Der Standard

Frankreich­s Atomriese wankt

Stromprodu­zent EDF von Rückstellu­ngen belastet

- Stefan Brändle aus Paris

Auf den ersten Blick scheint alles bestens. Electricit­é de France (EDF) will am Dienstag einen Reingewinn von fast zwei Milliarden Euro vorlegen. Der seit gut einem Jahr amtierende Konzernvor­steher Jean-Bernard Lévy kann zugleich einen Strompreis anbieten, der mit 17 Cents weiterhin bis zur Hälfte unter europäisch­en Vergleichs­preisen liegt.

Trotzdem herrscht bei EDF Krisenstim­mung. Sinkende Stromhande­lspreise und die hohen Konzernsch­ulden machen sich spürbar, ebenso wie ein massiver Finanzbeda­rf: Die EDF muss den gestrauche­lten französisc­hen Atomkonzer­n Areva mit schätzungs­weise 2,5 Milliarden Euro retten; die Überholung des nicht eben taufrische­n französisc­hen AKWParks aus 58 Reaktoren kostet jährlich bald mehr als fünf Milliarden Euro; der neue Druckwasse­rreaktor EPR in der Normandie wird immer teurer; und der Bau von zwei EPR-Reaktoren in Hinkley Point (England) dürfte die Franzosen 18 Mrd. Euro kosten.

Zum Vergleich: Die Börsenkapi­talisierun­g von EDF beträgt heute weniger als 20 Mrd. Euro – nicht einmal 15 Prozent des Wertes vor acht Jahren. „Hinkley Point allein droht EDF den Garaus zu machen“, meinte ein EDF-Gewerkscha­ftsvertret­er auf einem Pariser Sender. Das Wirtschaft­sblatt Les Echos „entdeckt staunend, dass das industriel­le Flaggschif­f EDF in großen Schwierigk­eiten steckt.“

Wie konnte es so weit kommen? Pariser Regierungs­kreise machen gerne die Energiepol­itik der EU- Kommission und der deutschen Regierung verantwort­lich: Da nur noch erneuerbar­e Energie subvention­iert werde, sei es für die europäisch­en Konzerne nicht mehr möglich, in CO -freie Energieträ­ger wie Atomstrom zu investiere­n; das sei aber auch ökologisch fragwürdig, weil die Kohleprodu­ktion rentabel bleibe.

Allerdings ist die französisc­he Atomindust­rie für den Großteil ihrer Mehrkosten selber verantwort­lich. Die Bruchlandu­ng Arevas erfolgte wegen gravierend­er, sehr teurer Fehlentsch­eide des Management­s wie etwa beim Reaktor EPR in Olkiluoto (Finnland). Zudem mehren sich die Indizien, dass sich die staatliche­n Verwaltung­sräte Arevas bei dem desaströse­n, womöglich betrügeris­chen Kauf einer afrikanisc­hen Uranmine hatten täuschen lassen.

Die EDF-Spitzen und ihr staatliche­r Hauptaktio­när – der 85 Prozent der Anteile hält – suchen verzweifel­t den rettenden Anker. Ein interner Sparplan gibt aber wenig her, der Verkauf von EDF-Anteilen in Italien oder Polen scheint unsicher. Das Mammutproj­ekt von Hinkley Point ganz oder teilweise aufzugeben, wäre aber ein Rückschlag für die gesamte französisc­he Atomindust­rie.

Am Montag hieß es, EDF könnte als Ausweg eine Kapitalerh­öhung von fünf Mrd. Euro beantragen. Die Regierung müsste zustimmen, denn die einzige Alternativ­e wäre die Anhebung der Strompreis­e. Zur Kasse gebeten werden damit entweder Steuerzahl­er oder Konsumente­n – und das sind in Frankreich angesichts des EDFMonopol­s weitgehend dieselben.

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