„Geist der Freundschaft“verflüchtigt sich
Die Solidarität bröckelt auch in der „Koalition der Willigen“: In der Flüchtlingspolitik gehen die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und ihr österreichischer Amtskollege Werner Faymann längst nicht mehr immer Hand in Hand. Abschiebeflüge: Chartern ganzer
Die Ehrerbietung ging weit über die üblichen Höflichkeitsfloskeln hinaus. Energisch nickte Werner Faymann seiner deutschen Amtskollegin zu, als diese bei einem Auftritt im September die offenen Grenzen für Flüchtlinge aus Syrien gegen harsche Kritik verteidigte. Emotional wie die Worte Angela Merkels – wenn sie sich für Hilfe in einer Notsituation entschuldigen müsse, „dann ist das nicht mehr mein Land“– fiel auch das Lob des österreichischen Kanzlers aus: „Angela, ich bin dir dankbar, dass du nicht zögerlich warst.“
Fünf Monate später sprechen Merkel und Faymann immer noch viel über die Flüchtlingskrise, regelmäßig stimmen sie sich via Telefon ab. Doch bedingungslos „vereint im Geist der Freundschaft“(Merkel im September) sind die beiden Regierungschefs längst nicht mehr. Statt die deutsche Regentin weiterhin als Vorbild zu preisen, wünscht man sich im österreichischen Kanzleramt mittlerweile, dass sich das große Nachbarland einmal etwas vom kleinen abschaut. Es sei an der Zeit, dass auch Merkel ein klares Signal gebe: „Wir sind nicht mehr der gute Latsch Europas, der alle Flüchtlinge aufnimmt.“
Kurve kratzen in Österreich
Hat sich Faymann mit einem Kurswechsel also von Merkel entfremdet? In der SPÖ will man das K-Wort nicht hören, klingt dieses doch nach Umfallen und einer Abkehr von prinzipieller Hilfsbereitschaft – und davon könne angesichts von 127.500 Asylwerbern, die Österreich zusätzlich zu den 90.000 des Vorjahres in den kommenden vier Jahren aufnehmen will, keine Rede sein. Faymann habe seine Politik lediglich „an die Realität angepasst“, heißt es, ein Sozialdemokrat begründet lapi- dar: „Wenn eine Kurve kommt, muss man lenken.“
Zum Abbiegen genötigt fühlte sich Faymann nach der Erfahrungen des Vorjahres: Deutschland wie Österreich hatten Flüchtlingen, die in Ungarn in katastrophalen Zuständen gestrandet waren, bereitwillig Refugium angeboten. Doch weil die Appelle an das restliche Europa, ebenfalls mehr als eine Handvoll Asylwerber aufzunehmen, vielerorts verhallten, müsse Österreich nun angesichts ungebrochenen Andrangs selbst die Tore ein gutes Stück schließen, argumentiert man in der SPÖ: die Obergrenze als eine Art Notwehrakt, der einerseits Flüchtlinge abschrecken und anderseits unwillige EU-Staaten zur Solidarität zwingen soll.
Merkel kann diese Logik offenbar nicht nachvollziehen, sie zeigte sich über den Schritt der Österreicher enttäuscht – wohl auch aus biografischen Gründen. Offen hat es die CDU-Politikerin nie ausgesprochen; aber sie lehnt Grenzkontrollen und -schließungen nicht nur aus Sorge um die Wirtschaft ab, sondern auch deshalb, weil sie selbst hinter einer Mauer und Stacheldraht in der DDR aufgewachsen ist. Überdies ärgerte sich Merkel aus taktischen Gründen über den Beschluss aus Wien. Als die Kanzlerin von der vereinbarten Obergrenze erfuhr, beklagte sie sich hinter verschlossenen Türen: „Was die Österreicher gemacht haben, erschwert mir die Verhandlungen mit der Türkei.“
Hintergrund: Merkel will erreichen, dass die Türkei Flüchtlinge an der Überfahrt nach Europa hindert. Im Gegenzug sollen die EUStaaten dafür auf kontrolliertem Weg Kontingente an Asylwerbern abnehmen. Wenn nun aber einzelne Staaten mit Restriktionen vorpreschen, engt das Merkels Verhandlungsfreiheit ein.
Im österreichischen Kanzleramt will man hingegen nicht allein auf die türkische Lösung setzen. Selbstbewusste Prophezeiung aus Wien: Es sei nur eine Frage der Zeit, bis Merkel ihre Linie nach Vorbild Faymanns verschärfe und klarstellen werde, „dass es ein Jahr wie das vergangene für Deutschland und Österreich nicht mehr geben kann.“
Vorerst bekommt Faymann in Deutschland aber von anderer Seite Applaus: Die bayerische CSU, notorische Kritikerin von Merkels Flüchtlingspolitik, hat Österreichs Obergrenze zum Vorbild auserkoren.
Darüber sprechen die Airlines alles andere als gerne: Welche Summen sie der Republik für Abschiebeflüge in Rechnung stellen. Ein ziviler Luftfahrtexperte, der hier nicht genannt werden will, beziffert die Kosten für das Chartern einer Maschine in den Nahen Osten, die 150 Menschen an Bord hat und retour muss, mit rund 30.000 Euro, aber: „Es ist unüblich, dass gleich ein ganzes Flugzeug gechartert wird“, verrät er. Zum Vergleich: Die EU-Grenzschutzagentur Frontex, durch Schengen-Staaten finanziert, verrechnet Wien keine Mehrkosten. Eine Flugstunde mit der Hercules des Heeres, die maximal 92 Personen fassen kann, schlägt sich wiederum mit rund 11.800 Euro zu Buche.
Derzeit kalkulieren die Stäbe von Innen- und Verteidigungsressort durch, inwieweit Rückführungen von Asylwerbern mit negativem Bescheid auch mit den Transportflugzeugen des Militärs Sinn machen, wie von Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) anvisiert. Angesichts des hohen Andrangs auch von Wirtschaftsmigranten plant die Koalition bis 2019 rund 50.000 Rückführungen in sichere Herkunftsländer, auch wenn mit vielen Staaten noch gar keine Rücknahmeabkommen bestehen.
Im Vorjahr fanden 8365 Außerlandesbringungen statt, rund 40 Prozent zwangsweise, das Verhältnis von Rückführungen auf Luft- und Landweg betrug 90:10. Weil das Heer nur über drei Hercules verfügt, die von fünf Piloten und fünf Kopiloten gesteuert werden, ist nicht daran gedacht, dass die Hercules die Hauptlast trägt, heißt es im Verteidigungsressort.
Auf 180 Flugstunden im Jahr müssen die Piloten kommen, damit ihre Einsatzfähigkeit gewährleistet bleibt, tatsächlich fliegen sie rund 250 pro Jahr. Für Abschiebeflüge müsste die Hercules etwas adaptiert werden: Der derzeit freie Zugang zum Piloten müsste mit einer Cockpittür versehen, freiliegende Kabel abgedeckt werden. Für den Fall, dass es zu Tumulten kommt. (nw)