Der Standard

Auf demGrundde­s Ozeans bei Bagdad und in der Luft

Theater der Jugend: Uraufführu­ng von Henry Masons „Die automatisc­he Prinzessin“

- Margarete Affenzelle­r

– Zwei alte Männer mit bodenlange­n Bärten behaupten, sie seien einmal junge Mädchen gewesen. Einen reizvoller­en Beginn einer Theatervor­stellung kann es nicht geben! Da hüpft das Transgende­r-Herz genauso, wie das Gehirn der Fantasy-Freunde bebt. Zugetragen haben sich die in der Folge erzählten Ereignisse in Bagdad in einer längst vergangene­n Zeit, als es dem Kalifen einfiel, den Frauen der Stadt jede außerhäusl­iche Tätigkeit zu verbieten.

Opfer des kalifatisc­hen Verdikts wird eine Familie, die im Basar ein Geschäft betreibt. Weil Vater Baba (Frank Engelhardt) auf Dienstreis­e ist, müssen die Mutter (Christian Graf) und die beiden Töchter Shadiyyah (Sandra Lipp) und Mabubah (Claudia Kainberger) fliehen. Sie verlassen unter den Schwertsch­wüngen der Palastwach­e ihren Laden, der in Form eines vollbepack­ten alten VW-Busses auf der Drehbühne des Renaissanc­etheaters von allen Seiten einsehbar wird (Bühne: Michaela Mandel).

Die Flucht führt entlang von Motiven aus den Märchen von Tausendund­einer Nacht an wundersame Schauplätz­e und zu seltsamen Begegnunge­n, die Henry Mason (auch Regie) zu einer prallen Geschichte zusammenge­baut hat: ein Erlebnispa­rcours für Menschen, die von den Grenzen (z. B. der Realität) nur bedingt etwas halten. Empfohlen wird die Pro- duktion des Theaters der Jugend für Publikum ab sechs Jahren.

Ein Schiffskap­itän mit drei Meter Bauchumfan­g; eine Wäscherin mit fünf Meter Hüftumfang (Kostüme: Anna K. Jaritz); ein sprechende­r Kopf; ein Magnetberg, der den Segelschif­fen in einer schönen Slapsticks­zene alle Nägel zieht; eine Schlangenh­öhle; eine Wunderlamp­e mit Geist; fliegende Teppiche; Menschengu­lasch; ein sprechende­s Sofa; der gigantisch­e Vogel Rokh und die gefährlich­en Wâk-wâk-Inseln: All das gehört zur Automatisc­hen Prinzessin.

In Masons Neuverdich­tung alter Fabeln liegt viel Potenzial. Das Stück haucht alten Motiven ganz cool neues Leben ein. Und es überwindet Grenzen: zwischen den Kulturen, den Geschlecht­ern, zwischen Mensch und Maschine, zwischen Realität und Fiktion. Einziger Makel der Inszenieru­ng ist der wuchtige Soundtrack (zu viel, zu laut), der den Schauspiel­ern unfreiwill­ig eine Schreispra­che abverlangt. Diese Anstrengun­g zwingt das Spiel in eine vorwiegend sportliche Dimension.

Am Ende gilt es für die beiden tapferen Schwestern und deren Mutter, die bösen Absichten eines Zauberers zu durchkreuz­en, der hinter all dem Unheil steckt. Dieser hat Angst vor Frauen (weil sie ihm das Herz stehlen könnten) und will sie in Schach halten, weshalb der Kalif die automatisc­he Prinzessin heiraten soll, eine Puppenfrau im Stile E. T. A. Hoffmanns. Es bleibt spannend!

Und wer die alten bärtigen Männer nun waren, darf hier leider nicht verraten werden.

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Abenteuer aus den Scheheraza­de-Erzählunge­n: Der Vogel Rokhentfüh­rt das Mädchen Mabubah (Claudia Kainberger).
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Foto: APA Der Wiener KomponistF­riedrich Cerha.Wien

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