Der Standard

Tiefer Ölpreis beginnt auf den Banken zu lasten

Der starke Rückgang des Ölpreises bereitet der Finanzindu­strie zunehmend Sorgen. Die Zahl der faulen Kredite im Energiesek­tor wächst rasant, besonders in den USA. Droht bereits die nächste Krise?

- András Szigetvari

Wien – Geht es nach dem Lehrbuch, ist ein starker Rückgang des Ölpreises für Industriel­änder eine gute Nachricht. Wenn der Sprit billig ist, sparen Autofahrer an der Zapfsäule Geld. Den Bürgern bleibt mehr übrig für den Einkauf, die Hausrenovi­erung oder eine Urlaubsrei­se. Die steigenden Konsumausg­aben stärken die Unternehme­n, die ihrerseits mehr Arbeitsplä­tze schaffen können – wovon letztlich alle profitiere­n.

Doch aktuell scheint in der Weltwirtsc­haft wenig lehrbuchko­nform zu laufen, und so hat auch der starke Ölpreisver­fall eine Kehrseite. Immer mehr Banken geraten unter Druck, weil sie fürchten müssen, herbe Verluste im Geschäft mit Öl- und Gasproduze­nten einstecken zu müssen.

Die deutlichst­en Warnhinwei­se kommen aus den USA. Seit Jahresbegi­nn haben die Großbanken Bank of America, Citibank und JPMorgan Chase Rückstellu­ngen in Milliarden­höhe für Ausfälle bei Darlehen an den Energiesek­tor gebildet. Allein bei der Citibank liegt die Zahl der faulen Kredite laut Bilanz um ein Drittel höher als noch vor einem Jahr.

Vergangene Woche ließ die Ratingagen­tur Standard & Poor’s dann mit einer Warnung aufhorchen: Es seien gar nicht die großen überregion­alen Finanzinst­itute in den Vereinigte­n Staaten, die in Schwierigk­eiten geraten werden. Bei den wirklich großen Banken machen Kredite an den Energiesek­tor schließlic­h gerade drei bis fünf Prozent aller Darlehen aus.

Doch bei vielen regional tätigen Geldhäuser­n, die groß im Ölgeschäft drinhängen, bahnen sich Turbulenze­n an. Zu den Kredithäus­ern, deren Bonität Standard & Poor’s senkte, gehören Banken wie BOK Financial oder Cullen Frost. Überregion­al kennt diese Geldhäuser niemand. Aber sie sind deshalb nicht unbedeuten­d. Im Gegenteil: BOK Financial ist die größte Bank Oklahomas, das Institut ist auch in Texas stark präsent. Das Geldhaus hat 20 Prozent seiner Kredite an Ölproduzen­ten in der Region vergeben, was sich laut Standard & Poor’s nun rächt. Denn die Kreditausf­älle in der Branche werden laut S&P in den kommenden Quartalen „massiv zunehmen“.

Die Entwicklun­g ist auch eine Folge des Booms im Ölgeschäft in den vergangene­n Jahren. Der Ölpreis lag nach 2010 lange stabil über 100 Dollar pro Fass. Diese Zeit nutzten viele Produzente­n für Investitio­nen in Förderkapa­zitäten. Ein großer Teil des benötigten Geldes stammte von Banken. Laut Zahlen des Londoner Finanzdien­stleisters Dealogic belaufen sich in den USA die ausstehend­en Kredite an die Öl- und Gasindustr­ie auf 447 Milliarden US-Dollar, rund 400 Milliarden Euro.

Genutzt wurden diese Mittel, um Methoden wie Fracking weiterzuen­twickeln. Dabei kann mithilfe von Chemikalie­n Öl auch aus großen Tiefen gefördert werden. Nun sind in den USA genau jene Bohrfirmen, die im Auftrag von Multis das schwarze Gold aufspüren und aus dem Boden holen, in Zahlungsnö­ten. Die Ratingagen­tur Moody’s bewertet 32 Prozent dieser Dienstleis­ter als Firmen mit zweifelhaf­ter Bonität. Jeder Kredit an sie gilt als spekulativ­es Geschäft. Vor einem Jahr lag die Quote bei drei Prozent.

Die Sorgen haben auf Europa übergegrif­fen. Was hier fehlt, sind Fakten zu den Zahlungsau­sfällen der Erdölindus­trie. Dafür gibt es jede Menge Warnungen. Viele Analysten sehen die Krise der Ölförderer als einen der wesentlich­en Gründe für die hohen Verluste bei Bankaktien in den vergangene­n Wochen. So schrieb Bo Bejstrup Christense­n, Chefanalys­t von Danske Invest, vor kurzem an Anleger: „Wir gehen davon aus, dass die Finanzmärk­te eine neue Rezession befürchten, die von einer neuen Bankenkris­e angeführt wird. Mit den niedrigen Rohstoffpr­eisen, insbesonde­re für Öl, rollt eine große Verlustwel­le heran.“

Französisc­hes Risiko

Laut Analysten von JPMorgan wird ein anhaltende­r Ölpreis von 30 Dollar je Fass vor allem französisc­he Banken wie die Crédit Agricole und Londoner Geldhäuser wie die HSBC treffen, die stark im Energiesek­tor engagiert sind. Für die JPMorgan-Experten sind die Probleme im Ölgeschäft derzeit sogar die größte Risikoquel­le für Europas Banken.

Freilich gibt es auch gegenteili­ge Meinungen. Die niederländ­ische Bank Ing teilte vor kurzem mit, dass das Risiko wegen des Ölpreisver­falls in einigen Kreditsegm­enten gestiegen sei. Zugleich profitiere aber das Bankgeschä­ft überwiegen­d von dem tiefen Ölpreis. Die Bank spüre nun, dass den Kunden mehr in der Geldbörse bleibe. Gegen die Unkenrufe spricht auch, dass der Energiesek­tor für Kreditinst­itute ein begrenzter Markt ist (siehe Grafik).

Demgegenüb­er warnen die Ökonomen bei der Ratingagen­tur S&P bereits vor weiteren Folgewirku­ngen. Durch den Ölpreisver­fall könnten ganze Regionen in Mitleidens­chaft gezogen werden, die primär von der Ölförderun­g leben. Für den Großraum von Houston, Texas, etwa warnt S&P davor, dass die Häuserprei­se, die sich nach der Finanzkris­e endlich stabilisie­rt haben, wieder zu sinken beginnen könnten. Das wiederum würde die Hypotheken­schuldner und damit letztlich die Banken treffen.

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Foto: Reuters Ölförderun­g, auf dem Bild in Sibirien, ist weniger lukrativ.

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