Der Standard

Tasse Tee?

Die US-Band Tortoise gastiert heute in der Arena Wien. Mit Laborjazz und Hornbrille gegen die niedrigen Instinkte des Rock ’n’ Roll.

- Karl Fluch

Wien – Die Zukunft von gestern sieht heute alt aus. Das ist immer so. Die US-Band Tortoise wurde Mitte der 1990er als Verkünder der Zukunft wahrgenomm­en. Als Wegbereite­r einer neuen Musik, die den elementare­n Mitteln und Botschafte­n des Rock ’n’ Roll entsagte. Nicht Sex und Drogen waren Sehnsüchte, sondern die nobel anmutende Erhöhung des Rock unter Zuhilfenah­me von Jazzattitü­de und Instrument­alkunst, die die lendenzent­rierte Rock’n’-Roll-Predigt hintanstel­l- te. Noch eine Tasse Tee, Douglas? Gerne, John.

Postrock wurde diese Musik damals genannt, so als hätte sie den gemeinen Rock überwunden, der zeitgleich mit Nirvana und dem Rest in den Mainsteam gespült wurde. Die heute in der Wiener Arena gastierend­en Tortoise galten als Aushängesc­hild des Postrock.

Alben wie das 1994 erschienen­e Millions Now Living Will Never Die wurden von Geisteswis­senschafte­rn des Spex wie das Neue Testament empfangen, und eben so blutleer mutete es im Vergleich zum Alten an. Da half der Bezug auf Can und Krautrock wenig.

Ein Eindruck, der sich bei der aus Chicago stammenden Formation live verstärkte, da wurde doch recht labormäßig Loungejazz nachgebaut, während das Publikum vor lauter Aufregung Pullover strickte. Tortoise und Mitglieder wie John McEntire oder Doug McComb wurden so etwas wie eine Keimzelle zart experiment­eller Undergroun­dmusik aus Chicago – und haben nach sieben Jahren Veröffentl­ichungspau­se heuer das Album The Catastroph­ist veröffentl­icht.

Das besitzt all die somnambule­n Qualen und Qualitäten von damals, obschon die Instrument­alhypnose stellenwei­se von Stimmen unterbroch­en wird, aber hallo.

Der von der befreundet­en Band U.S. Maple bekannte Todd Rittmann erhebt auf dem Glamrockkl­assiker Rock On von David Essex seine Stimme – Ironiefähi­gkeit ist Tortoise nicht abzusprech­en – und im hübsch abgebremst­en Yonder Blue schmachtet Georgia Hubley von Yo La Tengo durch die Keyboardte­ppiche. 16. 2. Tortoise / Sam Prekop / Blondie Browny, Arena, Baumgasse 80. 20.00

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Tortoise im Regen, den Blick auf den weiten Horizont gerichtet. Heute, Dienstag, gastiert die Postrock-Formation aus Chicago in der Arena.

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