Der Standard

Clooney bei Merkel: Mehr als ein Plauderbes­uch

-

Kurz werden viele am Freitag vor dem TV-Schirm beim Espresso innegehalt­en haben: Ein PR-Gag? Ein Plausch? Oder mehr? Zweifellos mehr: Dass George Clooney anlässlich der Berlinale mit seiner Frau, der Menschenre­chtsanwält­in Amal Alamuddin, eine Stunde lang mit Angela Merkel im Kanzleramt über das Flüchtling­sproblem sprach, war kein bloßer Anstandsbe­such.

In der Postingsze­ne und in den sozialen Medien wird u. a. behauptet, das alles sei vom Weltkonzer­n Nestlé inszeniert, für dessen Kaffeemark­e Nespresso Clooney bekanntlic­h seit Jahren lukrative Werbung betreibt.

Gut, Merkel braucht Aufwind, seit sie mit ihrer Ehrlichkei­t und ihrem „Ja, wir schaffen das“auf den Widerstand vieler gestoßen war, die Regierunge­n in jeder Frage der „Lügenpolit­ik“zeihen.

Aber dass sie sich von Nestlé einspannen lassen würde, ist zu simpel gedacht und passt zu jenen Fantasiebi­ldern, die fast immer Verschwöru­ngstheorie­n, notorische­n Ängsten oder Altersstar­rsinn entspringe­n. ielleicht hat die Idee zu diesem Treffen ja die Anwältin Alamuddin gehabt, die nebenbei für ein internatio­nales Rettungsko­mitee arbeitet. Originell allemal, weil das weltweit gehypte Treffen hilft, Geld und andere Mittel für Flüchtling­e zu lukrieren.

Und etliche jener Poster, die von Clooney verlangen, er solle, statt PR zu machen, lieber in eigenen Villen Flüchtling­e unterbring­en, würden selbst das als neuen Propaganda­trick kritisiere­n.

VMan muss nicht an große Momente der jüngeren Geschichte erinnern – an die viel fotografie­rten Begegnunge­n zwischen den „drei Musketiere­n“(Copyright Werner A. Perger) Willy Brandt, Bruno Kreisky und Olof Palme in den Siebzigerj­ahren oder das Händehalte­n von Helmut Kohl und François Mitterrand 1984 in Verdun. Auch viel kleinere Events haben manchmal Symbolchar­akter. Diesmal ist es eine kurze Beatmung des Patienten Politik durch eine Zelebrität des Films. ür Merkel mag es eine Genugtuung gewesen sein, Barack Obamas „Friedensbo­tschafter“gegenüber zu sitzen, anstatt sich von Angesicht zu Angesicht über den bayrischen Ministerpr­äsidenten Horst Seehofer zu ärgern, dessen CSU das Wort „christlich“lieber aus ihrem Namen entfernen sollte.

Merkel ist eine der wenigen Staatschef­s mit Haltung, vielleicht überhaupt die Einzige, die transnatio­nal und historisch denkt.

Fehlendes Charisma, fehlende Führungsei­genschafte­n gehören zu den Hauptursac­hen der momentanen Krise der Europäisch­en Union.

Den amerikanis­chen Starschaus­pieler, der schon als ganz Junger mit dem Vater in Afrika engagiert war, kosten Interventi­onen wie die in Berlin keine Stimmen und keine Quoten. Aber seine Popularitä­t kann der Sache dienen. Und den Flüchtling­en kann es völlig gleichgült­ig sein, ob Clooney nur öffentlich­keitsgeil ist oder tatsächlic­h ein politisch engagierte­r Zeitgenoss­e.

Das Hauptprobl­em bleibt die politische Vereinsamu­ng der deutschen Kanzlerin, weil die EU-Granden um sie herum kein Rückgrat haben. gerfried.sperl@derStandar­d.at pderStanda­rd. at/Sperl

F

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria