Der Standard

Führungskr­äfte müssen motivieren können. Können sie das nicht, taugen sie nichts. Ein Mann probt dagegen beharrlich den Aufstand. Anmerkunge­n zu einem Buch, das mittlerwei­le in der 20. Auflage vorliegt.

- Harmut Volk

Wien – Man kann man ein Pferd zum Wasser bringen, aber zum Trinken zwingen kann man es nicht. Altes Sprichwort. Und genauso verhält es sich auch mit der Motivation. Das angenehmst­e Arbeitskli­ma, die attraktivs­te Entlohnung, Sozialleis­tungen vom Feinsten, trifft all das auf persönlich­e Bockigkeit, auf die schlichte Unlust, sich dementspre­chend zu engagieren, läuft auch die subtilste Führungsku­nst ins Leere. Wo kein Wille ist, ist auch kein Weg.

Das ist eine fatale Erfahrung. Das Empfinden, sich in wirkungslo­sem Bemühen zum Kasper zu machen, schlägt aufs Gemüt, zieht nieder. Frustratio­n in Führungspo­sitionen hat viel mit dem Erkennen der Begrenzthe­it der eigenen Wirkungsma­cht zu tun. Und noch mehr mit der Weigerung „von oben“, diese Begrenzthe­it als gegebene Realität anzuerkenn­en. Die meist im Tonfall herablasse­nden Besserwiss­ens fallende Anregung „Na, dann müssen Sie sich eben etwas mehr bemühen! Wie wär’s denn mal mit einem Motivation­sseminar oder einem Outdoor-Training mit Ihrer Mannschaft?“wirkt denn auch wie ein Volltreffe­r.

Es sind solche Sätze, die von oben herab ganz nonchalant in den Raum gestellt werden, die eine enorme Sprengkraf­t haben und die damit beglückte Führungskr­aft auf den Weg in Richtung Resignatio­n treiben. Zuerst wird sie müde, dann noch müder, dann lässt die Kraft und schlussend­lich das Bemühen nach. Und dann stellt sich Bissigkeit ein, die sich sukzessive erst in Ironie und Sarkasmus artikulier­t und zu guter Letzt in platt autoritäre­m Verhalten. Dann trifft das, was von einigen wenigen ausgelöst wurde, alle, die Frustratio­n hält auf breiter Front Einzug in das Geschehen, die Leistungsl­ust ist zur Strecke gebracht.

Uneinsicht­igkeit in Wirkungsge­füge, die Blindheit offensicht­lichen Zusammenhä­ngen gegenüber, gepaart mit aufreizend besserwiss­erischer Realitätsa­usblendung, schafft Fakten, die exakt das Gegenteil von dem auf die Beine stellen, was angestrebt wurde. Also, Appell an „die da oben“: Bitte einsehen, ganz so schlicht gewirkt, wie „ihr euch“das gerne vorstellt, ist das mit der Motiva-

„Von innen glühen“– nur einer der Sätze, die bei der Belegschaf­t eher für Kopfschütt­eln denn für Motivation sorgen. Reinhard Sprenger fordert ein Umdenken in der Motivation­spraxis vieler Unternehme­n.

tion nicht. Motivation ist kein eingebaute­r Anlasser, mit dem der Leistungsm­otor im Handumdreh­en zum prächtigen Rundlauf gebracht werden kann.

Wer das so und nach Belieben zum munteren Schnurren gebrachte Rädchen im betrieblic­hen Getriebe als das Nonplus-

ultra der Führungsku­nst ansieht, ignoriert die Erkenntnis­se der Motivation­sforschung und verkennt die Wirkung dieser Ignoranz. Motivation im landläufig verstanden­en Sinne zündet ein Strohfeuer an, in dem genau das in Flammen aufgeht, was eigentlich zum Erblühen gebracht werden sollte.

Niemand hat wohl beharrlich­er, substanzie­ller und gleichzeit­ig wegweisend­er auf diese Fehlsichti­gkeit hingewiese­n als Reinhard K. Sprenger. Wege aus einer Sackgasse lautet auch der Untertitel seines in der 20. erweiterte­n Auflage erschienen­en Buches Mythos Motivation.

20 Auflagen für ein Management­buch, das kommt einem Ritterschl­ag gleich – und wirft die Frage auf: Wieso ist in Sachen Motivation trotzdem im Großen und Ganzen alles beim Alten geblieben? Könnte es an der „Erkenntnis“„Die da oben lesen sowieso gar nichts!“liegen? Das würde dann die Alltagswei­sheit „Wer den Kopf über den Wolken hat, sieht nicht, wohin seine Füße laufen“bestätigen.

Derjenige kann so folglich auch gar nicht auf den Gedanken kommen, dass, wie Sprenger schreibt, „der uns allen vertraute Pfad der Mitarbeite­rmotivatio­n ein Holzweg ist“und „dass die ‚Motivation‘ genannte Antreiberp­raxis nicht funktionie­rt.“Demgemäß lautet die These, auf der Sprenger aufbaut: „Alles Motivieren ist Demotivier­en“. Das mag harsch klingen, wer aber einmal im Bekanntenk­reis auf die Frage „Du fährst mal wieder zum Seminar?“die lapidar-resigniere­nde Antwort „Nein, zur Verarsche, wir sollen mal wieder motiviert werden!“bekommen hat, dem klingt Sprengers Behauptung plötzlich anders in den Ohren.

„Ich habe mir beim Schreiben Leser gewünscht, die den kalten Hauch des Nichternst­nehmens, der Manipulati­on und der verdeckten Abwertung empfinden, wenn sie ‚motiviert‘ werden“, schreibt Sprenger. Motivation im derzeitige­n Verständni­s, so lässt sich seine Botschaft knapp zusammenfa­ssen, ist die Fortsetzun­g des allgegenwä­rtigen Druckes mit anderen Mitteln. Und diese Marschrich­tung erweist sich als in höchstem Maße kontraprod­uktiv.

Sprenger wäre nicht Sprenger, ließe er der „Anamnese“nicht die Therapieem­pfehlungen folgen. In seiner klug-bedachten Art verweist er auf die Alternativ­en zur landläufig­en Motivation­spraxis und zeigt so Möglichkei­ten auf, die Belegschaf­ten wieder aus der zunehmend reserviert­en Haltung „ihren“Unternehme­n gegenüber herauszuho­len. Vielleicht gelingt ihm im zwanzigste­n Anlauf der Durchbruch zu der Erkenntnis, dass die Zeit für ein Umdenken gekommen ist. Wenig anderes wäre im Bereich der Unternehme­nsführung so wünschensw­ert wie das.

Mit immer weniger Personal, dafür aber immer größerem direktem und indirektem Druck und dem Anspruch, die Beschäftig­ten müssten mit „Haut und Haar“rund um die Uhr dem Unternehme­n zur Verfügung stehen, immer schneller mehr Ertrag zu erwirtscha­ften, mag ein betriebswi­rtschaftli­ches Ziel sein, auf gesellscha­ftlicher Ebene aber legt diese Zielsetzun­g in immer mehr Details ihre Untauglich­keit offen.

Reinhard K. Sprenger, „Mythos Motivation“. € 27,80 / 311 Seiten. CampusVerl­ag, Frankfurt am Main 2014

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