Der Standard

„Die Jungen müssen eine neue Welt erschaffen“

Es herrscht so viel Angst wie noch nie: Der schwierige­n Weltlage liegt eine tiefgreife­nde soziale Krise zugrunde. Walter R. Mead über eine neue Generation, die wieder Grundfrage­n beantworte­n muss.

- Christoph Prantner

INTERVIEW: STANDARD: Was war der stärkste Eindruck für Sie auf der diesjährig­en Münchner Sicherheit­skonferenz? Mead: Der Umstand, dass die Situation so ernst geworden ist, dass man aufgehört hat, sich vorzumache­n, alles wäre okay. Seit Jahren sehen wir, dass die internatio­nale Lage zunehmend schwierige­r wird. Die Reaktion darauf war bisher, dass man sich eingeredet hat, die Dinge würden sich bessern, es gäbe keinen Grund zum Alarmismus, die Eliten hätten einen Plan. Alles würde gut werden, wenn jeder nur daran glauben würde und geduldig sei. Das war nicht die Botschaft dieses Jahres. Es ist klar, dass die EU, das transatlan­tische Verhältnis, der Nahe Osten aus den Fugen sind und niemand weiß, was dagegen zu tun ist.

STANDARD: US-Außenminis­ter Kerry hat in München gesagt, man kenne die Probleme und habe auch die Macht, diese zu lösen. Ein bisschen sehr optimistis­ch, oder? Mead: Das war der Schluss einer langen Rede, in der alle Details zuvor genau in die entgegenge­setzte Richtung gedeutet haben. Das war der obligatori­sche Optimismus, den jemand haben muss, der ein solches Amt bekleidet.

STANDARD: Hat irgendeine Staatskanz­lei einen Plan, was gegen diese Krisen zu tun ist? Mead: Manche sagen, sie hätten einen. Mein Verständni­s aber ist, dass die Wurzel dieser multiplen Probleme eine tiefgreife­nde soziale Krise ist. Die soziale Marktwirts­chaft, die im Westen nach dem Zweiten Weltkrieg tischer Agitation, in der gefordert wird, diese alte Welt zu bewahren. Ich glaube nicht, dass das geht. Viele unserer politische­n Eliten schauen zurück, weil wir nicht wissen, was als Nächstes kommen wird. Dieser Versuchung dürfen wir nicht unterliege­n. Wir müssen nach vorn sehen, die Nachfrage nach Arbeit erhöhen, damit auch ihr Preis steigt. Das funktionie­rt nur mit neuen Unternehme­n.

STANDARD: Leichter gesagt ... Mead: Innovation per se macht uns ja nicht arm. Im Gegenteil. Wir haben nur keine Prozesse, um damit umzugehen. Es ist, als hätten wir im Lotto gewonnen und wüssten nicht, was wir mit dem Geld machen sollen. Dieses Problem kann nicht durch ein zentrales Planungsmi­nisterium gelöst werden, auch wenn das heute viele wünschen. Das können nur Einzelne in kleinen Schritten angehen.

STANDARD: ... als getan. Mead: Zu unseren Zeiten waren die größten Probleme der Welt – zumindest in der Theorie – gelöst. Für die Jungen von heute sind die großen Fragen eben nicht beantworte­t. Wir alle glauben, dass Demokratie etwas Gutes ist, aber wir wissen nicht, wie wir diese erhalten können unter den sich ändernden Umständen. Die Jungen müssen eine Antwort darauf finden. Dazu braucht es andere Charaktere, eine andere Philosophi­e, ein anderes In-der-Welt-Sein. Die neue Welt zwingt uns dazu. Die fette Nachkriegs­zufriedenh­eit hat dem menschlich­en Geist das Feuer ausgetrieb­en. Furchtbare Dinge geschehen, wenn ein Weltsystem auseinande­rbricht. Siehe Syrien, das könnte nur der Anfang sein. Ich wünsche diese Katastroph­en nicht herbei. Aber ich denke, dass die neue Generation von Europäern, Amerikaner­n und anderen großartig sein muss. Und zwar viel mehr, als es die Generation vor ihnen sein musste. Denn sie müssen eine neue Welt erschaffen.

WALTER RUSSEL MEAD (Jg. 1952) ist Professor für Foreign Affairs und Humanities in Yale. Kommenden Montag kommt er nach Wien, um über den USWahlkamp­f zu sprechen. Amerika-Haus, 18.30 Uhr, Friedrich-Schmidt-Platz 2.

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Ein Weltsystem bricht zusammen, in Syrien (Bild Aleppo) zeigt sich der Schrecken, der daraus entsteht.

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