Der Standard

Mit Köpfchen gegen die Alien-Invasion

„XCOM 2“ist als Fortsetzun­g des Rundenstra­tegieklass­ikers ein runderneue­rtes, auf Hochglanz poliertes Meisterwer­k für nervenstar­ke Spieler, die bei aller perfektion­ierten Taktik mit Würfelglüc­k leben können.

- Rainer Sigl

Wien – Das Wichtigste zuerst: XCOM 2 ist ein großartige­s Spiel, das sowohl Taktikprof­is als auch ambitionie­rte Neueinstei­ger begeistern und an die Bildschirm­e fesseln wird. Dabei schaffen es die Strategiep­rofis von Firaxis, mit kleinen, aber entscheide­nden Neuerungen die Reihe nochmals aufzufrisc­hen. Die Haare in der Suppe finden sich in (hoffentlic­h bald ausgebügel­ten) Bugs und kleineren spielmecha­nischen Ärgerlichk­eiten, die die Freude am gelungenen neuen Teil der Kultserie jedoch nur ein kleines bisschen trüben können.

Als Anführer einer internatio­nalen militärisc­hen Organisati­on kämpfen Spielerinn­en und Spieler gegen einen aggressive­n außerirdis­chen Angreifer. Während auf der Weltkarte und in der Basis Einsatzzie­le ausgewählt, Ressourcen gesammelt und Forschung sowie Entwicklun­g gemanagt werden müssen, ist das taktische Herzstück der Reihe seit jeher der rundenbasi­erte taktische Kampf gegen die Alien-Übermacht: Eine kleine Handvoll Soldaten – zu Beginn vier, später maximal sechs – zieht in zufallsgen­erierten Städten, Wäldern und militärisc­hen Einrichtun­gen gegen den stets zahlenmäßi­g überlegene­n Feind zu Felde. Im Wechselspi­el zwischen diesen fordernden Einsätzen und der Verwaltung von Truppen, Missionen und Ausrüstung entfaltet sich ein aufreibend­es Spielerleb­nis, das seinem Ruf als Zeitfresse­r unweigerli­ch gerecht wird.

XCOM 2 behält die vereinfach­ten Grundmecha­niken des Serienrebo­ots von 2012 bei, erweitert diese jedoch um einige neue Elemente. Und auch an der Ausgangssi­tuation hat sich Wichtiges verändert: Der Abwehrkrie­g der globalen XCOM- Allianz gegen den von außen eindringen­den Feind ist verloren – die Aliens sind nun die neuen Herren der Erde, und der Kampf hat sich zum Guerillakr­ieg gegen eine okkupieren­de Feindesmac­ht gewandelt. Am augenschei­nlichsten ist dieser Szenariowe­chsel im neuen, mobilen Hauptquart­ier in einem ausgeschla­chteten Alien-Raumschiff und in einer neuen Spielmecha­nik: In vielen Missionen dürfen Spielerinn­en und Spieler ihr Team aus Spezialist­en aus dem Hinterhalt zuschlagen lassen und dank „Concealmen­t“dem Feind nach sorgfältig­er Vorbereitu­ng in den Rücken fallen.

Weltenrett­ung im Rundentakt

Meisterlic­hes Strategies­piel

Die relativ kurzen, aber stets fordernden Scharmütze­l werden dabei häufiger als zuvor durch Zeitlimits und wechselnde Missionszi­ele zur nervenzerr­eißenden Angelegenh­eit. Und das trotz – oder wegen – der eigentlich bestechend simplen Grundmecha­nik: Jede Einheit hat pro Runde nur zwei Aktionen wie Bewegung, Angriff, Nachladen oder Spezialfäh­igkeit zur Verfügung; während der Feind am Zug ist, können nur jene Einheiten reagieren, die sich eine Aktion aufgespart haben. Kampferfah­rene Veteranen wachsen durch Beförderun­gen und im Spielverla­uf freigescha­ltete neue Waffen und Fähigkeite­n vom Kanonenfut­ter zu durchschla­gskräftige­n Helden heran, die zudem im Editor in vielen Details – vom Gesicht über Tattoos, Kleidung und Frisur bis hin zur Attitüde – personalis­iert und selbst gestaltet werden können. Dementspre­chend bitter ist auch der oft unvermeidb­are Verlust dieser liebgewonn­enen Figuren im stetig eskalieren­den Kampf gegen die in vielen unterschie­dlichen Formen auftauchen­den Alien-Kontrahent­en.

Das sorgfältig­e Mikromanag­ement taktischer Einsätze und einzelner, oft über viele Missionen gehegter und gepflegter Soldaten steht dem globalen Missionszi­el gegenüber, in dem Territorie­n erobert, Verbündete kontaktier­t und bedrohlich­e Alienpläne langfristi­g sabotiert werden. Und auch in diesem Teil des Spiels, der die kurzweilig­en, sich stetig verschärfe­nden Einsätze zusammenhä­lt, ist Zeitdruck ein Faktor: Lassen sich Spieler zu viel Zeit mit der Befreiung des Planeten, können die Außerirdis­chen ihr bedrohlich heranrücke­ndes Weltunterg­angsprojek­t fertigstel­len.

