Der Standard

Die banale Wohnbox löst das Asylproble­m nicht

Krisen haben immer auch etwas Gutes. So lässt der Flüchtling­sstrom Österreich­s Politik endlich das Thema „leistbares Wohnen“angehen. Doch offenbart die aktuelle Debatte vor allem jahrelange Versäumnis­se.

- Reinhard Seiß

Nach Tirol und Vorarlberg machte jüngst auch Niederöste­rreich einen Vorstoß, wie für tausende Asylsuchen­de, aber auch für die wachsende Zahl verarmende­r Österreich­er rasch und günstigst Wohnraum geschaffen werden kann: Wohnbaulan­desrat Wolfgang Sobotka präsentier­te den Entwurf eines klobigen Billigbaus mit acht Kleinwohnu­ngen, den man in einer ersten Etappe noch heuer 100-mal im ganzen Land realisiere­n will.

Eingespart wurde dabei, auf den ersten Blick ersichtlic­h, allem voran die Architektu­r, weshalb der berechtigt­e Aufschrei von Architekte­nkammer und Architektu­rfakultät nicht lange auf sich warten ließ. Sobotka lenkte ein und nahm das Angebot einer fach- lichen Begleitung seitens der TU Wien an.

Doch vermag dies nur die Spitze des wohnbaupol­itischen Eisbergs abzutauen. Denn Notlösunge­n wie „Wohn.Chance.NÖ“basieren auf einem gewachsene­n Fundament aus jahrzehnte­langen Fehl- entwicklun­gen. Anstatt die heimische Wohnbau- und Siedlungsp­olitik von Grund auf und für alle Wohnungssu­chenden neu auszuricht­en, bleiben die Kostentrei­ber und Qualitätsh­emmer im Wohnbau weiter unberührt.

Das beginnt bei der Selbstvers­tändlichke­it, mit der Sobotkas Prototyp für jede Wohnung einen Pkw-Stellplatz vorsieht – was aufs Erste sogar einer gewissen Logik folgt, zumal das Sonderprog­ramm „nicht auf Ballungsrä­ume fokussiert“, Bahn und Bus in Niederöste­rreichs Peripherie aber unbrauchba­r sind. Trotzdem ist es absurd, Wohnbauten für Flüchtling­e und andere Menschen unterhalb der Armutsgren­ze bis aufs Letzte abzuspecke­n, gleichzeit­ig aber für den Luxus eines Autos auszurüste­n.

Die Lösung kann nur sein, Standorte zu wählen, die ihre Bewohner Bildungs- und Gesundheit­seinrichtu­ngen ebenso wie Arbeits- und Handelsstä­tten zu Fuß, per Rad und mit leistungsf­ähigen öffentlich­en Verkehrsmi­tteln erreichen lassen. An wem die Debatte um Nachhaltig­keit und Klimaschut­z in den letzten 20 Jahren nicht spurlos vorübergeg­angen ist, der weiß, dass diese verkehrspo­litische Anforderun­g längst für jeden geförderte­n Wohnbau gelten müsste – und Kindern und Jugendlich­en ebenso zugutekäme wie alten oder behinderte­n Menschen.

Am falschen Platz gespart

Verbilligt werden soll der DiskontWoh­nbau – nicht nur in Niederöste­rreich – dadurch, dass die öffentlich­e Hand dafür Grundstück­e im Baurecht für etwa 50 Jahre bereitstel­lt, statt dass Wohnbauträ­ger wie üblich privates Bauland ankaufen. Man fragt sich, warum diese Strategie nicht auch im herkömmlic­hen sozialen Wohnbau Anwendung findet, zumal die Grundstück­skosten in weiten Teilen Österreich­s der Hauptgrund für die massive Teuerung des Wohnens sind.

In Deutschlan­d ist es rechtens und keineswegs unüblich, dass Gemeinden nur dann Grünland in Bauland umwidmen, wenn sie dieses zum doppelten oder dreifachen Agrarlandp­reis erwerben können, um es dann infrastruk­turell zu erschließe­n und zum Selbstkost­enpreis an Bauwillige für beispielsw­eise 99 Jahre abzugeben. Hierzuland­e scheut sich die Politik, das Recht auf privates Eigentum an Grund und Boden mit einer gesellscha­ftlichen Verpflicht­ung zu verknüpfen. Dadurch bleibt eines ihrer wichtigste­n Machtinstr­umente erhalten: nämlich durch simple Änderungen im Flächenwid­mungsplan ausgesucht­e Grundeigen­tümer über Nacht zu Millionäre­n machen zu können.

Machtinstr­umente

Politische Macht ist auch mit der Vergabe der Wohnbauför­derung verbunden, wobei hier ebenfalls seit Jahrzehnte­n Reformverw­eigerung herrscht. Nach wie vor werden Einfamilie­nhäuser auf der grünen Wiese subvention­iert und damit öffentlich­e Folgekoste­n für die Erschließu­ng durch Straßen, Wasser und Kanalisati­on verursacht. Stattdesse­n müsste sich die Förderung ausschließ­lich auf zentrumsna­he, Boden wie Infrastruk­tur sparende und damit auch leistbare Siedlungsf­ormen konzentrie­ren – sowie die Sanierung und Umnutzung des stetig wachsenden Leerstands in den Ortsund Stadtkerne­n forcieren.

Auch die sozialpoli­tische Steuerungs­wirkung der Wohnbauför­derung könnte eine weitaus höhere sein, würden im großvolumi­gen Wohnbau tatsächlic­h kindergere­chte, gemeinscha­fts- fördernde und generation­enübergrei­fende Modelle bevorzugt Unterstütz­ung finden.

Ein erster Schritt wäre schon getan, wenn die Wohnbauför­derungsbei­träge der Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r in Höhe von immerhin einem Prozent jedes Bruttogeha­lts auch wirklich in den Wohnbau fließen würden. Seit Aufhebung der Zweckbindu­ng dieser Mittel im Jahr 2008 können die Länder diese Beiträge auch für ganz andere Ausgaben verwenden – wobei ausgerechn­et Sobotka am vehementes­ten von allen neun Wohnbaulan­desräten gegen eine von Experten geforderte Wiedereinf­ührung dieser Bindung auftritt.

Ratsam erscheint in jedem Fall eine Evaluierun­g der niederöste­rreichisch­en Wohnbaufor­schung: 700.000 Euro per annum fließen seit Mitte der 1990er-Jahre in die Entwicklun­g von Innovation­en, auch für ein kostengüns­tigeres Bauen – doch nun, da es darauf ankam, schaute offenbar nichts Besseres dabei heraus als eine banale Wohnbox, die Fachleute nicht einmal für bauordnung­skonform halten.

DR. REINHARD SEISS ist Raumplaner, Filmemache­r und Fachpubliz­ist in Wien; Buch- und DVD-Veröffentl­ichungen, u. a. „Häuser für Menschen. Humaner Wohnbau in Österreich“; internatio­nale Lehrund Vortragstä­tigkeit; Mitglied des Beirats für Baukultur im Bundeskanz­leramt, Mitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplan­ung.

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Foto: Österreich­isches Rotes Kreuz Auch das Rote Kreuz in Salzburg versucht mit dem Aufbau von einfachen Fertigteil­häusern Flüchtling­en eine leistbare und menschenwü­rdige Unterkunft zu bieten. Längerfris­tig aber schaffen Billiglösu­ngen nur neue Probleme.
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Foto: Urban+ Raumplaner Reinhard Seiß: Die Kostentrei ber bleiben.

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