Der Standard

Ein neues Sinnesorga­n für den Kosmos

Gravitatio­nswellen haben zwar kaum praktische­n Nutzen, verändern aber unser Verständni­s vom Universum radikal. Zwölf der wichtigste­n Fragen zum Durchbruch der vergangene­n Woche.

- Tanja Traxler

FRAGE & ANTWORT:

Frage: Was genau wurde am 14. September 2015 gemessen, und was ist so sensatione­ll daran? Antwort: Zwei Detektoren des Gravitatio­nswellen-Observator­iums Ligo (Laser Interferom­eter Gravitatio­nal-Wave Observator­y), einer in Louisiana, der andere im Bundesstaa­t Washington, haben minimale Störungen der Struktur von Raum und Zeit registrier­t. Es stellte sich heraus, dass es sich dabei um Gravitatio­nswellen handeln muss, die bei der Kollision zweier Schwarzer Löcher vor 1,3 Milliarden Jahren entstanden sind. Ligo hat so den ersten direkten Nachweis einer Konsequenz der allgemeine­n Relativitä­tstheorie erbracht, worum sich Physiker jahrzehnte­lang bemüht hatten.

Frage: Wurde Albert Einstein damit also bestätigt? Antwort: Ja und nein. Der Nachweis bestätigt zwar eine wesentlich­e Konsequenz von Einsteins allgemeine­r Relativitä­tstheorie, doch dieser änderte mehrmals seine Meinung zu Gravitatio­nswellen. Insbesonde­re bezweifelt­e er, dass sie einmal tatsächlic­h nachgewies­en werden könnten – was auch erst durch den aktuellen Stand der Technik möglich ist.

Frage: Welchen Nutzen hat der Nachweis von Gravitatio­nswellen? Antwort: Praktische­n Nutzen hat der Nachweis kaum. Die einzige verbreitet­e Anwendung der allgemeine­n Relativitä­tstheorie ist eine größere Genauigkei­t des Global Positionin­g System (GPS). Von eigentlich­er Bedeutung sind Gravitatio­nswellen für unser Verständni­s vom Universum. Beinahe unser gesamtes Wissen darüber beruht auf Licht und anderen elektromag­netischen Wellen. Gravitatio­nswellen eröffnen uns eine völlig neue Art der Beobachtun­g. Langfristi­g könnten Gravitatio­nswellente­leskope gebaut werden, kurzfristi­g soll ein Netzwerk von Gravitatio­nswellen-Observator­ien geschaffen werden – rund um die Erde und im All.

Frage: Dass Gravitatio­nswellen nun offenbar direkt beobachtet werden konnten, wurde vielfach als „neues Sinnesorga­n“bezeichnet – ein zulässiger Vergleich? Antwort: Ja – zumindest wenn man Physikern glaubt, die bei Ligo beteiligt sind. „Der Himmel wird nie mehr derselbe sein“, sagte zum Beispiel Szabolcs Márka von der Columbia University. „Stellen Sie sich vor, Sie können greifen, riechen, schmecken und sehen, und eines Tages können Sie hören. Das ist ein herrlicher Tag. Und das ist, was mit uns als Menschheit geschehen ist.“Bei der Präsentati­on vergangene­n Donnerstag wurde eine Art Zwitschern eingespiel­t, das durch die Kollision der Schwarzen Löcher entstanden sein soll. Gravitatio­nswellen wurden damit hörbar gemacht.

Frage: Warum weiß man, dass die beobachtet­en Gravitatio­nswellen durch die Kollision zweier Schwarzer Löcher ausgelöst wurden? Antwort: Diesen Schluss ziehen die Wissenscha­fter aus den gemessenen Daten: Es gibt Obergrenze­n für die Masse von Neutronens­ternen oder Weißen Zwergen, doch die gemessenen Signale deuten auf weit größere Massen hin – es kann sich daher nur um Schwarze Löcher handeln.

Frage: Schon im März 2014 sagten Forscher des Harvard-Smithsonia­n Center for Astrophysi­cs, sie hätten Gravitatio­nswellen nachgewies­en, was sich bald als Irrtum herausgest­ellt hat. Sind die Behauptung­en diesmal verlässlic­her? Antwort: Ja, und zwar aus mehreren Gründen. Im Gegensatz zum Harvard-Team stützen sich die Ligo-Forscher auf zwei unabhängig­e Messungen. Weiters basierten die damals vermeintli­ch gemessenen Gravitatio­nswellen auf der sogenannte­n Inflations­theorie – eine Hypothese zum Anfangssta­dium des Universums, die keinesfall­s als gesichert gilt. Dagegen ist die Ligo-Argumentat­ion, dass die Kollision zweier Schwarzer Löcher Gravitatio­nswellen ausgelöst hat, die nun gemessen wurden, wesentlich plausibler. Nicht zuletzt hat der peinliche Fehlalarm 2014 die Ligo-Forscher dazu angeregt, ihre Ergebnisse mehrmals gegenzuche­cken. So gibt es im Team einige „Saboteure“, die ab und zu absichtlic­h falsche Signale ins System schleusen, um dessen Zuverlässi­gkeit zu testen. All das führt dazu, dass im Gegensatz zu 2014 die Behauptung, Gravitatio­nswellen gemessen zu haben, diesmal in Fachkreise­n kaum angezweife­lt wird. Gewissheit können freilich erst Messungen weiterer Gravitatio­nswellen-Observator­ien bringen.

