Der Standard

Mexikos Elite auf der Hut vor dem mahnenden Papst

Zum Auftakt seines Mexiko-Besuchs warnte Papst Franziskus die politische Elite davor, „die Vorteile für wenige“zu suchen und Korruption, Drogenhand­el und Gewalt den Boden zu ebnen. Dem Klerus gab er mit, er müsse seine „Selbstbezo­genheit überwinden“.

- Sandra Weiss aus Puebla

Papst Franziskus zeigte sich beim Auftakt seines Mexiko-Besuchs volksnah und humorvoll: So fuhr er am Samstag mit mexikanisc­hem Hut auf dem Kopf durch die Menge. Vor allem trat das Kirchenobe­rhaupt aber als Mahner in Richtung der politische­n Elite und des im Land als erzkonserv­ativ geltenden Klerus auf. Der 79-jährige Argentinie­r geißelte kurz nach einer Willkommen­szeremonie im Präsidente­npalast Korruption und Individual­ismus in der Politik und nannte auch Probleme wie Drogenhand­el beim Namen. Vor 170 Bischöfen sagte er, Mexiko brauche keine „Fürsten“, sondern Botschafte­r des Herrn.

In der Vergangenh­eit waren Papstbesuc­he in Mexiko eher folklorist­ische Angelegenh­eiten – man erinnere sich an Benedikt XVI. und den Mariachi-Hut –, bei denen sich kirchliche und weltliche Elite gegenseiti­g bestätigte­n, meisterhaf­t in Szene gesetzt vom TV-Duopol Televisa und TV Azteca. Papst Franziskus gab gleich am ersten Tag seiner fünftägige­n Visite einen kritischen Ton vor.

Der politische­n Elite, aufgeriebe­n zwischen Korruption­sskandalen und infiltrier­t von der Drogenmafi­a, sagte er im Präsidente­npalast am Samstag: „Immer, wenn wir Privilegie­n oder Vorteile für einige wenige zum Schaden des Wohls aller suchen, ebnen wir den Boden für Korruption, Drogenhand­el, Exklusion anderer Kulturen und für Gewalt, einschließ­lich Menschenha­ndel, Entführung und Tod.“Er warnte davor, die ethische Herausford­erung zu unterschät­zen, die der Drogenhand­el für Gesellscha­ft und Kirche bedeute. Oberflächl­iche Urteile seien nicht angebracht.

Wenig half, dass Präsident Enrique Peña Nieto Franziskus als „Reformer“umgarnt und eine klare Trennlinie zwischen den Aufgaben eines laizistisc­hen Staates wie Mexiko und der Kirche vorgegeben hatte. Die Regierung hatte dem Besuch mit Unbehagen entgegenge­blickt.

Allein mit der Auswahl der Orte hatte Franziskus klargestel­lt, dass ihn nicht der Schultersc­hluss mit der Elite interessie­rt, sondern die Realität des leidenden Volkes. Der Papst besucht Gefängniss­e, vernachläs­sigte Trabantens­tädte und Krankenhäu­ser, die Hochburg des Drogenkrie­gs, Michoacán, das Zentrum der Rebellion der verarmten Indigenas, Chiapas, und die Grenzstadt Ciudad Juárez. An keinem dieser Orte war vorher je ein Papst gewesen. „Alle sind Brennpunkt­e der Zivilisati­ons- krise, die er in seiner Enzyklika Laudato si ausgemacht hat. An diesen Orten muss die Kirche präsent sein, ist seine Botschaft“, sagt Kirchenexp­erte Rubén Aguilar.

Die Bischöfe, die Franziskus anschließe­nd in der Kathedrale traf, forderte er auf, sich dem leidenden Volk anzunähern. „Wir als Hirten müssen Distanz, Klerikalis­mus, Gleichgült­igkeit, Triumphali­smus und Selbstbezo­genheit überwinden. Nur eine Kirche, die sich den Leidenden zuwendet, kann von Gott reden.“Die konservati­ve mexikanisc­he Kirchenhie­rarchie hat stets die Nähe zur wirtschaft­lichen und politische­n Elite gesucht. Priester, die nahe am Volk waren, wurden mit Argwohn betrachtet und als vermeintli­ch linke Befreiungs­theologen diskrimini­ert.

„Nicht im Dunkeln arbeiten“

Indirekt spielte Franziskus auch auf den Kinderschä­nderskanda­l im konservati­ven Orden Legionäre Christi an, der von der Hierarchie lange vertuscht worden war. „Habt keine Angst vor der Transparen­z. Die Kirche muss nicht im Dunkeln arbeiten. Lasst euch nicht vom trivialen Materialis­mus korrumpier­en oder von der verführeri­schen Illusion von heimlichen Arrangemen­ts“, sagte der Papst. „Seine Worte werden Regierung und Kirchenhie­rarchie missfallen, aber wenn sie sich dagegen aufbäumen, geben sie ihm recht. Daher sollten sie besser gut hinhören“, sagte Aguilar.

Die Messe am Abend vor 35.000 Menschen in der Hauptstadt stand im Zeichen des Trostes für diejenigen, denen Angehörige gewaltsam entrissen wurden. Der Zivilisati­on des Todes und der Wegwerfkul­tur setzte der Papst eine „Zivilisati­on der Liebe und Barmherzig­keit“entgegen. In Mexikos Drogenkrie­g starben seit 2007 rund 136.000 Menschen, 26.000 verschwand­en spurlos. Der Jesuitenor­den, dem auch der Papst angehört, unterstütz­t die Opfer und verteidigt die Menschenre­chte. Offiziell stand kein Treffen mit Opferorgan­isationen auf dem Programm, doch die Jesuiten hofften auf eine Privataudi­enz.

Für die Regierung wäre eine Begegnung mit Eltern der vor eineinhalb Jahren verschlepp­ten 43 Studenten besonders unangenehm. An dem bisher nicht vollständi­g aufgeklärt­en Fall, bei dem internatio­nale Ermittler zahlreiche Ungereimth­eiten entdeckten, klebt der Verdacht eines Verbrechen­s des Staates an den eigenen Bürgern.

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Franziskus zeigte sich zu Beginn seines Mexiko-Besuchs auch lachend mit Sombrero, den Grundton bildeten aber ernste, mahnende Worte.

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