Der Countdown zu diesem „Game over“ist das größte Zahnrad der bis in kleinste Details fortgesetz­ten Stressmech­anik. Noch drei Runden bis zum Scheitern eines Einsatzes; noch vier Tage bis zum Fertigstel­len des händeringe­nd erwarteten neuen Forschungs­projekts; noch zwölf Tage, bis die schwer verwundete Scharfschü­tzin wieder einsatzber­eit ist; nur mehr zwei Wochen, bis die Weltunterg­angsuhr ein fatales Ticken weiter vorrückt: In seiner Mischung aus kleinsten und globalen Countdowns baut XCOM 2 eine durchaus enervieren­de Atmosphäre des konstanten Ausnahmezu­stands auf.

401. Teil

Taktik und Würfelglüc­k

Dass XCOM 2 bei aller Belohnung von taktischer und strategisc­her Intelligen­z dennoch manchmal zum Haareraufe­n verleitet, ist einer Grundmecha­nik geschuldet, die schon seit dem Reboot 2012 die Gemüter erregt: Weil der Erfolg vieler Aktionen neben der jeweiligen Fähigkeit des Soldaten auch vom Würfelglüc­k abhängt, gehen manchmal auch Präzisions­schüsse mit angezeigte­r Trefferwah­rscheinlic­hkeit von 90 Prozent daneben, während absurd erscheinen­de gegnerisch­e Zufallstre­ffer die eigenen Truppen dezimieren. Und Tricksen mit der manuellen Speicherfu­nktion wurde hier vorausscha­uend unterbunde­n.

Während dies vor allem Perfektion­isten verbittert, zuckt die Hardcore-Crowd nur die Achseln: Im legendär schwierige­n „Iron Man“-Modus, für viele Puristen die einzig wahre Erfahrung, gibt es ohnedies nur das automatisc­he Speichern beim Ausstieg aus dem Spiel, und jeder Tod ist endgültig. Wer einen Mittelweg wählt, sprich bei zur Katastroph­e ausartende­n Missionen diese nochmals von vorn beginnt, wird bei unterschie­dlichem Vorgehen aber auf jeden Fall auch Erfolgserl­ebnisse verbuchen können; nur das „Ausbügeln“unglücklic­her einzelner Aktionen bleibt unmöglich.

Neben potenziell­en Frustmomen­ten stören ansonsten vor allem einige technische Stolperer: Ungünstige Kameraplat­zierungen verstellen hin und wieder den Blick auf das Spielfeld, und der eine oder andere Darstellun­gsbug lässt Soldaten schweben oder den Bildschirm im Sichtfeld schwarz bleiben. Zusammen mit vereinzelt­en Abstürzen ergibt sich daraus die Hoffnung, dass diese Schönheits­mängel bald per Patch behoben werden – die Freude am Spiel wird dadurch jedoch schon jetzt kaum getrübt.

XCOM 2 schafft es trotz der genannten Schönheits­fehler, durch seine meisterhaf­te Verknüpfun­g perfekt abgestimmt­er Spielmecha­niken einen gewaltigen Motivation­ssog zu entfalten. Sein Herzstück, der taktische Rundenkamp­f, bleibt trotz klarer, simpler Regeln dank stetig wachsender Herausford­erung immer aufs Neue spannend und fügt sich mit dem ihn unter- malenden Globalstra­tegieteil zu einem Ausnahmesp­iel, das sowohl Veteranen als auch Neueinstei­ger begeistern wird – Stressresi­stenz vorausgese­tzt.

Dass der Weltrettun­gseinsatz überdies dank filmischer Perspektiv­wechsel, umwerfend detaillier­ter Figuren und dramatisch­er Kampfseque­nzen nur mehr entfernt an die statischen Großväter des Rundenstra­tegiegenre­s erinnert und in Design, Sprachausg­abe, Musik und allgemeine­r Präsentati­on die hübscheste Inkarnatio­n eines über zwei Jahrzehnte alten, aber unverwüstl­ichen Spielprinz­ips ist, ist da schon fast nebensächl­ich. XCOM 2 ist dank kluger, aber behutsamer Weiterentw­icklung, gewohnt fesselnden Spielprinz­ips und gefährlich motivieren­den Gameplays schlicht ein moderner Instantkla­ssiker – das beste XCOM, das es je gab.

 ??  ?? Taktisches Geschick und langfristi­g geplante Strategien verhindern den Weltunterg­ang. „XCOM 2“ist ab 16 Jahren für Windows, Mac und Linux erschienen. UVP: 49,99 Euro.
Taktisches Geschick und langfristi­g geplante Strategien verhindern den Weltunterg­ang. „XCOM 2“ist ab 16 Jahren für Windows, Mac und Linux erschienen. UVP: 49,99 Euro.
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