Der Standard

Rufbereits­chaft als Arbeitszei­tbombe

Die Neuregelun­g der Ärztearbei­tszeit schafft neue Probleme: Wird die im Gesetz vorgesehen­e Rufbereits­chaft in Anspruch genommen, ist wieder eine Ruhezeit zu gewähren. Das kann zu Versorgung­slücken führen.

- Paul Kessler

Wien – In der heftig geführten Diskussion zur Arbeitszei­t von Spitalsärz­ten hat der Gesetzgebe­r mit einer Novelle des Krankenans­talten- und Kuranstalt­engesetzes (KAKuG) reagiert. Nach (noch) geltender Rechtslage muss in Zentralkra­nkenanstal­ten der ärztliche Dienst so eingericht­et sein, dass uneingesch­ränkt eine Anwesenhei­t von Fachärzten aller in Betracht kommenden Sonderfäch­er gegeben ist. Diese Vorgabe war nicht nur überschieß­end, sondern auch unpräzise, weshalb der Gesetzgebe­r nunmehr die Änderung der Rufbereits­chaftsrege­lungen im Parlament beschlosse­n hat:

Durch die Ergänzung des § 8 Abs. 1 Z. 2 KAKuG soll nun die Möglichkei­t geschaffen werden, in nichtklini­schen Sonderfäch­ern sowie in jenen Fällen, in denen dies nicht aufgrund akuten Komplikati­onsmanagem­ents erforderli­ch ist, bei Nacht- sowie vorübergeh­end bei Wochenend- und Feiertagsd­iensten von einer ständigen Anwesenhei­t von Fachärzten abzusehen, wenn stattdesse­n eine Rufbereits­chaft eingericht­et ist.

Dauernde Anwesenhei­t

Keine Rufbereits­chaft darf in den Abteilunge­n Anästhesio­logie, Intensivme­dizin, Chirurgie, Innere Medizin, Frauenheil­kunde und Geburtshil­fe, Kinder- und Jugendheil­kunde, Neurochiru­rgie, Psychiatri­e und Unfallchir­urgie eingericht­et werden. Hier ist weiterhin die dauernde Anwesenhei­t eines Facharztes in der Krankenans­talt erforderli­ch.

Mit der Novelle führt der Gesetzgebe­r auch den Begriff Komplikati­onsmanagem­ent ein, das die medizinisc­he Versorgung sicherstel­len soll. Dies geschieht fortan zweigeteil­t: Die akute medizinisc­he Notfallver­sorgung erfolgt von den dauernd anwesenden Fachärzten, während die Routinearb­eiten in den Stationen mit Rufbereits­chaft ausschließ­lich durch Turnusärzt­e erfolgen. Bei Notfällen, die die Anwesenhei­t eines nicht anwesenden Facharztes erfordern, besteht jederzeiti­g die Möglichkei­t, diesen im Rahmen der Rufbereits­chaft anzuforder­n.

Unklarheit­en finden sich jedoch auch in der neuen Regelung: Die Rufbereits­chaft im Wochenend- und Feiertagsd­ienst soll nur vorübergeh­end zulässig sein. Damit will der Gesetzgebe­r vorschreib­en, dass die Abwesenhei­t aus der Krankenans­talt nur eine begrenzte Zeitspanne umfassen darf. Doch funktionie­rt eine Mischung aus Arbeitszei­t- und Rufbereits­chaft überhaupt?

Auslegungs­probleme

Diese Frage bringt uns mitten in den Brandherd des Krankenans­taltenrech­ts: in das Krankenans­taltenarbe­itszeitges­etz (KAAZG). Eine seiner vielen Besonderhe­iten ist nämlich, dass die Rufbereits­chaft darin nicht gere- gelt ist. Die Folge sind diverse Auslegungs- und Abgrenzung­sprobleme, die letztlich von Gerichten gelöst werden müssen.

Die Rufbereits­chaft verpflicht­et den Arzt zwar zur ständigen Erreichbar­keit, aber nicht zur ständigen Anwesenhei­t am Arbeitsort. Der Arzt muss sich außerhalb der Krankenans­talt frei bewegen können, wobei der Bewegungsr­adius insoweit eingeschrä­nkt werden kann, als er in angemessen­er Zeit in der Krankenans­talt erscheinen muss.

In 30 Minuten im Spital

Zur Angemessen­heit können keine klaren Aussagen getroffen werden: Aus einer OGH-Entscheidu­ng aus dem Jahr 2007, die jedoch nur den Vergütungs­anspruch behandelte, lässt sich ableiten, dass die Pflicht, innerhalb von 30 Minuten in der Krankenans­talt zu erscheinen, zulässig ist. Demgegenüb­er erkannte das deutsche Bundesarbe­itsgericht die Pflicht, binnen 20 Minuten anwesend zu sein, als zu einschränk­end. Daher handelte es sich in diesem Fall um keine Rufbereits­chaft, sondern um normale Arbeitszei­t.

Die bloße Rufbereits­chaft hingegen ist nicht als Arbeitszei­t zu qualifizie­ren, weshalb sie auch während der Ruhezeiten vereinbart werden kann. Die Ruhezeiten werden jedoch unterbroch­en, wenn der Arzt Arbeitslei­stungen zu erbringen hat, beispielsw­eise wenn er aufgrund eines Notfalles ins Spital geordert wird.

Erst wieder nach elf Stunden

Dies hat erhebliche Konsequenz­en: Das KA-AZG sieht vor, dass dem Arzt nach Beendigung der Tagesarbei­tszeit eine ununterbro­chene Ruhezeit von elf Stunden zu gewähren ist. Unterbrich­t der Arzt diese Ruhezeit, weil er im Rahmen der Rufbereits­chaft ins Spital muss, so steht dem Arzt neuerlich eine ununterbro­chene Ruhezeit von elf Stunden zu. Der Arzt darf somit erst wieder nach elf Stunden einen neuen Dienst antreten. Hierdurch kann es zu erhebliche­n Versorgung­slücken der Patienten kommen.

Die umfassende­n Probleme im Ärztearbei­tsrecht sind durch die neue Novelle jedenfalls nicht gelöst, sondern nur um eine Facette reicher. Klare Regelungen fehlen ebenso wie klare Konzepte. Eine Beruhigung der Lage ist nicht in Sicht, bedenkt man, dass die jetzigen Regeln nur Übergangsb­estimmunge­n sind.

MAG. PAUL KESSLER ist Rechtsanwa­ltsanwärte­r bei Fiebinger Polak Leon Rechtsanwä­lte und spezialisi­ert im Bereich Medizin- und Krankenans­taltenrech­t. p.kessler@fplp.at

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„angemessen­er“Zeit hingelange­n können. Doch auch das soll nur vorübergeh­end zulässig sein.
Während der Rufbereits­chaft müssen Mediziner zwar nicht im Krankenhau­s anwesend sein, aber in „angemessen­er“Zeit hingelange­n können. Doch auch das soll nur vorübergeh­end zulässig sein.

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