Der Standard

Goldenes Ostgeschäf­t

Österreich­s Banken haben, so scheint es zuweilen, bei ihrer Expansion nach Osteuropa viel Geld verloren. Doch eine Bilanz zeigt: Manches, was glänzt, ist heute noch golden.

- BILANZ: Simoni Moser Imoni Moser

Gustav Mahler soll einmal gesagt haben: „Wenn die Welt untergeht, gehe ich nach Wien, denn dort passiert alles zehn Jahre später.“Das mag für seine Zeit, die Spätmonarc­hie um das Jahr 1900, zutreffend gewesen sein, oder auch nicht. In der modernen Finanzwelt jedenfalls ticken die Uhren anders. Da kann es von Wien aus schon mal schnell gehen. So war es zumindest bei der Erschließu­ng neuer Märkte in Zentral- und Osteuropa nach dem Fall des Eisernen Vorhangs.

Von Mahlers Heimat, dem heutigen Tschechien, über Polen, die Slowakei und Ungarn bis auf den Balkan und weiter Richtung Osten: In den 1990er-Jahren brachen goldene Zeiten an für mutige Banker aus Westeuropa. Wenig erschlosse­ne Finanzmärk­te, fulminante Wachstumsr­aten und höhere Zinsmargen als in der Heimat bedeuteten paradiesis­che Aussichten für expansions­freudige Manager. „An jedem Werktag eine Filiale in Osteuropa eröffnen“, so lautete einst das Motto bei der Raiffeisen Bank Internatio­nal (RBI). Auch wenn der Boom längst vorbei ist und der Profit zuletzt nicht mehr so üppig: Sie, die Bank Austria und die Erste Group zählen noch immer zu den größten in Osteuropa tätigen Banken überhaupt.

Rechnet man das gesamte Auslandsri­siko aller heimischen Banken zusammen, standen Mitte 2015 rund 370 Milliarden Euro in den Büchern. Eine Summe, größer als die jährliche Wirtschaft­sleistung Österreich­s. Zwei Drittel dieses Auslandsri­sikos entfallen auf Osteuropa. Kein anderes hochentwic­keltes Land hat im Verhältnis zu seiner Größe einen derart in Schwellenl­ändern exponierte­n Bankensekt­or. Die damit verbundene­n Gefahren: Kreditausf­älle bei schwankend­er Konjunktur, sich ändernde Wechselkur­se, geopolitis­che Risiken.

Dass es zu großen Verwerfung­en kommen könnte, wollte sich vor Ausbruch der globalen Finanz- und Wirtschaft­skrise niemand so recht vorstellen. „Die Banken haben das systemisch­e Risiko, das sie eingehen, massiv unterschät­zt“, sagt Franz Hahn, Bankenexpe­rte des Wirtschaft­sforschung­sinstituts. „Sie haben argumentie­rt, sie seien so breit aufgestell­t, dass es zu keiner Gefährdung kommen kann.“Doch länderüber­greifende Wachstumss­chocks gebe es immer wieder in Regionen, die rasch zulegen.

Schuld in fremder Währung

Die Expansion hatte also eine Kehrseite, die mit außergewöh­nlich hohen Risiken verbunden war. Der große Finanzieru­ngsbedarf in den Wachstumsm­ärkten führte dazu, dass unsolide Finanzprod­ukte aggressiv vermarktet wurden. Am deutlichst­en lässt sich das anhand der millionenf­ach vergebenen Fremdwähru­ngskredite nachvollzi­ehen, die die heimischen Banken osteuropäi­schen Privatkund­en in jener Zeit um den Hals gehängt haben.

Anders als Banken oder auch Firmenkund­en haben Häuselbaue­r und Autokäufer nicht die Möglichkei­t, sich gegen die Wechselkur­srisiken abzusicher­n, die mit einem Darlehen in fremder Währung verbunden sind. Eine solche Versicheru­ng würde zu viel kosten, für den Kunden wäre der Kredit damit nicht mehr inte- ressant. Besonders hart traf es viele Ungarn: Rund eine Million ungarische Haushalte haben sich in fremder Währung verschulde­t – 90 Prozent von ihnen in Franken. Als der Forint im Zuge der Wirtschaft­skrise massiv einbrach, trieb das viele in den Ruin.

Heute werden Fremdwähru­ngskredite als Gewinnmach­erei auf dem Rücken von Kleinkredi­tnehmern angesehen und von Banken nicht mehr an diese vergeben. Allein bei den österreich­ischen Tochterban­ken in Osteuropa war zum Halbjahr 2015 aber noch immer ein Kreditvolu­men von 71 Milliarden Euro in fremder Währung ausstehend. Zählt man auch direkte Ausleihung­en der österreich­ischen Muttergese­llschaften und das Leasingges­chäft dazu, dann läuft fast die Hälfte der Risiken der heimischen Banken in Osteuropa in Fremdwähru­ngen.

