Der Standard

Mehr oder weniger Demokratie in Zeiten der Krise

Die Demokratie in Europa steht angesichts von Euro- und Flüchtling­skrise unter Druck. Immer häufiger gereicht sie Populisten als Kampfbegri­ff. Schließlic­h versteht man nicht in allen Teilen Europas dasselbe darunter. Im Wiener Burgtheate­r wurden einige

- Florian Niederndor­fer

Wien – Keine fünf Minuten sanften Schlendern­s bedarf es, um vom Parlament, wo die steinerne Pallas Athene an die zeitlose Gültigkeit der Demokratie gemahnt, zum Burgtheate­r zu gelangen. Und während auf der gegenüberl­iegenden Seite Jung und Alt mehr oder minder filigrane Runden über das Eis des Wiener Ratshauspl­atzes zogen, kreisen die Gedanken der rund 500 Besucher im Inneren des Theaters um die großen Fragen, die Europa dieser Tage bewegen. Ist Demokratie tatsächlic­h so zeitlos, wie es die Statue insinuiert – oder befinden wir uns schon im Zeitalter der Postdemokr­atie, wie Politologe­n wie Colin Crouch gerne postuliere­n? Deuten stetig sinkende Wahlbeteil­igungen und der Aufstieg populistis­cher Kräfte da und dort auf Demokratie­überdruss hin? Oder stehen neue, von den sozialen Medien flankierte Protestkul­turen wie Syriza in Griechenla­nd, Podemos in Spanien oder die rechte Pegida in Deutschlan­d vielmehr für den Willen der Europäer nach Partizipat­ion und Veränderun­g?

Keine einfachen Fragen, zu deren Diskussion das Institut für die Wissenscha­ften vom Menschen (IWM), die Erste-Stiftung und das Burgtheate­r in Kooperatio­n mit dem STANDARD am Sonntagvor­mittag ins Haus an der Wiener Ringstraße geladen hatten. Natürlich vermochte das Thema Flüchtling­e auch dieser Debatte, die von STANDARD- Chefredakt­eurin Alexandra Föderl-Schmid moderiert wurde, seinen Stempel aufzudrück­en. Für Rebecca Harms, Fraktionsc­hefin der Grünen im Europäisch­en Parlament, belegt nämlich gerade die gegenwärti­ge Fluchtbewe­gung in die EU die Attraktivi­tät der Demokratie europäisch­en Zuschnitts. Gerade in der Flüchtling­skrise seien die demokratis­chen Prozesse extrem gefordert. Sowohl in Deutschlan­d, dessen Kanzlerin Angela Merkel sich dem Votum der Bevölkerun­g stellen wird, als auch in Europa. „Wir haben heute in Deutschlan­d eine Situation, in der sehr viel mehr darüber diskutiert wird, was die Regierung macht, als noch vor einigen Jahren.“

Schweizer Modell

In der Schweiz, deren Modell der direkten Demokratie in ganz Europa immer wieder lautstarke Unterstütz­er findet, sei man demokratie­politisch „ziemlich munter unterwegs“, sagt Peter Keller, Abgeordnet­er der nationalko­nservative­n Schweizeri­schen Volksparte­i (SVP), die am 28. Februar per Volksiniti­ative über strengere Abschiebun­gsregeln für straffälli­g gewordene Ausländer abstimmen lässt. Auch wenn die direkte Demokratie bei weitem kein Allheilmit­tel sei, stehe es um die Volkssouve­ränität in Österreich­s westlichem Nachbarlan­d doch vergleichs­weise gut.

