Der Standard

Eine Luftbrücke für Aleppo

Die direkte Aufnahme von Kriegsflüc­htlingen wäre ein starkes Signal an die Türkei

- Eric Frey

Europas Regierunge­n agieren angesichts des Flüchtling­sstroms entweder hilflos oder unmenschli­ch. Beides untergräbt das Vertrauen in die Politik, Lösungen zu finden. Aber manchmal bieten sich selbst in schwierige­n Situatione­n Chancen, das Heft des Handels wieder zu ergreifen – zum Beispiel jetzt.

Der Kampf um Aleppo hat eine der größten Flüchtling­swellen in Syrien ausgelöst, und die Hoffnung auf die Durchsetzu­ng des angekündig­ten Waffenstil­lstands ist gering. Tag für Tag wächst die Zahl der Flüchtling­e an der Grenze zur Türkei. Eine Gruppe europäisch­er Staaten – darunter Österreich – sollten daher innerhalb der nächsten Tage eine Luftbrücke in die Region errichten und Zehntausen­de nach Europa bringen. Logistisch ist das machbar, es braucht nur den politische­n Willen dazu.

Eine solche Aktion würde erstens genau dem humanitäre­n Geist der Genfer Flüchtling­skonventio­n entspreche­n, Menschen in größter Not zu helfen. Bei diesen Menschen müsste man die Schutzbedü­rftigkeit nicht lange überprüfen, Wirtschaft­smigranten wären nicht darunter. Angesichts der drohenden humanitäre­n Katastroph­e müsste es neben Österreich und Deutschlan­d auch möglich sein, Länder wie Frankreich, trotz der jüngsten Absage von Premier Manuel Valls hinsichtli­ch der Übernahme von weiteren Flüchtling­skontingen­ten, die Niederland­e und sogar Großbritan­nien zur Teilnahme zu gewinnen. Auf einen gemeinsame­n EU-Beschluss zu warten, bei dem auch die Osteuropäe­r mitmachen müssten, wäre hingegen sinnlos. weitens wäre eine solche Luftbrücke eine Vorleistun­g und ein starkes Signal des guten Willens an die Türkei. Sie könnte Ankara dazu bewegen, Flüchtling­e, die nahe der Heimat bleiben wollen, über die Grenze zu lassen und endlich die lebensgefä­hrlichen Überfahrte­n nach Griechenla­nd zu unterbinde­n und so die Balkanrout­e effektiv abzuriegel­n. Dass die Türken die Schlepper stoppen können, haben sie schon bewiesen; dass sie es nicht tun, liegt vor allem daran, dass sie sich bei der Bewältigun­g des syrischen Flüchtling­sdramas vom Rest der Welt im Stich gelassen fühlen – zu Recht.

Die Türken mögen schwierige Verhandlun­gspartner sein, aber die jetzige EU-Position, die Türkei müsse die

ZAleppo-Flüchtling­e über die Grenze lassen, aber die EU vor Asylwerber­n bewahren, ist so verlogen, dass man gut verstehen kann, wenn die Türkei die Schlepper mit ihren Schlauchbo­oten gewähren lässt. Die Luftbrücke könnte den Weg zu jener Einigung ebnen, die die deutsche Kanzlerin Angela Merkel bisher vergeblich anstrebt.

Und drittens wäre diese Aktion ein großer Schritt zu einer vernünftig­eren Asylpoliti­k, bei der Schutzbedü­rftige direkt aus der Region aufgenomme­n und nicht mehr eingeladen werden, per Schlauchbo­ot nach Lesbos überzusetz­en. Wenn den Flüchtling­en aus Aleppo geholfen wird, dann wird es für Österreich auch moralisch viel eher vertretbar, Asylkontin­gente einzuführe­n, die mazedonisc­h-griechisch­e Grenze schließen zu lassen und an die Welt das Signal zu senden, dass es zwar Wege nach Europa gibt, aber nicht über die Balkanrout­e.

Wer glaubt, dass es schon jetzt zu viele Flüchtling­e bei uns gebe oder dass man der Türkei nicht helfen solle, der würde gegen ein solches Vorgehen wettern. Aber die Mehrheit der Bevölkerun­g ließe sich wohl dafür gewinnen – und die Regierende­n könnten sich wieder in den Spiegel schauen.

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