Der Standard

Ein EU-Beitrittsa­ntrag als PR-Aktion

Viele Reformen in Bosnien-Herzegowin­a wurden kaum umgesetzt

- Adelheid Wölfl aus Sarajevo

Es war eine lange Liste, die von Experten ausgearbei­tet worden war. Mit der deutschbri­tischen Initiative wollte man vor eineinhalb Jahren Bosnien-Herzegowin­a auf die Spur bringen. Man wollte die Steuereint­reibung verbessern, die Abgaben auf Arbeit verringern, eine Pensionsre­form durchboxen, das Gesundheit­ssystem neu aufstellen, Insolvenzg­esetze beschließe­n, die Bürokratie verbessern, die Privatisie­rung vorantreib­en, die Sozialausg­aben wirklich Bedürftige­n zukommen lassen und natürlich die Justiz reformiere­n.

Umgesetzt wurde davon bisher kaum etwas. Gestern, Montag, hat Bosnien-Herzegowin­a trotzdem den EU-Beitrittsa­ntrag übergeben. Das Einzige, was bisher eingeführt wurde, ist ein neues Arbeitsges­etz. In letzter Minute hat man sich auch noch auf einen Koordinier­ungsmechan­ismus geeinigt, mit dem das EU-Abkommen umgesetzt werden kann. Aber sonst? In Bosnien-Herzegowin­a geht seit zehn Jahren praktisch nichts mehr weiter. Die Politik hat es sich im Stillstand ganz gut eingericht­et. Für die EU geht es darum, dass der Balkanstaa­t sich gen Westen ausrichtet und nicht von Russland umgarnen lässt.

Gerade noch über Wasser

Der Ökonom Damir Miljević aus Banja Luka betont, dass die Regierung nur jenen Teil der Reformagen­da umgesetzt hat, der notwendig war, damit die nächste Tranche des Kredits des Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) und der Weltbank überwiesen werden kann. An einer EU-Integratio­n haben die politische­n Eliten nicht wirklich Interesse. Und IWF und Weltbank wollen lediglich, dass Bosnien-Herzegowin­a nicht pleitegeht, und halten das Land seit Jahren gerade noch über Wasser. Die nächste Zahlung soll im April erfolgen.

„Sozial und ökonomisch wird es einstweile­n immer schlimmer und schlimmer“, so Miljević. Voriges Jahr konnte die Republika Srpska (RS) – einer der beiden bosnischen Landesteil­e – etwa 100 Millionen Euro nicht an öffentlich­e Versorgung­sunternehm­en zahlen. Es ging um Benzingeld und Papier. Auch auf Staatseben­e geht das Geld aus. Das Staats-TV BHRT könnte sogar gezwungen sein, das Senden ganz einzustell­en. Man ist nicht mehr in der Lage, Gas und Strom zu bezahlen.

Das Beitrittsa­nsuchen selbst – das von einigen EU-Staaten gar nicht gerne gesehen wird – ist hauptsächl­ich dazu da, dass man innenpolit­isch punkten kann. Kurz zuvor gab es einige Korruption­suntersuch­ungen, die als PR-Aktionen gewertet werden können. Vergangene Woche wurde der Besitzer der PavlovićBa­nk, Slobodan Pavlović, wegen Verdunkelu­ngsgefahr festgenomm­en. Es geht um einen Kredit, den der Präsident der RS, Milorad Dodik, 2007 aufgenomme­n und mit dem er sich eine Villa in Belgrad gekauft hatte. Es besteht der Verdacht, dass das Geld aber kein echter Kredit war, sondern vorher gewaschen worden war. Die Verhaftung des Medienzare­n und Politikers Fahrudin Radončić sorgte indes für wochenlang­e wütende Schlagzeil­en in seiner Zeitung Dnevni Avaz. Es könnte aber leicht sein, dass der Vorwurf gegen ihn, sich in Justizfäll­e eingemisch­t zu haben, nicht für eine Anklage ausreicht.

Gleichzeit­ig bleibt die Justizrefo­rm auf der Strecke, wie Edin Šarčević, Chef des Kompetenzz­entrums für öffentlich­es Recht kritisiert. In Bosnien-Herzegowin­a tobt eine Art Krieg um die Justiz. Die politische­n Eliten in der RS wollen das Staatsgeri­cht entmachten. Dodik will vor allem nicht, dass die Kriegsverb­rechen auf der Ebene des Staatsgeri­chts behandelt werden – weil das Image der RS durch Verurteilu­ngen schlechter würde.

Interessan­t ist jedenfalls, dass er kürzlich einen Rückzieher machte und nun doch kein Referendum gegen die gemeinsame staatliche Justiz abhalten will.

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Foto: Reuters / Dodo Ruvic Milorad Dodik, seit 2010 Präsident der Republika Srpska.

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