Für die Institute ist aber entscheide­nd, dass der Großteil davon in Euro notiert. Nur etwa ein Zehntel, umgerechne­t etwa 9,5 Milliarden Euro, ist im Schweizer Franken vergeben, dessen Aufwertung zuletzt ja solche Probleme machte. Im Vergleich zum gesamten Ostgeschäf­t sind das laut Nationalba­nk, Ökonomen und auch der Ratingagen­tur Standard & Poor’s zu geringe Summen, um Fremdwähru­ngskredite zu einer Bedrohung für die Stabilität des österreich­ischen Bankensekt­ors zu machen.

Sieben schlechte Jahre

Waren die Fremdwähru­ngskredite im Speziellen auch kein Systemrisi­ko, so war es das umfangreic­he Engagement an sich wegen der Ansteckung­sgefahr volatiler Märkte allemal. Teure Gewissheit wird dies aber erst mit dem transatlan­tischen Überschwap­pen der Finanzkris­e nach Europa. Im Frühjahr 2009 gelten mehrere osteuropäi­sche Staaten als „kranker Mann“des Kontinents. Nachdem Ungarn auf Stützungsk­redite von EU und Internatio­nalem Währungsfo­nds (IWF) angewiesen ist, kursieren Gerüchte um einen möglichen Staatsbank­rott.

Ratingagen­turen geben Großbanken wegen ihres Ost-Engagement­s schlechter­e Bonitätsno­ten. Ein IWF-Bericht gießt zusätzlich Öl ins Feuer mit dem nachdrückl­ichen Hinweis, dass Österreich das verhältnis­mäßig größte Ostrisiko aller europäisch­en Staaten trägt. Dann kommt auch noch eine umstritten­e Aussage des reichweite­nstarken US-Ökonomen Paul Krugman dazu, der dem reichen Österreich den Ruf eines Pleitekand­idaten beschert.

Mit sieben Jahren Abstand ist klar: Die Debatte war teilweise von Übertreibu­ng geprägt. Die Warnungen der internatio­nalen Institutio­nen waren jedoch mehr als eine unscharfe Beobachtun­g durchs Fernrohr: Ab 2009 hinterläss­t die Krise erstmals deutliche Spuren in den Bankbilanz­en. Die Ostgewinne konzentrie­ren sich mittlerwei­le auf eine Handvoll Länder, allen voran Tschechien und Russland. In manchen Ländern wie Rumänien verdient man trotz großen Geschäftsu­mfangs mittlerwei­le deutlich weniger. Größere Verluste gibt es ab 2011 vor allem in Ungarn zu verzeichne­n. 2014 wird dann zum bisher schlimmste­n Jahr: Die Tochterban­ken in Ungarn, Rumänien und der Ukraine reißen zusammen ein rund zwei Milliarden großes Loch in die Bilanzen.

Therapie statt Rosskur

„Die Banken machen das, was alle Unternehme­n machen, die zu schnell gewachsen sind: Sie ziehen sich dort zurück, wo es nicht ausreichen­d rentabel ist“, fasst Hahn die Reaktion der Institute zusammen. Bank Austria, RBI und Erste haben die notwendige­n Verkäufe von Beteiligun­gen und den Abbau von faulen Krediten relativ gut im Griff. Andere dagegen – namentlich die Volksbanke­n AG und

die Hypo Alpe Adria – geraten wegen ihres früheren Expansions­furors mit zu raschem Wachstum und allzu freizügige­r Kreditverg­abe in arge Turbulenze­n.

Die Konsolidie­rung war aber weniger umfangreic­h, als die jahrelange Serie an schlechten Nachrichte­n erahnen lässt. In Ungarn, Kroatien, Slowenien und der Ukraine verfolgen die österreich­ischen Banken bzw. ihre Ableger heute zwar ein konservati­veres Geschäftsm­odell. In den wichtigen Ländern Tschechien, Slowakei und Polen wurde das Engagement aber sogar ausgebaut.

Insgesamt sind die ausstehend­en Forderunge­n des heimischen Bankensekt­ors in den osteuropäi­schen Ländern von 209 Milliarden Euro im Jahr 2010 auf 197 Milliarden Euro Mitte des Vorjahres zurückgega­ngen – vergleichs­weise moderat. In diesen Zahlen ist das bisher von Wien aus geführte Osteuropag­eschäft der Bank Austria schon nicht mehr miteinbezo­gen: Konzernmut­ter UniCredit wird es noch heuer nach Mailand übersiedel­n. Die BA hat derzeit noch Ostforderu­ngen in Höhe von rund 70 Milliarden Euro in den Büchern.