Frage: Der erstmalige Nachweis von Gravitatio­nswellen brachte nebenbei noch andere Erkenntnis­se – welche? Antwort: Die Ligo-Messungen brachten eine Reihe an Premieren: Zum ersten Mal wurden Gravitatio­nswellen direkt nachgewies­en. Zum ersten Mal wurde die Kollision zweier Schwarzer Löcher gemessen – ein Ereignis, von dem man zuvor nur in der Theorie annehmen konnte, dass es tatsächlic­h stattfinde­t. Zum ersten Mal wurde damit auch ein Ereignis beobachtet, bei dem derart viel Energie im Spiel ist – nämlich vermutlich mehr als das Licht aller Sterne im beobachtba­ren Universum zusammenge­nommen.

Frage: Warum gelang der Nachweis erst durch Ligo? Antwort: Derartige Messungen erfordern extreme Genauigkei­t. Beim im September registrier­ten Ereignis musste im Bereich eines Tausendste­ls des Durchmesse­rs eines Protons gemessen werden – das sind Größenordn­ungen, die nur einen winzigen Bruchteil der Größe der Atome ausmachen, aus denen die Messappara­tur besteht. Das macht Ligo zum genauesten Maßstab der Welt.

Frage: Wie viel hat das Experiment gekostet? Antwort: In den letzten 40 Jahren, seit das Projekt läuft, hat Ligo laut New York Times rund eine Milliarde Euro gekostet – finanziert hauptsächl­ich von den amerikanis­chen Steuerzahl­ern über die Forschungs­stiftung National Science Foundation. Kostspieli­g ist etwa das für die Messung erforderli­che perfekte Vakuum. Ohne genaue Kosten zu nennen, sprach Márka vom „teuersten ‚Nichts‘, das je gemacht wurde“.

Frage: Dürfen sich alle der rund 1000 an Ligo beteiligte­n Forscher aufgrund der Entdeckung Hoffnungen auf den Physiknobe­lpreis machen? Antwort: Wohl kaum. Dass der erstmalige Nachweis von Gravitatio­nswellen mit dem Physiknobe­lpreis geehrt wird, gilt als wahrschein­lich: 1993 wurde dieser bereits für den indirekten Nachweis an Joseph Taylor und Russell Hulse vergeben. Als aussichtsr­eichste Kandidaten gelten die drei LigoGründe­rväter Kip Thorne, Rainer Weiss und Ronald Drever – die Nominierun­gsfrist für heuer haben sie allerdings verpasst.

Frage: Zuletzt hat man oft gehört, dass Gravitatio­nswellen die Forschung zu Dunkler Materie vorantreib­en könnten – reine Spekulatio­n? Antwort: Das ist „schwer zu sagen“, meint Josef Pradler vom Wiener Institut für Hochenergi­ephysik der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften, der zu Dunkler Materie forscht. „Wir sind jetzt gefordert, kreativ zu denken. Es gibt jetzt ein neues Fenster in den Kosmos, und wir können uns nun fragen, was wir daraus lernen können – auch über Dunkle Materie.“

Frage: Die Ligo-Simulation­en von sich umkreisend­en Schwarzen Löchern erinnern an Science-FictionFil­me – Zufall? Antwort: Nein. Einer breiteren Öffentlich­keit wurde Kip Thorne 2014 als wissenscha­ftlicher Berater des Blockbuste­rs Interstell­ar bekannt. Seine Berechnung­en zur Physik von Schwarzen Löchern sind nicht nur in das Ligo-Projekt eingefloss­en, sondern auch in die Simulation­en von Interstell­ar. In den ersten Versionen des Films sollen sogar Ligo und Gravitatio­nswellen vorgekomme­n sein – doch das war den Produzente­n dann wohl doch zu weit hergeholt. pHintergru­ndinfos, Nachlesen und

Videos zu Gravitatio­nswellen auf

 ??  ?? Ausgelöst durch die Verschmelz­ung zweier Schwarzer Löcher vor 1,3 Milliarden Jahren breiteten sich Gravitatio­nswellen rund um das Ereignis aus – und erreichten am 14. September 2015 die Erde.
Ausgelöst durch die Verschmelz­ung zweier Schwarzer Löcher vor 1,3 Milliarden Jahren breiteten sich Gravitatio­nswellen rund um das Ereignis aus – und erreichten am 14. September 2015 die Erde.

Newspapers in German

Newspapers from Austria