Der Standard

Merkels Henne-Ei-Dilemma lähmt alle

Zum zweiten Mal lädt Kanzler Faymann zum Flüchtling­sgipfel der „willigen EU- Staaten“. Deutschlan­d, Frankreich und die Türkei sind auf höchster Ebene vertreten. Eine Entscheidu­ng über eine Paketlösun­g steht an.

- Thomas Mayer aus Brüssel

Der kommende Donnerstag wird für den Koch des österreich­ischen Botschafte­rs bei der EU in Brüssel zur wohl größten Herausford­erung seines Berufslebe­ns. Gegen zwölf wird die Ständige Vertretung in der Avenue Cortenberg­h von Polizei und Militär hermetisch abgeriegel­t werden. Dann fahren zwölf Regierungs­chefs vor.

Als Erster muss Bundeskanz­ler Werner Faymann kommen. Er ist Gastgeber bei einem „Gipfel der willigen Staaten“, jener EU-Länder, die nach dem Scheitern einer gesamteuro­päischen Lösung der EU-28 in der Flüchtling­skrise etwas weiterbrin­gen wollen.

Neben ihnen wird auch der türkische Ministerpr­äsident Ahmed Davutoglu mit von der Partie sein: Seinem Land kommt eine Schlüsselr­olle zu, wenn es darum geht, den illegalen Strom der Flüchtling­e nach Griechenla­nd zu stoppen oder zu verringern, wie im Herbst beschlosse­n. Einen Erstversuc­h hatte es auf Einladung Faymanns im Dezember gegeben. Der Koch, ein Belgier, hat die hohen Gäste damals mit Sachertort­e glücklich gemacht. Zwei Monate später geht es um die Wurst, eskalierte die Lage in Syrien, geht es in puncto Flüchtling­e Spitz auf Knopf.

„Wenn nicht sehr bald etwas Konkretes geschieht, droht die Union auseinande­rzubrechen“, warnt ein Diplomat im Vorfeld, „eine Zweiteilun­g gibt es schon“.

Das mag einer der Gründe sein, warum bei „Faymanns Minigipfel“diesmal eine weitere politische Größe dabei sein wird: Frankreich­s Staatspräs­ident François Hollande. Er hatte sich beim letzten Mal noch durch einen Minister vertreten lassen. Diesmal ist er bereit, sich mit Davutoglu und der deutschen Kanzlerin Angela Merkel an einen Tisch zu setzen. Das Staatsober­haupt wäre machtpoli- tisch in der Lage, die von Premier Manuel Valls erklärte Distanz zu Deutschlan­ds Kurs aufzuheben.

Damit wäre das höchstrang­ige Trio beieinande­r, das am Ende über „Sein oder Nichtsein“aller Pläne entscheide­n wird, wie bei Eurokrise und Griechenla­nd. Die gute Frage, die sich in Brüssel viele stellen, lautet: Ist die Zeit schon reif dafür? Oder kulinarisc­h: Wird der Koch der Österreich­er für die Nachspeis’ ein Glas Champagner berücksich­tigen müssen?

Der erste Schritt

Alle übrigen beteiligte­n Länder reden mit: die drei Beneluxsta­aten, Finnland, Portugal, Schweden, Slowenien, Griechenla­nd. Sie sind treue Kerneuopäe­r oder von der Flüchtling­swelle besonders betroffen, wollen Fortschrit­t.

In der EU-Kommission, deren Präsident Jean-Claude Juncker (neben Parlaments­präsident Martin Schulz) ebenfalls eingeladen ist, gibt man sich pessimisti­sch. Die „Gruppe der Willigen“bestehe in Wahrheit fast nur aus Merkel, die eine Lösung brauche.

Die Tiefstapel­ei ist nicht überrasche­nd: Juncker und sein Team können schwer verkraften, dass der Plan einer fairen Aufteilung der Flüchtling­e auf alle EU-Staaten bisher gescheiter­t ist. Seit September wurden 497 von 160.000 Flüchtling­en regulär verteilt. Fast eine Million Menschen aber wanderte illegal nach Norden. Die Aufnahmeze­ntren (Hotspots) in Griechenla­nd waren für Ende Dezember vereinbart. Bis Donnerstag will Athen drei flottkrieg­en.

Die Kommission spielt wichtige Vermittler­rolle. Mittwoch wird es mit Vertretern Ankaras eine Runde geben, bei der konkret über die Verteilung von drei Milliarden Euro direkt an syrische Flüchtling­e in der Türkei verhandelt wird. Es geht bessere Versorgung, Schulbildu­ng für die Kinder etc.

Die türkische Seite zeigt sich optimistis­cher, was einen Erfolg beim Willigen-Gipfel betrifft. „Davutoglu ist dazu bereit“, heißt es aus Verhandler­kreisen. Ankara drängt. Binnen zwei Wochen wurden 200 Schlepper verhaftet, die Zahl der Flüchtling­e geht seit Februar zurück. Im März könnte es eine Zypern-Lösung geben, im Mai einen Abschluss zur Visalibera­lisierung, hoffen die Türken. Sie seien bereit und schon dabei, die EU-Außengrenz­e nach Griechenla­nd besser zu schützen. Die EUPartner müssten aber beginnen, syrische Flüchtling­e legal direkt von der Türkei zu übernehmen, „bis zu 250.000 pro Jahr, wenn der illegale Zustrom versiegt“.

Aus EU-Kreisen heißt es, man müsse erst noch prüfen, ob Zusagen wirklich halten. Dann könne eine Einigung verkündet werden. Dazu komme, dass Merkel zwei wichtige Bundesländ­erwahlen Mitte März abwarten müsse.

„Wir haben ein Henne-Ei-Dilemma“, beschreibt ein Verhandler die Situation. Einer müsse den ersten Schritt machen, aber jeder taktiere und warte noch ab, was die andere Seite tue. Vielleicht ändert sich das ja beim Hauptgang.

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Auf Kos feuerten Polizisten Tränengas auf Menschen, die gegen einen Hotspot demonstrie­rten.
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