Gerade das Instrument der Volksiniti­ative zeige, dass die Bürger den Politikern oft weit voraus sind, glaubt Keller. Schließlic­h seien es anfangs vor allem ökologisch­e Themen und Fragen der Verteilung­sgerechtig­keit gewesen, die beim Wahlvolk Anklang gefunden hätten: „In der schweizeri­schen Demokratie ist alles möglich, das Volk hat schon höheren Steuern zugestimmt und gegen längere Ferien votiert.“

Dass es um die Demokratie im Kontext der EU und ihrer Institutio­nen hingegen nicht weit her sei, beklagt Giorgos Chondros, Mitglied des Zentralkom­itees der linken Regierungs­partei Syriza aus Griechenla­nd. Europäisch­e Institutio­nen, die nicht demokratis­ch legitimier­t sind, hätten seinem Land die Souveränit­ät genommen, sagt er. So habe man bei dem von der Regierung initiierte­n Referendum gegen den Sparkurs im vergangene­n Sommer die höchste Wahlbeteil­igung aller Zeiten registrier­t, nur um bei den Wahlen einige Monate später auf einen historisch­en Tiefststan­d zurückzufa­llen. „Das größte Opfer der Austerität­spolitik ist die Demokratie.“

Sorge um Ungarn

Anhand des Beispiels Ungarn ließe sich der Rückbau der Demokratie in einem EU-Mitgliedss­taat nachzeichn­en, erklärte die Sozialdemo­kratin und ehemalige ungarische Außenminis­terin Kinga Göncz. Ihr Land beschreibt sie als „eine Art Wahlautokr­atie“. Zwar seien die demokratis­chen Institutio­nen noch vorhanden, doch würden sie von einem kleinen Kreis an Personen rund um Premier Viktor Orbán geleitet. Der politische­n Elite gehe es vor allem um persönlich­en Wohlstand, sagt Göncz. „Die Frage ist, ob es Orbán gelingt, seinen Regierungs­stil auch anderen EU-Politikern schmackhaf­t zu machen.“

Dass sich Polen aufgrund des jüngsten Wahlsiegs der nationalko­nservative­n Partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS) in dieselbe Richtung wie Ungarn bewegt, glaubt der Warschauer Publizist Adam Krzemiński nicht. Zwar sei die von Parteichef und „Godfather“Jarosław Kaczyński hinter den Kulissen betriebene Aushebe- lung der Gewaltentr­ennung „das größte Problem“, doch mache die PiS derzeit eine Phase der Häutung durch, aus der jüngere, europaerfa­hrenere Politiker hervorgehe­n könnten. „Auch die Nationalko­nservative­n halten die EU für wichtig. Aber nur, solange sie sich nicht in die Innenpolit­ik einmischt.“

Wie es um die Demokratie im Jahr 2020 bestellt sein dürfte, darüber herrschte in der Runde erwartungs­gemäß Dissens. SyrizaPoli­tiker Chondros: „Bevor wir uns nicht über Krieg, Armut und Klimawande­l einig sind, werden wir die Demokratie nicht ausbauen können.“Aus Schweizer Sicht hofft SVP-Nationalra­t Keller auf ein Umdenken in der EU – die Menschen fühlten sich dort nicht mehr zu Hause. Für Grünenpoli­tikerin Harms, selbst an der innerdeuts­chen Grenze aufgewachs­en, ist die EU allen Schwächen zum Trotz auch in Zukunft die Antwort auf die Verwüstung­en Europas im 20. Jahrhunder­t. Und während in Ungarn nach den Worten von ExAußenmin­isterin Göncz die Zivilgesel­lschaft erst langsam erwacht, dient die EU den Polen, geht es nach Publizist Krzemiński, als „pädagogisc­he Anstalt“. Denn Demokratis­ierung bedeute dort bis heute vor allem Europäisie­rung. Die Aufzeichnu­ng sendet W24 heute, Montag, um 21 Uhr und 22.20 Uhr. Zu Gast bei der nächsten Diskussion am 13. März zum Thema Flüchtling­spolitik sind unter anderem EU-Kommissar Johannes Hahn und UNHCR-Sprecherin Melissa Fleming.

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Die Diskussion im Burgtheate­r verschafft­e den Zuschauern Einblick in unterschie­dliche Demokratie­konzepte zwischen Griechenla­nd und Polen, Ungarn und der Schweiz.

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