„Es darf nicht der Wettbewerb der Billigstbieter entstehen“
Die Grenzen zwischen Profit- und Nonprofitbereich verschwimmen, wie der Linzer Theologe und Volkswirt Markus Lehner überzeugt ist. Die Entwicklung sieht der FH-Dekan positiv – solange der Staat kontrolliert.
INTERVIEW: Standard: Sie sehen die Gemeinnützigkeit im Umbruch. Was verändert sich konkret? Lehner: Im Sozialbereich oder dem Bereich der sozialen Dienstleistungen hat es ja bisher so funktioniert: Der Staat – die Politik – will eine entsprechende Versorgung etwa alter oder behinderter Menschen und beauftragt über Subventionen oder Leistungsverträge Sozialvereine und Nonprofitorganisationen, diese Dienstleistungen zu erbringen. Ein klarer Ablauf, da hat nicht viel wirtschaftliches Denken mitgespielt. In den letzten Jahren geht es, vor allem vonseiten der EU, verstärkt in die Richtung, dass man privates Unternehmertum, private Gelder für den Sozialbereich lukriert.
Standard: Von dem Modell klassischer Nonprofitunternehmen verabschiedet man sich also langsam? Lehner: Es verändert sich. Es gibt etwa in Linz einen ersten Versuchsballon: Leistungen des Frauenhauses und des Gewaltschutzzentrums werden vorerst einmal über eine private Stiftung vorfinanziert, mit konkreten Zielvorgaben – wie viele Frauen sollen in einer gewissen Zeit in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden. Funktioniert das, bekommen die Stiftungen von der öffentlichen Hand, konkret vom Sozialministerium, ihr investiertes Geld zurück. Werden die Vorgaben nicht erfüllt, war es eben wirtschaftliches Risiko.
Standard: Gibt es eine Erklärung dafür, warum dieser Umbruch gerade jetzt passiert? Lehner: Es ist ganz stark ersichtlich, dass man etwa seit der Finanzkrise – im Zuge deren ja in einigen Ländern wie Griechenland das Sozialsystem massiv unter Druck gekommen ist – auf europäischer Ebene versucht, in diesem Bereich auch den Einstieg von Social Entrepreneurs stark zu forcieren, also mehr privates Engagement im Bereich des Gesundheitswesens, des Sozialwesens. In den angelsächsischen Ländern war dies ja immer schon ein viel stärkerer Motor im Sozial- und Gesundheitsbereich. Jetzt will man offensichtlich auch in Österreich nachziehen.
Standard: „Mehr privat, weniger Staat“sorgt da bei Ihnen als Theologen und Volkswirt nicht für Bauchweh? Lehner: Gibt es eine Alternative? Das Umdenken ist zu einem guten Teil aus der Not geboren – der Finanznot der öffentlichen Hand. Der Konsolidierungsbedarf in diesem Bereich ist klar. Es gibt nicht mehr die Steigerung der Sozialbudgets, die es vor Jahren noch gegeben hat. Der Leistungsbedarf steigt aber durchaus rasant. Und um mit weniger Geld mehr leisten zu können, muss man schauen, wo man zusätzliche Ressourcen herbekommt.
Standard: Auch wenn es offensichtlich keine Alternative gibt: Sehen Sie kein Problem darin, wenn der Staat seine Versorgungsaufgabe komplett auslagert? Lehner: Ich sehe dann kein Problem, wenn der Staat seine Steuerung in der Qualitätserbringung nicht abgibt.
Standard: Wie soll die staatliche Kontrolle funktionieren? Lehner: Es ist ja bitte jetzt schon so, dass es private Unternehmen gibt, die im Sozial- und Gesundheitsbereich tätig sind. Und da gibt es klare Qualitätsvorgaben, die einzuhalten sind. Wenn meine Mutter in einem Altenheim ist, dann ist es doch zweitrangig, ob es ein öffentliches Heim ist oder ein privater Anbieter. Hauptsache ist doch, der Mama geht’s gut.
Standard: Aber macht man nicht vor allem die Tür zur Zweiklassenbetreuung weit auf? Jener, der es sich leisten kann, gönnt den Eltern ein tolles Heim aus dem künftig breiten Privatanbieterangebot, der Rest blickt neidvoll aus dem öffentlichen Altersheimfenster? Lehner: Es ist doch ein Vorurteil, dass das öffentliche Heim per se schlechter ist. Und noch einmal: Warum sollen nicht auch im Sozialbereich Leistungen vermehrt ausgeschrieben werden. Im Straßenbau ist doch so etwas schon längst völlig normal.
Standard: Der Konkurrenzdruck soll sich also letztlich positiv auf die Qualität auswirken, oder? Lehner: Es ist ja kein Preis-, sondern ein Anbieterwettbewerb. Aber natürlich wird es zu einem gewissen Innovations- und Leistungsdruck auf die Sozialszene kommen, was aber letztlich zu einer Steigerung der Qualität führen wird. Eines muss aber klar sein: Es darf nicht der Wettbewerb der Billigstbieter entstehen. Es geht nicht darum, das System billiger zu machen. Klare Qualitätsstandards müssen die Richtschnur sein. Und genau hier liegt die große Verantwortung der öffentlichen Hand.
MARKUS LEHNER (59) studierte Theologie und Volkswirtschaft. An der FH Oberösterreich leitet er das Department für Gesundheits-, Sozial- und Public Management der Fakultät für Gesundheit und Soziales in Linz.