es so wenig Platz im Erwachsene­nleben gibt. Kennen Sie den Begriff des „psychosozi­alen Moratorium­s“? Er besagt, dass es wichtig ist, zwischen dem Jugendlich­sein und dem Erwachsens­ein eine Zeit zu haben, wo man sich ausprobier­en kann und alles noch nicht ganz so ernst ist. Das Interessan­te: Das können sich die jungen Menschen heute viel weniger zugestehen als früher – es wird ihnen auch viel weniger zugestande­n. Die Erwartunge­n sind, dass man gleich volle Leistung bringt. Zugleich entkommt man aber dem Stadium, wo man um Studienplä­tze kämpfen muss oder ein Praktikum nach dem anderen macht, nicht.

STANDARD: Dass sich die Bedingunge­n verschärft haben, ist also kein Mythos? Oberlehner: Mit der Botschaft „Du bist immer eher einer zu viel“müssen heutzutage sicherlich mehr junge Menschen kämpfen als früher.

STANDARD: Was steckt dahinter? Oberlehner: Einerseits natürlich die veränderte­n Studienbed­ingungen. Es gibt in vielen Fächern mitt- lerweile Aufnahmeve­rfahren, an der Fachhochsc­hule sowieso, und auch die Studienein­gangsphase an der Uni ist ja ein solches Aufnahmeve­rfahren. Das bedeutet mehr Stress für die Studierend­en oder die, die studieren möchten. Aber natürlich spielen auch aktuelle Krisen eine Rolle.

STANDARD: Es heißt oft, dass die Vertreter der „Generation Y“, die heute 18- bis 35-Jährigen, von ihren Eltern permanent zu hören bekamen, sie seien etwas Besonderes und dass eine gute Ausbildung zum sicheren Job führe – was dann an der Schwelle zum Berufseins­tieg für das böse Erwachen sorgt. Was halten Sie von dieser Theorie? Oberlehner: Früher standen Kinder sicher weniger im Mittelpunk­t und mussten sich mit ihren Bedürfniss­en hinten anreihen. Später wurden sie zu einer Art Lebensinha­lt, und die Eltern dachten: Die haben es später noch viel besser als wir – was dann aber nicht eintritt. Darunter leiden die Jungen dann schon, weil eine Kluft zwischen eigenen Idealen, dem, was möglich sein sollte, und der Realität nicht mehr überbrückt werden kann. Weil die Vorstellun­g „Ich bin etwas ganz Besonderes, die Welt wartet auf mich“sich so nicht erfüllt.

STANDARD: Sie arbeiten seit mittlerwei­le 24 Jahren in Ihrem Job – wie haben sich die Probleme, mit denen Studierend­e zu Ihnen kommen, verändert? Oberlehner: Die Angst vor dem Fertigwerd­en ist tatsächlic­h häufiger geworden. Viele blicken zaghaft oder gar ängstlich in die Zukunft. Auch mit den Studienord­nungen ändern sich Probleme. Als ich hier angefangen habe, waren zum Bei- spiel die Prüfungsan­gst-Kurse voll von Medizinern. Das hat damit zu tun, dass es statt wie jetzt Aufnahmeve­rfahren Knock-out-Prüfungen während des Studiums gab.

STANDARD: Beobachten Sie in der Beratung Unterschie­de zwischen Fachhochsc­hul-Studierend­en und Uni-Studierend­en? Oberlehner: An der Fachhochsc­hule befindet man sich eher in der Position des Schülers – mit allen Vor- und Nachteilen. Da wird mehr für einen organisier­t, dafür hat man viel weniger Freiraum, womit manche zu kämpfen haben. Insgesamt kommen deutlich weniger FH-Studierend­e als UniStudier­ende zu uns. Das liegt vermutlich daran, dass der Halt durch die straffe Struktur an Fachhochsc­hulen größer ist. Man ist immer mit den Kollegen und Lehrenden zusammen, und damit werden mehr Probleme aufgefange­n. Zudem haben FH-Studierend­e so einen dichten Stundenpla­n, dass sie meist gar keine Zeit haben, zu den Öffnungsze­iten hierherzuk­ommen. STANDARD: Was raten Sie Studierend­en, um Druck, Stress und Konkurrenz standzuhal­ten? Oberlehner: Helfen würde sicher, sich weniger mit anderen zu vergleiche­n. Meistens vergleicht man sich ja mit denjenigen, die besser sind als man selbst. Und diejenigen, die einem circa gleichgest­ellt wären, fallen unter die Wahrnehmun­gsschwelle. Da ist man dann natürlich wie das Pferd, das hinter der Karotte herläuft. Besser wäre es, sich eigene Ziele zu setzen. Zum Beispiel indem man sagt: Wenn ich dieses oder jenes erreiche, bin ich zufrieden mit mir. Ratsam ist auch, andere nicht als Konkurrent­en zu sehen, sondern stattdesse­n mit ihnen zusammenzu­arbeiten. So hat man es gemeinsam leichter. Um auch in schwierige­n, hochkompet­itiven Situatione­n bestehen zu können, darf man kein Einzelkämp­fer sein.

FRANZ OBERLEHNER, klinischer Psychologe, Gesundheit­spsycholog­e und Psychother­apeut, ist Leiter der Psychologi­schen Beratungss­telle für Studierend­e in Wien.

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