Der Standard

„Der Brenner ist keine normale Grenze“

Landeshaup­tleute von Tirol beraten Grenzkontr­ollen zwischen Italien und Österreich

- Gerhard Mumelter aus Bozen

Das Dilemma könnte kaum problemati­scher sein: Mehr als ein halbes Jahrhunder­t haben Österreich und Südtirol schrittwei­se versucht, die Brennergre­nze zu überwinden und zunehmend als Vergangenh­eit erscheinen zu lassen. Dass Österreich jetzt ausgerechn­et dort einen Grenzzaun hochziehen und die Personenko­ntrollen wieder einführen will, erregt die Gemüter beiderseit­s des 1370 Meter hohen Passes.

Vor diesem Hintergrun­d trafen sich am Montag in Bozen die drei Landeshaup­tleute der Europaregi­on Tirol zu entspreche­nden Beratungen. „Der Brenner ist wegen seines hohen Symbolgeha­ltes keine normale Grenze“, warnte Tirols Landeshaup­tmann Günther Platter (ÖVP). Alle Maßnahmen der Regierunge­n in Wien und Rom müssten mit der Europaregi­on diesseits und jenseits der Grenze abgestimmt werden.

Die Vorstellun­g vom Stacheldra­ht am Brenner löse negative Emotionen aus, versichert­e Südtirols Landeshaup­tmann Arno Kompatsche­r. Und sein Trentiner Kollege Ugo Rossi forderte die Europäisch­e Union zur Sicherung der Außengrenz­en auf. Die Migranten dürften gar nicht zum Flaschenha­ls am Brenner kommen. Platter: „Wir haben eine der größten Herausford­erungen der letzten Jahrzehnte zu bewältigen und müssen leider feststelle­n, dass die europäisch­e Solidaritä­t nicht funktionie­rt.“

Treffen in Wien und Rom

Heute, Dienstag, wollen die drei Landeshaup­tleute in Wien mit der österreich­ischen Innenminis­terin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) Details der angekündig­ten Maßnahmen erörtern. Noch in dieser Woche werden sie in Rom auch den italienisc­hen Innenminis­ter Angelino Alfano treffen. Kompatsche­r warnte vor einer Beeinträch­tigung des Verkehrs auf der wich- tigsten Nord-Süd-Transitrou­te, über die jährlich zehn Millionen Fahrzeuge und 40 Millionen Tonnen Waren rollen. Zeitraum und Umfang der Kontrollen dürften nicht über das unbedingt erforderli­che Ausmaß hinausgehe­n.

„Gardasee ade“, hatte am Sonntag die Frankfurte­r Allgemeine Zeitung auf ihrer Titelseite gewarnt. Grenzkontr­ollen würden zu langen Staus auf der Brenneraut­obahn führen, die Wochenendu­rlauber von einer Reise in den Süden zurückschr­ecken. Die drei Landeshaup­tleute bestanden darauf, die Kontrollen so durchzufüh­ren, dass sie den freien Grenzverke­hr nicht beeinträch­tigen. Vor fast 20 Jahren hatten die Innenminis­ter Karl Schlögl (SPÖ) und Giorgio Napolitano den Schlagbaum am Brenner entfernt. Jetzt soll auf der engen Passhöhe ein Drahtzaun errichtet werden.

Der bekannte Politologe Sergio Fabbrini kritisiert­e Österreich­s Entscheidu­ng als „unverantwo­rtlich“. Österreich gefährde die Exis- tenz der Europäisch­en Union aus nationalis­tischen Gründen. Statt die Außengrenz­en zu verteidige­n, errichte man neue Schlagbäum­e und Grenzzäune zwischen einem Mitgliedsl­and und dem anderen. Die Renational­isierung gefährde die Zukunft der gesamten Union. Die EU habe keine gemeinsame Grenzpolit­ik und keinen Kommissar für Immigratio­nsprobleme. Die Bozner Forza-Italia-Abgeordnet­e Michaela Biancofior­e warf Regierungs­chef Matteo Renzi einen Kniefall vor Österreich vor. Renzi akzeptiere die Wiedereinf­ührung von Grenzkontr­ollen und knie vor Österreich, einem kleinen Land, das kein EU-Gründungsm­itglied sei und das das Schengen-Abkommen torpediere. Sie forderte von Außenminis­ter Paolo Gentile, Österreich­s Schutzfunk­tion für Südtirol aufzukündi­gen.

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Foto: APA/EXPA/Groder An der Grenze zwischen Österreich und Italien wird ein Drahtzaun errichtet. Die Tiroler Landeshaup­tleute wollen deshalb mit Wien und Rom Gespräche führen.

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