Noch keine Feuerpause in Syrien
Türkei droht Kurden mit „schärfsten Reaktionen“
Damaskus/Moskau/Ankara – Trotz internationaler Absprachen für eine Feuerpause, die am Wochenende am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz getroffen worden waren, spitzt sich der Konflikt in Syrien weiter zu. Die Fortsetzung der Kämpfe führte auch zu einer Verschärfung des Tons zwischen der Türkei und Russland – und zwischen der Türkei und ihrem Nato-Partner USA.
Die Truppen des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad versuchen derzeit mit Hilfe der russischen Luftwaffe, die nordsyrische Stadt Aleppo einzunehmen. Dabei gehen sie vor allem gegen Rebellen vor, die von westlichen Staaten unterstützt werden. Durch die Kämpfe sind auch Kurdenmilizen erhebliche Gebietsgewinne gelungen. Dies wiederum rief erneut die Türkei auf den Plan, die ein Erstarken kurdischer Gruppen fürchtet.
Am Montag drohte Ankara mit „schärfsten Reaktionen“, sollten die Kurden ihren Vormarsch fortsetzen. Empört reagierte die Türkei auch auf Mahnungen der USA, sich auf den gemeinsamen Kampf mit der Kurdenmiliz YPG gegen die Terrormiliz IS zu besinnen. Man sei schockiert, mit der YPG in eingeführt wurde und Massenwohlstand auf Basis von Massenproduktion schuf, bricht zusammen. Das fordert die Grundannahmen heraus, auf denen der Westen basiert, ist aber auch ein Problem für Länder wie China oder Indien, deren Ziel es ja ist, so wie Frankreich in den 1980er-Jahren zu werden. Das System, von dem die Menschen angenommen haben, es sei die Antwort auf alle politischen und sozialen Fragen, liegt in Trümmern. Das macht die internationale Politik schwieriger, aber auch das Entwickeln stabiler politischer Ansätze innerhalb von Staaten.
STANDARD: Einige Beobachter meinen, dass das politische System des Interessenausgleichs nicht mehr funktioniere und deswegen zunehmend Identitätspolitiken ins Spiel kommen. Was meinen Sie? Mead: Das ist ein Teilaspekt. Seit dem Zweiten Weltkrieg haben wir so viel Erfolg mit einen Topf geworfen zu werden, sagte ein Sprecher des Außenministeriums. Im Kampf gegen Terrorgruppen werde die Türkei niemanden um Erlaubnis bitten.
Die türkische Armee hatte in den vergangenen Tagen Stellungen der YPG und der syrischen Regierungstruppen jenseits der Grenze beschossen. Das Außenministerium in Moskau teilte dazu mit, es betrachte die türkischen Attacken auf syrischem Gebiet als „Provokation“und „Bedrohung für Frieden und Sicherheit im Mittleren Osten“.
Angriffe auf Krankenhäuser
Der türkische Premier Ahmet Davutoglu wiederum warf der russischen Luftwaffe vor, mit einem Raketenangriff Zivilisten in Azaz getötet zu haben. Beim Einschlag mehrerer Raketen wurde nach Angaben von Sanitätern unter anderem ein Kinderkrankenhaus getroffen. Dabei seien 19 Zivilisten ums Leben gekommen. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen berichtete von einem weiteren Angriff auf ein in der Provinz Idlib gelegenes Krankenhaus. Acht Mitarbeiter würden dort vermisst. (Reuters, red) transnationalen Kooperationen wie Welthandel oder internationalen Institutionen gehabt, dass die Eliten vergessen haben, dass man diesen kosmopolitischen Globalismus mit einem tiefen Verständnis für die lokalen Wurzeln kombinieren muss, die diese Visionen tragen. In vielen Staaten sind die Menschen heute aber der Ansicht, dass die Eliten sich nicht um ihre Mitbürger kümmern. Verkürzt formuliert, könnte man diese Haltung so beschreiben: Ich zahle deren Gehälter, und die wollen 5000 Syrer in meiner Stadt unterbringen!
STANDARD: Gibt es eine vergleichbare Periode in der Geschichte zu heute? Mead: Die Jahre vor 1914: Da war die Weltwirtschaft in vielerlei Hinsicht globalisierter als heute, man konnte ohne Pass fast weltweit reisen, aufgrund des Goldstandards konnte man mit Bankgarantien überall Geld beheben, Investitionen waren einfach zu tätigen und die Migration im Wesentlichen frei möglich. Diese Ära kam zu einem jähen Ende wie auch ihr Revival am Ende der 1920er-Jahre. Wir haben diesen Film schon einmal gesehen.
Wiederholt sich die Ge-
STANDARD: schichte? Mead: Wir sollten die Gefahr nicht unterschätzen. Wenn wir nicht bessere Wege finden, mit der gegenwärtigen Situation umzugehen, könnten wir auf eine deutlich finsterere Zukunft zusteuern, als wir uns das noch vor drei oder vier Jahren ausgemalt haben.
STANDARD: Haben die Eliten den Ernst der Lage erfasst? Mead: Sie sind zunehmend verstört. Das war in München mit Händen zu greifen. Es gibt ein Ausmaß an Angst, das wir zuvor noch nicht gesehen haben.
STANDARD: Braucht es einen neuen Schlag von Führungspersonal? Mead: Es ist mehr eine Frage der Politik als eine von Persönlichkeiten. Wie gibt man einer jungen Generation eine Perspektive von Stabilität und Prosperität? In vielen Teilen Europas liegt die Jugendarbeitslosigkeit um die 40 oder sogar 50 Prozent. Diese Wähler wollen Antworten darauf, wie sie ein normales Leben leben, eine Familie gründen, ein Haus kaufen kön- nen. Viele Junge haben derzeit keine Chance, genau das zu tun. Sie machen die amtierenden Politiker dafür verantwortlich und gehen für Bernie Sanders und Donald Trump auf die Straße. Der etablierte politische Raum schrumpft, neue Bewegungen auf der Rechten und Linken poppen auf, die von der normalen politischen Sphäre völlig losgelöst sind.
STANDARD: Braucht es einen neuen Generationenvertrag? Mead: Vergleichen wir unsere Zeiten mit der Industriellen Revolution: 1880 konnte sich niemand vorstellen, was die Jobs des 20. Jahrhunderts sein werden. Heute sind wir in einem ähnlichen Moment. Die neuen Jobs in der digitalen Welt entstehen nicht so schnell, wie die alten verschwinden. Das führt zu populis-