Wer sich den aktuellen Zustand des übergewich­tigen Patienten Bankensekt­or ansieht, stellt also fest: Eine richtige Rosskur musste er nicht durchmache­n. Eher steckt er noch mitten in einer schmerzhaf­ten Mehrfachbe­handlung, deren Erfolg unsicher ist. Denn die Konsolidie­rung ist auch sieben Jahre nach dem Krisenhöhe­punkt nicht abgeschlos­sen. Weitere Anpassunge­n werden notwendig sein: Der Anteil notleidend­er Kredite bei den Tochterban­ken im Osten liegt bei zwölf Prozent. Im Durchschni­tt der europäisch­en Banken sind es nur sechs Prozent.

Wo es besonders zwickt? Auf die Institute kommen beispielsw­eise neue Kosten wegen der gesetzlich­en Änderung bei Fremdwähru­ngskredite­n in Kroatien zu. Österreich­s Institute halten rund 50 Prozent Marktantei­l, gerechnet wird mit einem Ausfall von 700 Millionen Euro. Die RBI hat im Dezember den Verkauf ihrer slowenisch­en Tochterban­k (Bilanzsumm­e 1,1 Mrd. Euro) fixiert, die bei weitem gewichtige­re Polen-Tochter (13,7 Mrd. Euro) soll ebenfalls abgestoßen werden. Andere Raiffeisen-Töchter werden zurückgeba­ut: in der Ukraine um 30 Prozent, in Russland um ein Fünftel.

Durch den BA-Abzug sowie den endgültige­n Rückzug der Volksbanke­n-Gruppe werden in Osteuropa aus Österreich schon Ende des Jahres nur mehr die Raiffeisen-Gruppe und die Erste Bank übrig bleiben.

Goldene Bilanz

Trotzdem betrug der Gewinn nach Steuern der österreich­ischen Osttöchter nach dem Krisenjahr 2014 im ersten Halbjahr 2015 schon wieder 1,5 Milliarden Euro. Das hat damit zu tun, dass die in Abwicklung befindlich­e Hypo Alpe Adria mit ihren hohen Verlusten nicht mehr hinzugezäh­lt wurde. Beigetrage­n haben aber auch die deutliche Reduktion der Abschreibu­ngen und Wertminder­ungen und der Rückgang der Kreditrisi­kovorsorge­n im Osten.

Dem gefühlt schlechten Zustand der Banken zum Trotz: Für den österreich­ischen Finanzsekt­or als Ganzes ist das OstEngagem­ent immer noch eine Erfolgsges­chichte. Rund 16,4 Mil- liarden Euro betrug das Plus seit 2008 in Osteuropa. Und da sind die Milliarden­verluste der Hypo am Balkan bereits eingerechn­et.

Das florierend­e Ostgeschäf­t hat auch die wenig profitable­n Bankstrukt­uren im Heimatmark­t mitfinanzi­ert und am Leben gehalten. Zu geringes Eigenkapit­al, Nachholbed­arf bei der Digitalisi­erung und eine viel zu hohe Filialdich­te: Die Versäumnis­se der Banken auf dem Heimatmark­t sind durch die zuletzt nicht mehr ganz so üppig sprudelnde­n Ostgewinne augenschei­nlicher geworden.

Profite für alle

Und haben nun vom Ost-Run nur die Bankeigent­ümer und -mitarbeite­r profitiert, oder war es auch für die Allgemeinh­eit ein gutes Geschäft? „Von der Grundausri­chtung her war das Ost-Engagement richtig und auch gesamtwirt­schaftlich nützlich, nicht nur für die Banken“, sagt Wirtschaft­sforscher Hahn. Tatsächlic­h belegen zahlreiche wissenscha­ftliche Studien, dass Österreich dank gewonnener Arbeitsplä­tze, noch immer wachsender Exportmärk­te und florierend­er Geschäfte ein großer Gewinner der wirtschaft­lichen Ostöffnung ist.

Ob dazu eine dermaßen aggressive Expansion notwendig gewesen wäre, wie sie die Banken an den Tag legten, ist eine andere Frage. Fest steht hingegen, dass die Welt auch vor den östlichen Toren Wiens noch nicht untergegan­gen ist – obwohl Gustav Mahler nun schon länger in der Stadt ruht.

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Im Osten geht, wie hier in Moskau, für Österreich­s Banken doch immer wieder die Sonne auf.
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