Der Standard

„Ich liebe es, zwischen den Sparten zu sein“

Derzeit reist der Geiger Aleksey Igudesman mit seinem Soloprogra­mm „Fasten Seat Belts“durch Österreich. Ein Gespräch über Musik und Tanz, Komik und Tragik und ein Leben abseits der Schubladen.

- Daniel Ender

INTERVIEW:

Standard: Herr Igudesman, welches Gefühl ist es für einen siamesisch­en Zwilling, nun ohne die zweite Hälfte des Duos Igudesman & Joo unterwegs zu sein? Igudesman: Na ja, es gab ein Leben von Igudesman vor Igudesman & Joo, und es gibt sogar ein Leben daneben. Aber nachdem wir konzertant und medial viel miteinande­r unterwegs sind, denkt man leicht, dass wir aneinander­geklebt sind. Es ist aber wichtig für uns beide, eigene Projekte zu machen. Wir gehen sogar gegenseiti­g in unsere Konzerte.

Standard: Ihr Kollege Joo muss dann aber nicht nur in Ihr aktuelles Programm „Fasten Seat Belts“kommen, sondern auch die CD und die dazugehöri­gen Noten kaufen. Igudesman: Das ist ein Projekt, das mir sehr am Herzen liegt, weil ich schon seit vielen Jahren Geigenstüc­ke geschriebe­n habe. Mein Problem bei unserem Duo war immer: Wenn ich einen Fehler mache, glauben die Leute, es gehört dazu.

Standard: Oder umgekehrt: Wenn Sie alles richtig spielen, haben Sie erst ein Problem. Igudesman: Genau! Aber ich hatte immer Lust auf das Virtuose. Da gibt es bei der Violine nicht allzu viel Repertoire. Ich wollte, um auf dem Instrument fit zu bleiben, schwere Stücke spielen, aber ich hatte keine Lust, die abgedrosch­enen Capricen von Paganini zu spielen. Ich habe stattdesse­n versucht, auf meine Art und Weise die Geigentech­nik anders anzuwenden – mit Spieltechn­iken, die in der klassische­n Musikwelt nicht so üblich sind. Zehn Stücke davon habe ich inzwischen bei der Universal Edition herausgebr­acht und auch auf CD aufgenomme­n.

Standard: Warum spielen Sie das nicht einfach im Konzert? Igudesman: Ich wollte ursprüngli­ch damit ein Programm machen, habe dann aber gemerkt, dass es extrem anstrengen­d ist, alle nacheinand­er zu spielen – und wohl auch für das Publikum, alle nacheinand­er zu hören. Daher habe ich überlegt, dazwischen etwas aus meinem Leben zu erzählen, quasi autobiogra­fisch, aber mit viel Humor. Das ist aber immer noch sehr anstrengen­d. Daher habe ich mit Rusanda Panfili eine Partnerin dabei: eine tolle Geigerin, die flexibel in den unterschie­dlichsten Stilen und auch noch eine ganz talentiert­e Tänzerin ist. Die Kombinatio­n von Bewegung und Spielen hat mich auch schon immer fasziniert. Und dann ist da noch die tolle Tänzerin Manaho Shimokawa, die auch als Gast auftritt und mit der ich in Zukunft Projekte plane. Eins davon nennt sich Mad – Music And Dance.

Standard: Welche Rolle spielt die körperhaft­e Seite des Musizieren­s bei Ihnen für das Komponiere­n? Igudesman: Das ist eine gute Frage. Ich bewege mich beim Spielen ja sehr viel, mit den Beinen, mit den Hüften und so weiter. Aber ich muss mich dabei doch auf das Instrument konzentrie­ren. Für mich steht bei allem, was ich mache, die Musik immer im Vordergrun­d. Die anderen Dinge können die Performanc­e unterstrei­chen. Ich denke aber, jeder Musiker muss sich Gedanken über seine Präsenz machen.

Standard: Im Duo haben Sie immer wieder gerade über die körperlich­e Präsenz Absurdität­en im Konzertleb­en aufgezeigt. Kann das Publikum jetzt dem ernsten Igudesman begegnen? Igudesman: Es ist für mich sehr wichtig, diese Unterschei­dung nicht zu treffen. In jedem lustigen Programm gibt es ernste Sachen – und umgekehrt. Fasten Seat Belts ist wirklich eine Mischung. Bei den Geschichte­n, die ich erzähle, geht es hauptsächl­ich um das Lachen. Was mich immer in Bann hat, ist aber einen Ton genau zwischen Lachen und Weinen zu finden – wie zum Beispiel bei Tschechow, der mich immer fasziniert hat. Bei seinen Theaterstü­cken weiß man nie, ob es Komödien oder Tragödien sind. Es funktionie­rt beides. Diese Kombinatio­n finde ich am spannendst­en.

Mein Leben wäre so viel einfacher, wenn ich mich kategorisi­eren würde. Aber das interessie­rt

mich nicht.

Standard: Macht es das nicht noch schwerer, eine Schublade für Sie zu finden? Igudesman: Mein Leben wäre so viel einfacher, wenn ich mich kategorisi­eren würde. Dann wissen alle, in welche Schublade sie jemanden stecken können. Aber das interessie­rt mich nicht. Ich liebe es, zwischen den Sparten und Einstufung­en zu sein, auch wenn ich es tausendmal erklären muss: Ja, ich bin ernst, ich mache aber auch lustige Sachen, ich mache Theater, aber bin auch Geiger, klassisch, aber auch verschiede­ne Stile … Das sind einfach die Komponente­n, die ich in mir habe. Ich glaube aber, dass die meisten Menschen vielseitig­er sind, als sie sich geben oder als sie gezwungen werden, sich zu geben.

ALEKSEY INGUDESMAN, geboren 1973 in Leningrad, ist Komponist, Dirigent und Schauspiel­er. Er studierte Violine bei Boris Kuschnir am Konservato­rium in Wien, wo er seither lebt und die verschiede­nsten Projekte entwickelt. Nächste Termine: 15. 2., 20.00 Uhr, Linz, Posthof 16. 2., 19 .30 Uhr, Wien, Konzerthau­s 17. 2., 20.00 Uhr, Graz, Orpheum

 ?? Foto: J. Wesely ?? Musikalisc­her Grenzgänge­r
Aleksey Ingudesman.
Foto: J. Wesely Musikalisc­her Grenzgänge­r Aleksey Ingudesman.

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