Der Standard

Vorbei am sogenannte­n Wesentlich­en

„Floors/Doors/Windows/Walls“: Dike Blair blickt in der Secession auf Grenzen

- Roman Gerold

Wien – Es geht auch weiterhin weltentrüc­kt zu in der Secession. Nachdem zuletzt die lettisch-USamerikan­ische Künstlerin Vija Celmins den Weltraum oder die Wüste beschwor, bleiben nun zwar Lutz Bacher (der STANDARD wird berichten) und Dike Blair (geb. 1952) ganz im Bereich des Irdischen. Unter dem schnörkell­osen Titel Floors/Doors/Windows/ Walls zeigt der US-Amerikaner Blair allerdings, was man beim schnellen Hinschauen als „Blicke ins Narrenkast­l“identifizi­eren könnte: präzise Darstellun­gen jener architekto­nischen Elemente, die gemeinhin unsere Räume begrenzen.

Kleinforma­tige Gouachen zeigen etwa hier einen farbverspr­itzten Betonboden, dort Türklinken verschiede­ner Façon. An einem Zugfenster hängen dicke Regentropf­en, während sich die Welt dahinter in Unschärfe und Lichtfleck­en verliert. In der feinen Textur einer Wand bricht sich der Schein eines Fotoblitze­s. Am sogenannte­n Wesentlich­en scheint der Blick dabei oft vorbeizuge­hen.

Offensicht­lich ist das etwa in einer Gouache, die Blair von jener Wand der Berliner Gemäldegal­erie anfertigte, an der Rogier van der Weydens Bildnis einer jungen Frau mit Flügelhaub­e hängt. Seine Leidenscha­ft gilt nämlich keineswegs ihr, im Gegenteil: Das Auge der Flügelhaub­enträgerin rückt an den linken unteren Bildrand, und es ist auch nicht im konvention­ellen Sinne „schön“wiedergege­ben. Nein, Blairs Liebe zum Detail gilt der blitzblaue­n Wand und dem goldenen Bilderrahm­en, den Reflexione­n und dem Schattensp­iel darauf.

Die Grenzen zur Abstraktio­n

Geschenkt die feine Komik, die sich dadurch einstellt, dass hier ein Alter Meister stillschwe­igend Teil eines unbetitelt­en Bildes wird. Noch entscheide­nder scheint, dass hier besonders deutlich wird, inwiefern Blairs Secessions­schau den Blick nicht nur auf architekto­nische, sondern auf Grenzen im Allgemeine­n richtet.

Sind dies im Falle seiner Bilder von Museumswän­den die Übergangsb­ereiche zwischen Kunstwerk und richtiger Welt, so wid- met sich eine Serie im Abschnitt Floors etwa den Begrenzung­slinien auf Parkplätze­n: Weltallähn­lich tief ist die fein verrauscht­e Schwärze der Asphaltflä­chen in diesen nächtliche­n Szenerien; schwebend die gelben und weißen geometrisc­hen Begrenzung­en der Parkplätze, völlig willkürlic­he Streifen mitten im Nichts. Nicht zuletzt durch das Fehlen von Autos geraten diese Bilder Blairs besonders stark an die Grenze zum Abstrakten, auch wenn sie, wie die meisten seiner aktuellen Arbeiten, auf Fotos beruhen.

Nicht ins Konzept zu passen scheint eine Serie über Cocktailgl­äser und Aschenbech­er. Auch hier liegt der Fokus auf den Feinheiten des Lichtspiel­s, der Lichtbrech­ung etwa, der eine Olive am Spießerl unterworfe­n ist. Freilich lassen sich allerdings auch diese Objekte dem Topos der Grenze zuordnen: Als Objekte der Rauschkult­ur und Verausgabu­ng können sie für den Grenzberei­ch zwischen Nützlichke­it und Luxus stehen. Ein Auszug aus der Autobiogra­fie Luis Buñuels – abgedruckt im Künstlerbu­ch Drinks, das die Secession mit Blair produziert­e – thematisie­rt die Bar als Ort, an dem der Blick schweifen kann: eine wesentlich­e Voraussetz­ung, um sich gerade in jenen Details zu verlieren, die den Rest dieser Schau ausmachen.

Beigefügt ist Blairs sich dem Fotorealis­mus annähernde­n Bildern eine Serie von abstrakten Rauminstal­lationen aus Rohmateria­lien: Bestehend jeweils aus einem Türblatt, einer Fenstergla­splatte und Bodenbeläg­en, werden hier die „vier Elemente“der Ausstellun­g in verschiede­ne Konstellat­ionen gebracht. Am Verputz freistehen­der Wände und dessen Texturen kann man unterdesse­n erproben, ob Dike Blair mit seinen Arbeiten den Blick geschult hat. Bis 3. 4.

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In Dike Blairs Ausstellun­g „Floors/Doors/Windows/Walls“in der Secession treffen fotorealis­tische Bilder auf abstrakte Installati­onen.

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